Die anderen Parteien streiten über die richtige Strategie gegen die AfD

Deutsche Rachephantasien

Derzeit werden wieder allerlei Mittel diskutiert, um die hohen Zustimmungswerte der AfD zu senken. Besonders erfolgversprechend scheint keines von ihnen.
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Friedrich Merz hatte vor über vier Jahren angekündigt, als CDU-Vorsitzender die Wahlergebnisse der AfD zu halbieren. Kürzlich teilte er mit, diesen Anspruch erhebe er schon lange nicht mehr. Andernfalls hätte er wohl sein Scheitern eingestehen müssen. Umfragen attestieren der AfD seit Wochen bundesweit Zustimmungswerte von bis zu 20 Prozent.

Merz’ damaliges Versprechen fußte auf der Annahme, dass nicht alle AfD-Wähler ideologisch gefestigte Rechtsextreme sind. Zum Teil seien es auch einfach frustrierte Konservative, die angesichts einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung nach links aus Protest AfD wählten. Diese Argumentation verrät mehr über Merz’ Interessen als über die AfD. Der Parteivorsitzende wollte die CDU wieder konservativer machen, also müsse darin wohl das richtige Mittel gegen die AfD liegen. Ähnlich von Eigeninteressen geleitet argumentieren Linksliberale: Sie wollen ihren politischen Gegnern eins auswischen, deshalb ist für sie vor allem die konservative Rhetorik von Merz und seinesgleichen schuld am Aufstieg der AfD. Viele Linkspopulisten wiederum wollen mehr Sozialstaat, also sehen sie in dessen Ausbau das Mittel, die AfD kleinzuhalten.

Wahr ist zumindest, dass das Leben im Kapitalismus die Menschen beschädigt: Die Angst, als Arbeitskraft wertlos zu sein, die Unterordnung und Disziplin am Arbeitsplatz, das Prinzip von Leistung und Konkurrenz, das notwendigerweise einen Teil der Gesellschaft als minderwertig abstempelt, und die Tatsache, dass das eigene Leben von Marktmechanismen beherrscht wird, die dafür sorgen können, dass in kurzer Zeit ganze Landstriche deindustrialisiert werden – das alles prägt Menschen, und nicht zum Besseren, vor allem wenn sie sowieso schon autoritär eingestellt sind.

Doch nicht nur Arme, sondern auch die Mittelschicht und Wohlhabende werden auf diese Weise deformiert – sie werden empathielos, antidemokratisch und offen für Verschwörungstheorien, gleich wie wahnhaft sie ausfallen. Wer, wie kürzlich die Zeitschrift Jacobin, die simple Gleichung »Antifa heißt Wohlfahrtsstaat« aufstellt, macht es sich deshalb viel zu einfach. In einer anderen Gesellschaft wären die Menschen anders, und in einer mit weniger Existenzängsten wären sie wohl weniger faschistisch. Aber rechtsextrem wird man nicht einfach aus Geldsorgen.

Rechtsextrem wird man nicht einfach aus Geldsorgen.

Für ihre Wähler erfüllt die AfD offenbar ein psychisches Bedürfnis, das nicht einfach durch ein »Politikangebot« einer etablierten Partei gestillt werden kann, egal ob konservativ oder sozial. Das zeigt ein Blick in einschlägige Facebook-Gruppen, auf AfD-nahe Demonstrationen oder einfach auf die Rhetorik der Parteiführung: Die rechtsextreme Gemeinschaft gibt den AfD-Anhängern die Möglichkeit, sich aggressiven Rachephantasien hinzugeben, sei es ­gegen »Eliten« oder gegen Flüchtlinge, denen man aus Verbitterung das geringste Mitgefühl verwehrt und die kleinste Sozialleistung neidet. Dass die AfD offensichtliche Lügen verbreitet und mit ihrer kaum verhüllten Brutalität vielen Leuten Angst macht, ist gerade Teil ihrer Anziehungskraft.

Da kann kein Sozialstaatsprogramm mithalten – und auch nicht ein sich erzkonservativ gebender Friedrich Merz. Der AfD-Politiker Hannes Loth, der am Sonntag in Sachsen-Anhalt zum ersten hauptamtlichen AfD-Bürgermeister der Bundesrepublik gewählt wurde, hetzte auf seiner Facebook-Seite völlig ungeniert gegen »sogenannte ›Flüchtlinge‹« aus der Ukraine, die »in Luxus-Karossen durch unsere Städte« fahren, während deutsche Rentner »Pfandflaschen sammeln müssen«. Als Merz mal über den »Sozialtourismus« ukrainischer Flüchtlinge sprach, musste er sich später entschuldigen.

Merz lobte Claudia Pechsteins Rede auf dem CDU-Programmkonvent als »brillant«, in der diese ein Loblied auf die »traditionelle Familie« mit »Mama und Papa« anstimmte – und gab vergangene Woche dem Lesben- und Schwulenverband der CDU ein Interview, in dem er beteuerte, dass auch er »dazugelernt« habe und seine Partei »sich in den vergangenen Jahren – ich ergänze: zum Glück! – gewandelt« habe.

Dieses Zugeständnis mag kühl kalkulierter PR-Strategie entspringen, aber das tun Merz’ hetzerische Momente auch. Für ein Programm, das Rechtsextremisten zufriedenstellt, gibt es bei der CDU wohl keine Mehrheit. Das zeigte sich auch daran, dass Merz’ wichtigster Konkurrent um die CDU-Kanzlerkandidatur, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst, den Parteivorsitzenden kürzlich durch einen Gastbeitrag in der FAZ herausforderte, in dem er »eine Politik von Modernität, Mitte und Ausgleich« forderte. Das werden viele AfD-Wähler wohl kaum honorieren.