Valentina Delli Gatti, Memoria Mediterranea, im Gespräch über die Suche nach auf dem Mittelmeer verschollenen Flüchtlingen

»Die meisten Leichname werden nicht identifiziert«

Hinterbliebene von im Mittelmeer verschollenen Migrant:innen haben oft keine Gewissheit über den Verbleib ihrer Angehörigen. Die italienische Initiative Memoria Mediterranea setzt sich aus Mitgliedern verschiedener im Mittelmeerraum tätiger Organisationen zusammen, darunter Watch the Med Alarm Phone. Ihr Ziel ist es, Hinterbliebenen bei Suche nach verschollenen Familienmitgliedern zu unterstützen. Die »Jungle World« sprach mit Valentina Delli Gatti von der Initiative.
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Was passiert mit den Leichnamen derer, die die Überfahrt über das Mittelmeer nicht überleben?
Die meisten Leichname werden nicht identifiziert. Wenn sie überhaupt aus dem Wasser geborgen werden, enden sie in anonymen Gräbern auf Sizilien oder in anderen Küstenregionen. Die Hinterbliebenen werden deshalb nie Gewissheit haben. Wenn sie sich auf die Suche nach einem auf der Überfahrt verschollenen Familienmitglied machen, stehen sie vor einer ganzen Reihe bürokratischer und juristischer Hürden. Oftmals können sie nicht nach Europa reisen. Und selbst wenn ihr vermisster Angehöriger gefunden wird, ist die Überführung des Leichnams kompliziert und kostspielig.

Was ist eure Forderung?
Nach dem verheerenden Schiffsunglück vor der Küste von Steccato di Cutro am 26. Februar, bei dem mindestens 67 Menschen starben, darunter zahlreiche Kinder, wandten wir uns auf Wunsch hinterbliebener ­Familien mit einer zentralen Forderung an die örtliche Staatsanwaltschaft: Behörden sollten standardmäßig DNA-Abgleiche vornehmen – von den verstorbenen Migrant:innen und den suchenden Familienangehörigen. Diese Proben können in einer zentralen Datenbank gesammelt und miteinander abgeglichen werden. Aufgrund des starken öffentlichen Drucks nach dem Schiffsunglück hatten wir tatsächlich Erfolg. Im März begannen Forensiker in Steccato di Cutro, DNA-Proben zu entnehmen und an überregionale Labore zu schicken.

Gibt es noch andere Möglichkeiten, die Hinterbliebenen bei ihrer Suche zu unterstützen?
Wir suchen nach persönlichen Daten der Vermissten in sozialen Medien und versuchen, besondere physische Merkmale festzustellen. Außerdem sammeln wir Informationen hinsichtlich der Kleidung, die der Betroffene am Tag seiner Überfahrt getragen hat. Und wir stehen in Kontakt mit suchenden Familien, die sich mit ihren Anfragen an uns wenden. Alle ­gesammelten Daten geben wir dann an die Fo­ren­si­ker:innen der örtlichen Polizei weiter. Außerdem ­suchen wir selbst nach spezifischen Personen, deren ­Daten wir haben: in Leichenschauhäusern, auf Begräbnissen und in Gefängnissen.

Hinterbliebene suchen oft jahrzehntelang. Ist eure Zusammenarbeit mit den Familien schon einmal erfolgreich verlaufen?
Im Frühjahr, nach dem Schiffsunglück vor Steccato di Cutro, liefen wir mit angereisten Hinterbliebenen am Strand entlang. Wir durchsuchten gemeinsam die Wrackteile des Schiffs nach persönlichen Gegenständen, die etwas über die Insassen verraten könnten. Unter ihnen war auch Zahra, die verzweifelt nach ihrem Bruder Sajad suchte – leider erfolglos. Dessen Körper wurde dann tatsächlich ein paar Tage später aus dem Meer geborgen. Und wir konnten ihn anhand seiner Kleidung identifizieren. Wir sind noch in Kontakt mit ihr und sie setzt sich weiterhin für die anderen betroffenen Familien ein, deren Suche andauert.