Antizionismus in Rosa
Noch bevor die Demo am Samstag loslief, schallten bereits erste Sprechgesänge über den Neuköllner Hermannplatz. Zum mittlerweile dritten Mal fand in Berlin mit der Internationalist Queer Pride (IQP) eine Alternativveranstaltung zum zentralen Christopher Street Day statt. Doch ging es bei dem, was gleich zu Beginn zu hören war, nicht um die Befreiung queerer Menschen – stattdessen riefen zahlreiche Teilnehmende Parolen wie »There is no pride in apartheid« und »From the river to the sea, Palestine will be free«.
Man fragt sich, was das mit den Anliegen der weltweit stattfindenden und geschichtsträchtigen queeren Paraden zu tun haben soll. Für die Organisator:innen der IQP besteht jedoch kein Zweifel: Sie halten die Befreiung Palästinas und den Kampf gegen den vermeintlichen zionistischen Unterdrücker für ein grundlegend queeres Anliegen und erklärten es zu einem zentralen Motto des Demonstrationszugs. Wie schon im vergangenen Jahr schmückte ein Transparent mit der Aufschrift »Palestine is a queer issue« den einzigen Lautsprecherwagen. Der palästinensische Block lief an der Spitze, zahlreiche Ordner:innen trugen Shirts mit der Aufschrift »I’m gay for Palestine«. Redebeiträge zu den unterschiedlichsten Themen endeten mit Sprechchören, die zur Intifada aufriefen.
Angesichts der offensichtlichen Einigkeit bei diesem Thema verwundert es kaum, dass zwischen Netzstrumpfhosen, Latex und Glitzer sogar ein Shirt mit dem Emblem der palästinensischen Terrormiliz »Höhle des Löwen« zu sehen war – allerdings queer abgewandelt, mit pinken statt schwarzen Maschinengewehren und Katzenohren auf dem Felsendom.
Auf dem Ankündigungsplakat der Demo war eine gezeichnete Frau mit »Jin Jiyan Azadi«, dem kurdischen Slogan der Oppositionsbewegung im Iran, zu sehen. Dass die Frau ausgerechnet ein Kopftuch trug, passte zum Gesamteindruck des Plakats, auf dem in einer Art Wimmelbild alle denkbaren unterdrückten Gruppen harmonisch zusammenstanden, ohne Konflikte und Widersprüche. »Queer Jews for a free Palestine« war dort zu lesen, auch die Besatzung der Westsahara durch Marokko kam vor. Von Antisemitismus war keine Rede.
Solidaritätsbekundungen mit queeren Palästinenser:innen, die nicht nur in Gaza von der islamistischen Hamas verfolgt werden, suchte man vergeblich.
Bereits vor der Demonstration hatten die Organisator:innen der diesjährigen IQP keinen Zweifel über ihre antizionistischen Positionen gelassen. In der Ankündigung des palästinensischen Demoblocks wurde dem Staat Israel vorgeworfen, »Queer Pride« zu missbrauchen und zu instrumentalisieren, »um das siedler-kolonialistische Projekt und den Apartheidstaat ›Israel‹ schönzureden«.
Sagen will man damit wohl, dass die in Israel unbestreitbar bestehenden Rechte und Freiheiten für queere Menschen nur ein niederträchtiger Marketingtrick sind; was damit gemeint ist, Israel in Anführungsstrichen zu setzen, soll man sich wohl selber denken. Die Rede vom »siedler-kolonalistischen Projekt« gegen das »unser indigenes Volk im historischen Palästina« verteidigt werden müsse, bedient die antisemitische Mär von Völkern, die naturgegeben in einer Region verwurzelt seien, denen der künstlich geschaffene Staat Israel gegenübergestellt wird.
Solidaritätsbekundungen mit queeren Palästinenser:innen, die nicht nur in Gaza von der islamistischen Hamas verfolgt werden, suchte man hingegen vergeblich. Immer wieder fliehen palästinensische LGBT-Personen nach Israel, um einem Schicksal wie dem Ahmad Abu Murkhiyehs zu entgehen; dieser hatte sich 2020 nach Israel abgesetzt, im vergangenen Oktober besuchte er die West Bank, dort wurde, wie ein Video zeigte, seine Leiche nahe Hebron geköpft aufgefunden. Sein mutmaßlicher Mörder wurde verhaftet, alles deutet darauf hin, dass er das Opfer ermordete, weil es schwul war.
Doch um Menschen wie Murkhiyeh schien es auf der Demo nicht zu gehen. Im Mittelpunkt des Treibens der üblichen Unterstützer:innen von BDS, »Palästina spricht« und Jewish Bund stand vielmehr die Agitation gegen Israel. Es verwunderte auch nicht, dass die Menge begeistert jubelte und »Free Palestine«-Rufe anstimmte, als ein Mann eine Kufiya und nicht etwa eine Regenbogenfahne aus dem Fenster eines Wohnhauses hielt. Nach dieser dritten IQP kann wohl niemand mehr behaupten, dort keine antisemitischen Parolen und Transparente gesehen zu haben. Stellenweise wirkte die Demo wie ein antizionistischer Aufmarsch mit Pride-Anstrich – der Begriff »Pinkwashing« drängt sich auf.