Eine KI-Doku, Die Verlierer, Peter Cat Recording Co und Werner Herzog

Nonbinär wie Helmut Kohl, aber mit Lederjacke

Popkolumne. Die Verlierer liefern den Sound zur rechten Zeit.

Stellen Sie sich vor, Chat GPT würde es Ihnen ermöglichen, mit Toten zu sprechen. Würden Sie es tun? Eine junge Frau in der Doku »Eternal You« hat nicht lange gezögert. Mit Hilfe der KI-Anwendung einer jener Firmen, die versprechen, »Tote zum Leben zu erwecken«, hat sie vermeintlich mit ihrem verstorbenen Freund gechattet. Doch dann schreibt dieser, er sei in der Hölle gelandet! Eine Fortsetzung des Gesprächs gibt es nur gegen Bezahlung.

Der Programmierer lehnt feixend jede Verantwortung ab. Auch eine verzweifelte Mutter muss mit der medienwirksam ausgeschlachteten Begegnung mit dem VR-Klon ihrer verstorbenen Tochter selbst klarkommen. Das Geschäft mit der Trauer ist äußerst lukrativ. In der aufschlussreichen Dokumentation kommen Pioniere dieser Technologie, aber auch Psychologen und die ersten User zu Wort.

Mit Untoten beschäftigen sich auch die relativ neue, aus Mitgliedern der Gruppen Chuckamuck und Maske entstandene Berliner Band Die Verlierer auf ihrem vorige Woche erschienenen zweiten Album »Notausgang«. Kaum eine andere Band schafft es, den 77er Punk-Vibe einer Band wie der Dead Boys und den Achtziger-Depro-Sound von EA80 derart zeitgemäß zu interpretieren. Songtitel wie »Fickt diese Stadt«, »Alptraum«, »Allesfresser« oder »Stacheldraht« sprechen Brockhaus-Bände.

In einem überaus spielfreudigen, Cocktail-kompatiblen Mix aus Cosmic Disco, Bollywood-Score und Rat-Pack-Crooning singen Peter Cat Recording Co. aus Neu-Delhi: »People never change, but I will, ’cause I never give a fuck that I’ll never be enough«.

Und dank der wieder selbstbewusst nach rechts gerückten Mitte fühlt sich dieser Sound mindestens so authentisch an wie zu den Slime-igen Zeiten Helmut Kohls. Während Chuckamuck immer wieder auch ihre Flower-Power-Freak-Folk-Momente hatten, bietet das neue Bandprojekt einen Punk-Flashback in schwarzer Lederjacke, vollgekritzelt mit weißem Edding-Stift.

Wem das alles viel zu binär, zu schwarz und weiß erscheint, dem sei dieser Tage die neue Single der famosen Popband Peter Cat Recording Co. aus Neu-Delhi empfohlen. In einem überaus spielfreudigen, Cocktail-kompatiblen Mix aus Cosmic Disco, Bollywood-Score und Rat-Pack-Crooning singen sie: »People never change, but I will, ’cause I never give a fuck that I’ll never be enough«.

Sich einen Dreck um die Meinungen anderer Leute scheren, das macht auch Werner Herzog schon seit vielen Jahrzehnten. Nun hat der 81jährige sich in seinem autobiographisch gefärbten Essaybändchen mit der »Zukunft der Wahrheit« beschäftigt. Er ist der festen Überzeugung, dass man »nur durch Stilisierung, Erfindung, Poesie und Phantasie, eine tiefere Schicht von Wahrheit« erkunden kann. Zwischen gefühlten Wahrheiten, historischen Fake News und halluzinierender KI drängt sich die Frage auf: Wovon träumt das Internet?