Das Landesarbeitsgericht untersagte den Streik in Berliner Kindertagesstätten

Die Windeln nieder

Die Gewerkschaft Verdi hat in einer Urabstimmung das Votum der Mitglieder für einen unbefristeten Streik in den kommunalen Kinder­tagesstätten Berlins eingeholt. Sein Ziel wäre ein Entlastungs­tarif­vertrag gewesen. Das Landesarbeitsgericht untersagte jedoch vorläufig den Arbeitskampf.

Die Berliner Kindertagesstätten bleiben geöffnet. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschied am Freitag voriger Woche in zweiter Instanz, dass die Gewerkschaft Verdi die Beschäftigten der landeseigenen Berliner Kitas nicht zu einem unbefristeten Streik aufrufen darf. Der hätte am vergangenen Montag beginnen sollen. Schon in erster ­In­stanz hatte das Arbeitsgericht den Streik wenige Wochen zuvor untersagt, wogegen Verdi in Berufung gegangen war.

Seit April versucht Verdi, für die Beschäftigten der rund 280 städtischen Kitas, in denen ungefähr 35.000 Kinder betreut werden, mit dem Berliner ­Senat einen sogenannten Entlastungstarifvertrag auszuhandeln. Dabei geht es nicht um Lohnerhöhungen, sondern um die Betreuungsstandards in den Einrichtungen. So sollen maximale Gruppengrößen und Notfallpläne für Personalengpässe verbindlich fest­gelegt werden. Zudem sollen besonders belastende Tätigkeiten bei der Berechnung der Betreuungsschlüssel berücksichtigt und die betrieblichen Ausbildungsbedingungen durch intensivere Anleitungen der Auszubildenden verbessert werden.

»Wir haben festgestellt, dass das Thema Entlastung bei den Kolleg:innen einen Nerv trifft und eine große Mobilisierungsfähigkeit besitzt.« Kalle Kunkel, Verdi

Einen solchen Tarifvertrag erkämpften erstmals die Beschäftigten des Berliner Universitätsklinikums Charité. Seither konnten entsprechende Vereinbarungen in weiteren Großkliniken auch in anderen Bundesländern durchgesetzt werden. Nun will Verdi auch bei der kommunalen Kinderbetreuung einen Entlastungstarifvertrag durchsetzen.

»Wir haben festgestellt, dass das Thema Entlastung bei den Kolleg:innen einen Nerv trifft und eine große Mobilisierungsfähigkeit besitzt«, teilte Kalle Kunkel, der Pressesprecher des Verdi-Landesbezirks Berlin-Brandenburg, der Jungle World mit. »Deswegen ist das eine Forderungen, die wir da, wo die Kolleg:in­nen stark genug sind, jetzt häufiger stellen.« Die Verdichtung von ­Arbeit verschaffe dem Thema immer größere Bedeutung.

Keine abweichenden Tarifverträge

Dass die Forderung nach Entlastung bei den Kita-Beschäftigten tatsächlich auf großen Widerhall stößt, zeigte sich Ende September. Nach zwei ergebnislosen Warnstreiks stimmten 91,7 Prozent der bei Verdi organisierten Betreuer:in­nen in einer Urabstimmung für einen unbefristeten Streik ab dem 30. September.

Auf Antrag des Landes Berlin untersagte das Arbeitsgericht Berlin den Streik am 27. September. Es berief sich dabei ­unter anderem darauf, dass das Land Berlin als Mitglied der Tarifgemeinschaft der Länder keine abweichenden Tarifverträge abschließen dürfe und daher nicht auf die Forderungen der Gewerkschaft eingehen könne. Bei Verstoß drohe dem Land der Ausschluss aus der Tarifgemeinschaft.

Gericht verweist auf Friedenspflicht

Das Landesarbeitsgericht formulierte es nicht so kategorisch, gestand dem Senat aber zu, dass mit Abschluss eines solchen Tarifvertrages ein solches Risiko bestehe. Die höhere Instanz hob in ihrem Urteil gegen Verdi aber vielmehr auf die sogenannte Friedenspflicht ab, die so lange verbindlich sei, bis die Verhandlungen gänzlich abgeschlossen sind.

»Wir kennen das, seitdem wir Auseinandersetzungen um Entlastungs­tarifverträge führen«, kommentierte Kunkel die Begründung. Arbeitgeberverbände fürchteten die Ausstrahlung derartiger Vereinbarungen und wollten ihre Mitglieder davon abhalten, auf entsprechende Forderungen der Beschäftigten einzugehen.

Der letzte unbefristete Streik von Kita-Erzieherinnen in Berlin liegt über 30 Jahren zurück.

Auch der Landesvorstand des Landeselternausschusses Kita (LEAK), einer Interessenvertretung von Eltern, lehnte bereits vor der Entscheidung einen unbefristeten Streik ab, weil dieser alle Eltern belasten würde. Kunkel kann das verstehen: Ein Streik im sozialen Sektor sei immer kontrovers. »Gerade weil der Bereich für das tägliche Leben vieler Menschen so bedeutsam ist, wird es den Beschäftigten schwergemacht zu streiken.« Ähnlich wie im ­Gesundheitswesen ist das einer der Gründe, warum in der Kinderbetreuung selten gestreikt wird. Der letzte unbefristete Streik von Kita-Erzieherinnen in Berlin liegt über 30 Jahren zurück.

Aber Verdi steht Kunkel zufolge nicht alleine. Basiselterninitiativen in den Bezirken, selbstorganisierte Gruppen, aber auch Mitglieder des LEAK unterstützten demnach den Streikaufruf. Man verspreche sich eine Verbesserung der Betreuungssituation, von der auch Eltern und Kinder profitierten. Verdi könnte nun vor das Bundesarbeitsgericht gehen. Nach Kunkels Einschätzung weicht das Verbot »in wich­tigen Kernpunkten von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ab«.