Freispruch im »Indymedia-­Prozess« für Fabian Kienert, Redakteur von Radio Dreyeckland

Freispruch mit bitterem Beigeschmack

Der Journalist Fabian Kienert stand vor Gericht, weil er einen Link gesetzt hatte, der der Staatsanwaltschaft missfiel. Kienert wurde nun freigesprochen, sieht aber dennoch die Pressefreiheit bedroht.

Fabian Kienert, Redakteur beim linksalternativen Freiburger Sender Radio Dreyeckland, wurde am 6. Juni vor dem Landgericht Karlsruhe freigesprochen. Er war angeklagt, durch bloße Verlinkung in einem Bericht eine verbotene Vereinigung unterstützt und beworben zu haben. Es ging um einen Verweis auf die Archivseite der verbotenen Internetplattform Linksunten Indymedia.

Der Vorsitzende Richter Axel Heim betonte nun, dass er das Verhalten des Journalisten unter keinem Gesichtspunkt für strafwürdig halte. Anderer Meinung hingegen war Staatsanwalt Manuel Graulich. Diesem zufolge hat Kienert nicht nur eine verbotene Vereinigung unterstützt, sondern auch Straftaten gebilligt, ­in­direkt zu solchen aufgerufen und die Gefährdung von Menschen, »insbesondere Polizisten«, in Kauf genommen. Der Staatsanwalt forderte in seinem Plädoyer eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen à 40 Euro, also insgesamt 3.600 Euro.

Verantworten musste sich Kienert wegen eines Artikels aus dem Juli 2022. Darin berichtete er über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen den mutmaßlichen Betreiberkreis hinter Linksunten Indymedia. Bei der Plattform handelte es sich bis zu ihrem Verbot 2017 nach Einschätzung des Bundesinnenministeriums um das »wichtigste Informations- und Propagandamedium für die linksextremistische Szene im deutschsprachigen Raum«. Neben Demonstrationsaufrufen und Recherchedossiers über rechtsextreme Umtriebe fand man dort auch Bekennerschreiben oder Anleitungen zum Bau von Molotow-Cocktails. Kienert hatte in seinem Artikel – wie auch die Taz und die Zeit in ihren Berichten – die Archivseite von Linksunten Indymedia verlinkt.

Staatsanwalt Manuel Graulich sagte vor Gericht, dass »Aktivismus in der DNA linker Medien« liege und Radio Dreyeckland »Haus- und Hofberichterstatter der Freiburger Antifa« sei.

Für den Freiburger Journalisten hatte die Berichterstattung ein bedrohliches Nachspiel. Staatsanwalt Graulich argumentierte, Kienert habe sich durch ­seinen Artikel zum »Sprachrohr« und »verlängerten Arm« der verbotenen Plattform gemacht. Ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung, am 17. Januar 2023, kam es zu gleich drei Hausdurchsuchungen in dieser Sache; nicht nur die Redaktionsräume waren betroffen, sondern auch Privatwohnungen. Kienert zufolge konnte nur durch eine anwaltliche Intervention verhindert werden, dass elektronische Datenträger in der Redaktion beschlagnahmt wurden. Da der Beitrag auf der Website von Radio Dreyeckland lediglich mit dem Autorenkürzel »FK« versehen war, sollte durch die Razzien angeblich die Urheberschaft des Beitrags geklärt werden.

Allerdings geht aus einem Polizeivermerk hervor, dass die Er­mit­tle­r:in­nen das Kürzel schon vor dem Einsatz Fabian Kienert zugeordnet hatten. Aus dem Protokoll zur Durchsuchung in Kienerts Wohnung ist zudem ersichtlich, dass der Beschuldigte schon sechs Minuten nach Beginn der Razzia eingeräumt hatte, den strittigen Text verfasst zu haben. Trotzdem wurden ein Laptop, zwei Handys und vier USB-Sticks in seiner Wohnung beschlagnahmt, da es nach Ansicht von Staatsanwalt Graulich noch galt, das Geständnis zu validieren.

Redaktionsgeheimnis, Informantenschutz, Verhältnismäßigkeit

Die Auswertung musste jedoch wegen einer Beschwerde zur Rechtmäßigkeit der Hausdurchsuchungen unterbleiben. Im Zuge der Verhandlung bemühte sich Staatsanwalt Graulich ­darum, sie doch noch auswerten zu dürfen. Dadurch wären nach Angaben von Kienerts Verteidigung über 50.000 E-Mails der Redaktion von Radio Dreyeckland einsehbar geworden.

In einem Beweisantrag mutmaßte Graulich, durch eine Auswertung von Kienerts Nachrichtenverläufen könnten sich Anknüpfungstatsachen ergeben. Diese hätten, so die Vermutung Graulichs, belegen können, dass Kienert und die mutmaßlichen Linksunten-Betreiber verabredet hätten, ein Propagandastück »einschließlich einer aktiven Verlinkung« auf die Archivseite als journalistischen Beitrag zu tarnen. In Ermangelung konkreter Anhaltspunkte für diese Vermutung betonte Richter Heim, das bewege sich »an der Grenze zur Behauptung ins Blaue hinein«. Unter Verweis auf Redaktionsgeheimnis, Informantenschutz und Verhältnismäßigkeit wurde der Beweisantrag abgelehnt.

Der Angeklagte selbst kann es »bis heute nicht fassen«, dass er wegen »einer harmlosen, sachlichen Meldung vor Gericht gezerrt« wurde, teilte er der Jungle World mit. Vor Gericht berichtete er, nach der Razzia habe er wochenlang Alpträume gehabt. Das Landgericht Karlsruhe hat ihm mit dem Freispruch zudem eine kleine Entschädigung für die Wohnungsdurchsuchung und die Beschlagnahme seines Laptops zugesprochen.

Gegen unliebsame Journalis­t:innen vorgehen

Einerseits zeigte sich Kienert im Gespräch mit der Jungle World erleichtert über das Urteil, aber es sei ein »Freispruch mit bitterem Beigeschmack«. In einer Stellungnahme vor Gericht sprach er zudem von einem Justizskandal. Denn »gerade angesichts der stetigen politischen Entwicklung nach rechts kann einem dieser Fall Angst machen. Er zeigt nämlich, wie wenig Schutz die Presse- und Rundfunkfreiheit und das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung schon jetzt bieten.« Wenn in naher Zukunft immer mehr »Menschen mit dezidiert rechter Gesinnung« in die Institutionen des Rechtsstaats drängen, werde es ­ihnen »ganz offensichtlich ein Leichtes sein, gegen unliebsame Journalis­t:innen vorzugehen«.

Indessen hat Staatsanwalt Graulich noch nicht aufgegeben. Vor Gericht sagte er, dass »Aktivismus in der DNA linker Medien« liege und Radio Drey­eckland »Haus- und Hofberichterstatter der Freiburger Antifa« sei. Daher solle die Pressefreiheit im Fall Kienert weniger stark berücksichtigt werden. Die schriftliche Urteilsbegründung konnte er offenbar nicht abwarten und legte bereits einen Tag nach dem Freispruch Revision vor dem Bundesgerichtshof ein. Neben der Verfolgung politischer Kriminalität hat Manuel Graulich vor kurzem eine weitere Tätigkeit übernommen: Seit 1. Juni ist er Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Karlsruhe.