Pierre-André Taguieff, Buchautor, im Gespräch über linken Antizionismus

»Anti­imperialistisch und anti­republikanisch«

Anfang der nuller Jahre prägte Pierre-André Taguieff den Begriff des »islamo-gauchisme«, mit dem er die Hinwendung französischer Linker zum Islam als vermeintlicher Religion der Unterdrückten beschrieb. Die »Jungle World« sprach mit dem Antisemitismus­kritiker über den Zusammenhang zwischen dem gegenwärtigen Antizionismus und einer dekolonialen Tradition in der französischen Linken.
Interview

In Ihrem Essay »Le Nouvel Opium des progressistes« vom Dezember 2023 analysieren Sie die Radikalisierung des Antizionismus in Frankreich und sprechen vom Phänomen des islamo-palestinisme. Was verstehen Sie darunter?
Der sogenannte israelisch-palästinensischen Konflikt ist ein vielschichtiges Phänomen, das oft auf den Kampf zweier Völker um dasselbe Territorium reduziert wird. Politische oder geopolitische Erklärungen dieses Phänomens erscheinen mir unzureichend, da sie den Konflikt als einen Zusammenstoß rivalisierender Nationalismen betrachten. Das ignoriert die Tatsache, dass der »palästinensische Nationalismus« erst spät nach dem Vorbild des jüdischen Nationalismus, also des Zionismus, entstand und sein Antrieb von Beginn an auch religiöser Natur war. Der israelisch-palästinensische Konflikt wird als Auseinandersetzung zwischen Herrschenden und Beherrschten, Kolonialisten und Kolonisierten, Rassisten und Rassifizierten mythologisiert. Dabei gehen die politisch-religiösen Grundlagen der antizionistischen Ideologie unter. Da sich der palästinensisch-nationalistische Antizionismus nicht ohne den Islamismus erklären lässt, spreche ich vom islamo-palestinisme.

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