Die konservative griechische Regierung verschärft ihre Asylpolitik

Lagerkoller auf den Inseln

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Obwohl diese Fakten bekannt sind, erfährt die griechische Öffentlichkeit in den Medien kaum etwas davon. Diese berichten stattdessen darüber, dass die meisten der ohne Ehepartner von Lesbos in das von der Kirche zur Ver­fügung gestellte Kloster Poretsou gebrachten Mütter samt ihrer Kinder sofort zurück in das Lager Moria wollten. Dass das verlassene Kloster weder über Strom noch Heizung und fließendes Wasser verfügt, berichtete der überwiegende Teil der Presse nicht.

Dass es vor knapp 100 Jahren Griechinnen und Griechen waren, die auf der Flucht waren, wird oft vergessen. 1922, nach der sogenannten kleinasia­tischen Katastrophe, als das zerfallende Osmanische Reich im Aufstand der Jungtürken unter Mustafa Kemal gegen die Siegermächte des Ersten Weltkriegs ein blutiges Ende fand, flüchteten Tausende aus dem Gebiet der heutigen Türkei vertriebene Griechinnen und Griechen zunächst nach Syrien. Die Vorfahren der zurzeit ins Land flüchtenden Syrer und übrigen Araber retteten damals viele vor dem sicheren Tod. Erst später fanden die Griechinnen und Griechen in dem vom verlorenen Krieg gegen die Türkei von 1919 bis 1922 gezeichneten Griechenland Aufnahme, vor allem in Piräus, Mazedonien und auf Inseln wie Lesbos.

Die neu Angekommenen waren bei den angestammten Einwohnern trotz gleicher Sprache und Religion lange unbeliebt und wurden ausgegrenzt. Als »übermäßig reinliches Türkensperma« bezeichneten die Alteingesessenen ihre verarmten, heimatlos gewordenen Landsleute. Deren Bräuche, die Speisen, die penible Körperhygiene und Reinlichkeit der Wohnung, die fremde Musik, das alles kam den Alteingesessenen seltsam anatolisch vor. Die Neuankömmlinge wurden unter teils menschenunwürdigen Bedingungen in Lager gepfercht, bevor ihnen im Land Wohnorte zugewiesen wurden. Viele starben in den Lagern an Ma­laria und anderen Seuchen. Allein in einem Lager in Toumpa bei Thessaloniki starben innerhalb von nur drei Monaten 2 000 der 10 000 Flüchtlinge aus Artaki, dem heutigen Erdek.