Die konservative griechische Regierung verschärft ihre Asylpolitik

Lagerkoller auf den Inseln

Die griechische Regierung verschärft ihre Asylpolitik. Offene Flüchtlings­lager auf den griechischen Inseln sollen durch Gefängnisse ersetzt werden.

Es klingt wie eine längst überfällige Entscheidung. Am Mittwoch vergangener Woche kündigte die konservative griechische Regierung an, die hoffnungslos überfüllten Lager für Geflüchtete auf den Inseln Lesbos, Chios und Samos, die sogenannten Hotspots, zu schließen. Auch offene Lager auf den kleineren Inseln Kos und Leros sollen um­gebaut werden. Über 36 000 Menschen leben derzeit in offenen Lagern auf den Inseln. Geflüchtete durften diese Lager zwar verlassen, das Festland ­allerdings nicht betreten. Die Überbelegung hat dazu geführt, dass Tausende Menschen in diesen Lagern und deren Umgebung unter unmenschlichen Bedingungen leben müssen, was seit langem angeprangert wird (Jungle World 42/2019).

Syriza, die größte Oppositions­partei, und die regierende Nea Dimokratia streiten nur darüber, ob es gefängnis­­artige oder offene Lager für Geflüchtete geben soll.

Doch die griechische Regierung will die Lager keineswegs abschaffen, vielmehr sollen sie durch geschlossene Einrichtungen ersetzt werden. Zudem sollen 500 zusätzliche Beamte der Asylbehörde eingesetzt werden, um die Asylverfahren zu beschleunigen und somit auch schneller abzuschieben. 2019 sollen türkischen Angaben zufolge bereits über 25 000 Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschoben worden sein.

Die Zahl der in Griechenland ankommenden Geflüchteten ist in den vergangenen Monaten erneut stark gestiegen. Als der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Partei Nea Dimokratia die Asylrechtsreformen ankündigte, ­sparte er nicht mit Kritik an den EU-Staaten, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen. »Europa betrachtet Ankunftsländer wie Griechenland als bequeme Parkplätze für Flüchtlinge und Migranten«, sagte er kürzlich im Interview mit dem Handelsblatt. Nicht einmal 3 000 der 4 500 unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, die derzeit in Griechenland lebten, wolle die EU aufnehmen, so Mitsotakis am Freitag voriger Woche im Parlament. Zugleich dankte er den griechischen Reedern, die dem Staat neue Schnellboote für den Grenzschutz spenden.

Die Kritik an der EU-Politik ist berechtigt, doch hat sich die derzeitige  griechische Regierung ebenso wie ihre Vorgängerinnen kaum um eine humane Asylpolitik bemüht. Alexis Tsipras hatte im Januar 2015 als Koalitionspartner für seine linke Partei Syriza die kleine Partei Anexartiti ­Ellines (Unabhängige Griechen, Anel) des erzkonser­vativen Rechtspopulisten Panos Kammenos gewählt. Dieser ließ Tsipras in der Flüchtlingspolitik zunächst freie Hand. Beide einte der gemeinsame Kampf gegen die von der sogenannten Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank verordnete Sparpolitik. Nach Tsipras’ Hinwendung zu einer wirtschaftsliberalen Politik setzte Kammenos ein härteres Vorgehen in der Immigrationspolitik durch. Schließlich sorgte der Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei für die Schaffung der berüchtigten Hotspot-Lager auf den nahe der Türkei gelegenen Inseln. Deren Verwaltung übernahm das Militär und damit das Ressort von Verteidigungsminister Kammenos.

 

Zum Ende der Koalition, im Frühjahr 2019, übernahm Tsipras von Kammenos sogar Abgeordnete und integrierte diese in die mittlerweile sozialdemokratische Syriza. Mit dem Schwenk zur politischen Mitte vergaßen einst humanitär gesinnte Genossen ihre Überzeugung. Als es um Fälle von Vergewaltigung Minderjähriger im Lager Moria auf Lesbos ging, versuchte etwa der ehemalige Minister für Schifffahrt und Inseln, Thodoris Dritsas, diese zu relativieren: »Wieso sprechen Sie das an? Es gab doch nur ungefähr alle sechs Monate eine Vergewaltigung.« Die derzeitige Asyl- und Migrationspolitik von Mitsotakis setzt fort, was Syriza begonnen hat. Auch in deren Regierungszeit gab es illegale pushbacks des griechischen Grenzschutzes.

Syriza, nun die größte Oppositionspartei, und die regierende Nea Dimokratia streiten sich nur darüber, ob es geschlossene, gefängnisartige oder ­offene Lager für Geflüchtete geben soll. Beide vermuten hinter dem jüngsten Anstieg der Flüchtlingszahlen eine Strategie des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Er regle die Flüchtlingsströme nach Gusto, um Druck auf die EU auszuüben.

An diesem Punkt setzen Rechtsextreme wie Kyriakos Velopoulos an, der Vorsitzende der Partei Elliniki Lysi (Griechische Lösung, EL). Velopoulos, der ­einen eigenen Fernsehsender betreibt und »patriotische Bücher« sowie angeblich Wunder wirkende Medizinprodukte vertreibt, bezeichnet Geflüchtete und Immigranten als »Invasionsarmee Erdoğans«. Dieser habe, behauptet ­Velopoulos im Parlament und in seinem Sender, die Islamisierung Griechenlands und später ganz Europas zum Ziel. Velopoulos benutzt gern den Ausdruck »Lathroeisvoleis« (illegale Invasoren), der von Politikern des rechten Flügels der ND gern adaptiert wird.

Die Regierung Mitsotakis hat das Asylrecht bereits verschärft, beteuert jedoch angesichts der Kritik von Flüchtlingsorganisationen und der EU, dass die Menschenrechte gewahrt würden. Ab Januar 2020 können Asylsuchende bis zu 36 Monate in Haft gehalten werden.

Einspruchsmöglichkeiten gegen ablehnende Bescheide werden drastisch beschnitten. Dass erfolgreich eingereichte und begründete Einsprüche bereits jetzt nicht vor einer Abschiebung schützen, mussten acht am 25. Oktober von Lesbos in die Türkei abgeschobene Asylsuchende erfahren, am 18. Oktober sechs von Kos Zurückgeschickte.

Es gibt bestätigte Berichte, dass Asylanträge abgelehnt und die Asylsuchenden abgeschoben wurden, obwohl die Prüfkommission in ihrem Bericht anerkannt hatte, dass die Betroffenen Opfer staatlicher Folter waren oder ihr Wohnort von militärischen Kräften im Herkunftsland verwüstet worden war. Zurück in der von Griechenland als Feindin, aber auch als »sicheres Drittland« angesehenen Türkei erwartet abgelehnte Asylsuchende eine bis zu zwölf Monate dauernde Abschiebehaft, Syrerinnen und Syrer unter Umständen auch eine zwangsweise Ansiedlung in den vom türkischen Militär besetzen Gebieten Nordsyriens. Am 21. November stoppte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit einer einstweiligen Verfügung die Abschiebung eines Afghanen von Lesbos in die Türkei. In seiner Begründung verwies das Gericht auf die Menschenrechtslage in der Türkei.

 

Obwohl diese Fakten bekannt sind, erfährt die griechische Öffentlichkeit in den Medien kaum etwas davon. Diese berichten stattdessen darüber, dass die meisten der ohne Ehepartner von Lesbos in das von der Kirche zur Ver­fügung gestellte Kloster Poretsou gebrachten Mütter samt ihrer Kinder sofort zurück in das Lager Moria wollten. Dass das verlassene Kloster weder über Strom noch Heizung und fließendes Wasser verfügt, berichtete der überwiegende Teil der Presse nicht.

Dass es vor knapp 100 Jahren Griechinnen und Griechen waren, die auf der Flucht waren, wird oft vergessen. 1922, nach der sogenannten kleinasia­tischen Katastrophe, als das zerfallende Osmanische Reich im Aufstand der Jungtürken unter Mustafa Kemal gegen die Siegermächte des Ersten Weltkriegs ein blutiges Ende fand, flüchteten Tausende aus dem Gebiet der heutigen Türkei vertriebene Griechinnen und Griechen zunächst nach Syrien. Die Vorfahren der zurzeit ins Land flüchtenden Syrer und übrigen Araber retteten damals viele vor dem sicheren Tod. Erst später fanden die Griechinnen und Griechen in dem vom verlorenen Krieg gegen die Türkei von 1919 bis 1922 gezeichneten Griechenland Aufnahme, vor allem in Piräus, Mazedonien und auf Inseln wie Lesbos.

Die neu Angekommenen waren bei den angestammten Einwohnern trotz gleicher Sprache und Religion lange unbeliebt und wurden ausgegrenzt. Als »übermäßig reinliches Türkensperma« bezeichneten die Alteingesessenen ihre verarmten, heimatlos gewordenen Landsleute. Deren Bräuche, die Speisen, die penible Körperhygiene und Reinlichkeit der Wohnung, die fremde Musik, das alles kam den Alteingesessenen seltsam anatolisch vor. Die Neuankömmlinge wurden unter teils menschenunwürdigen Bedingungen in Lager gepfercht, bevor ihnen im Land Wohnorte zugewiesen wurden. Viele starben in den Lagern an Ma­laria und anderen Seuchen. Allein in einem Lager in Toumpa bei Thessaloniki starben innerhalb von nur drei Monaten 2 000 der 10 000 Flüchtlinge aus Artaki, dem heutigen Erdek.

 

Jahrzehnte vergingen, bis die Integration gelang. Pontier aus der Schwarzmeerregion um Trabzon siedelten in Mazedonien. Sie verwandelten das ­ihnen zugewiesene, euphemistisch Kalamaria (gute Seite) genannte Sumpf­loch bei Thessaloniki in einen der mittlerweile teuersten Vororte. Geflüchtete aus dem ehemaligen Artaki gründeten in den Sumpfgebieten nahe Chalkida auf Euböa die Kleinstadt Nea ­Artaki. Sie brachten den Alteingesessenen die Zubereitung von kulinarischen Spezialitäten wie Meeresfrüchten bei. Sardellen und Meeresfrüchte retteten die Bewohnerinnen und Bewohner von Euböa während der deutschen Besatzung vor dem Hungertod. Die Bereicherung einer Gesellschaft durch eine gelungene Integration von Geflüchteten findet auch in der mündlich weitergegebenen Geschichte vieler griechischer Familien ihren Niederschlag.

Heutzutage jedoch blockieren »besorgte Bürger« in Mazedonien und Nordgriechenland Busse mit Asylsuchenden. Sie wollen verhindern, dass diese in ihren Wohnorten angesiedelt werden. Auf Inseln wie Lesbos, Chios und Leros laufen Menschen Sturm gegen neue Lager. Vor den Zäunen der bereits existierenden Lager veranstalten »patriotische Gruppen« im Freien Grillfeste, bei denen reichlich Schweinefleisch verzehrt wird und der Alkohol in Strömen fließt. Sie wollen damit die ihnen verhassten Muslime provozieren. Dies geschieht ironischerweise an den Orten, die 2015 wegen ihrer vorbildlichen Aufnahme von Geflüchteten darauf hofften, den Friedensnobelpreis zu erhalten.