Der Trend zum Arbeiten auf Reisen

Sexy im Kapitalismus

Arbeit ist Arbeit und Urlaub ist Urlaub? Diese Vorstellung gilt offenbar immer mehr Menschen als aus der Zeit gefallen - Stichwort »Workcation«.

Wissen Sie, was das Gegenteil von Arbeit ist? Urlaub! Im Urlaub lese ich keine E-Mails, gehe nicht ans Telefon und lösche Sprachnachrichten ungehört direkt nach dem Eingang. Urlaub ist mein Ihr-könnt-mich-alle-mal-Wellnesstrip!

Und das ist sogar gesetzlich geregelt. Im Bundesurlaubsgesetz (das gibt es wirklich) ist ausdrücklich festgelegt, dass der Urlaub der ­Erholung dient. Kein Chef darf erwarten, dass seine Angestellten in dieser Zeit irgendwie erreichbar sind.

Zwei Drittel aller Berufstätigen, die in diesem Jahr einen Sommerurlaub geplant haben, wollen während ihrer Auszeit beruflich erreichbar bleiben.

Doch diese offenbar aus der Zeit gefallene Vorstellung von Urlaub verschwimmt immer mehr, und zwar nicht nur bei den Chefs, sondern auch bei vielen Arbeitnehmer:innen. Völlig schleierhaft ist mir das Konzept ­workcation, ein Kofferwort aus work und vacation – also in den Urlaub zu fahren, um dort zu arbeiten. Die Bilder, die dazu in meinem Social-Media-­gestörten Hirn aufploppen, zeigen junge Menschen, die zwischen Surfen und Vanlife eben noch mal ein Projekt managen oder eine App programmieren. Die sitzen im knappen Bikini am Infinitypool und tippen entspannt auf ihrem Laptop herum. Die work­cation ist der heilige Gral der sogenannten hybriden Arbeitswelt: So cool und sexy kann Kapitalismus sein! 

Einer Umfrage von Bitkom zufolge, einem Verband von Unternehmen der IT-Branche, wollen zwei Drittel aller befragten Berufstätigen, die in diesem Jahr einen Sommerurlaub geplant haben, während ihrer Auszeit beruflich erreichbar bleiben. Arbeiten auf Reisen – was früher ein hippes Lebensmodell für Welten­bummler:innen und digitale Nomaden war, soll jetzt für die Mehrheit gelten? 

In Wahrheit hockt man im dunklen Hotelzimmer 

Von mir aus können ja alle arbeiten, wo sie wollen. Aber das soll man doch bitte nicht Urlaub nennen! Ganz abgesehen von der eigenen Erholung geht man nämlich auch anderen damit mächtig auf die Nerven. Oder wollen Sie vielleicht morgens in der Ferienwohnung aufwachen, während jemand im Bett neben Ihnen seine E-Mails checkt?

Denn in Wahrheit arbeitet ja niemand am Pool, weil es da viel zu hell und zu heiß ist, auch wenn manche auf Instagram den Anschein erwecken. In Wahrheit hockt man in einem dunklen Hotelzimmer oder im schwülen Zelt und ärgert sich, dass man nicht anständig entspannt.

Das sogenannte Effort-Recovery-­Modell aus der Urlaubsforschung (auch die gibt es!) besagt, dass sich Arbeit­nehmer:innen am besten dann erholen, wenn sie in den Auszeiten einen Kon­trast zum Berufsalltag erleben. Wichtig für die Entspannung scheint zu sein, dass man über einen längeren Zeitraum keinen Stress hat. Viele kennen das Gefühl, zu Urlaubsbeginn partout nicht abschalten zu können. Das dauert oft ein Weilchen. Wenn zwischendurch dann immer noch ein Telefon klingelt, ist alle Erholung hinüber. Beim work­cation-Modell kann man den Stress zwar vielleicht kurzfristig im Pool ertränken. Los wird man ihn aber nicht.