Zerwürfnisse in der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von ­Parawissenschaften (GWUP)

Showdown in Augsburg

Die kleine, aber feine Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften ist zerstritten. Bei einer Mitgliederversammlung am 11. Mai könnte es zur Spaltung kommen.

Gegründet 1987, 2.500 Mitglieder, ein Wissenschaftsrat, der darauf achtet, dass die wissenschaftlichen Standards eingehalten werden: Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) ist klein, aber eher fein. Ein Zusammenschluss von »Schlaumeiern«, wie ein Mitglied den Verein mit liebevoller Ironie im Hintergrundgespräch beschreibt. Als in den achtziger Jahren die Esoterikszene zu boomen begann, trat die GWUP an, um mit wissenschaftlichen Fakten und Vernunft dagegenzuhalten. Sie kritisierte den Glauben an Homöopathie und belegte immer wieder die Wirkungslosigkeit der teuren Globuli-Zuckerkügelchen. Man stellt sich seit Jahrzehnten gegen verschiedene Verschwörungstheorien und widmet sich dabei auch eher randständigen Themen wie der Satanic panic oder dem Glauben an Spukgeister.

Die Mitglieder sehen sich dem rationalen, wissenschaftlichen Denken verpflichtet. Die GWUP hält die Fahne der Aufklärung hoch. Doch wie lange sie das noch tut, ist fraglich. Denn zurzeit wird ein großer Kampf um die Macht in dem kleinen Verein ausgefochten, bei dem es nicht ganz so rational zugeht. Der Höhepunkt wird die Mitgliederversammlung am 11. Mai auf der Skeptikermesse Skepkon in Augsburg sein, auf der es zu einer vorgezogenen Vorstandswahl kommen soll.

Dort treten im wahrsten Sinn des Wortes zwei Mannschaften gegeneinander an. Es gibt Wahlprogramme und Teams. Das »Team Hümmler« hat sich unter dem Motto »Wissenschaftlich, skeptisch, menschlich. Einig in der Sache, divers in der Zusammensetzung« hinter dem seit einem Jahr amtierenden Vorsitzenden Holm Gero Hümmler versammelt. »Team Sebastiani« steht hinter Hümmlers Herausforderer André Sebastiani. »Gemeinsam skeptisch: Ein neuer Wertekompass für unsere GWUP« ist ihr Slogan.

Im Kern geht es um die Frage, wie sich Skeptiker zu den populären sogenannten Critical Studies wie Critical Race Theory, Gender Studies oder Postcolonial Studies stellen sollen.

Der Konflikt hat zwei Ebenen: Auf der einen geht es um Ämter, persönliche Verletzungen, Enttäuschungen und Beleidigungen sowie den Vorwurf, Hümmlers Wahl zum Vorsitzenden sei damals nicht korrekt verlaufen, wobei niemand einen Beleg dafür anbringen kann, dass dem rechtlich so war. Hümmler hatte vor einem Jahr auf einer Mitgliederversammlung, bei der der neue Vorstand gewählt werden sollte, überraschend angekündigt, dass er gegen den vom scheidenden Vorsitzenden vorgeschlagenen Kandidaten antreten wolle. Das ist bei den meisten Vereinen, wie auch bei der GWUP, ungewöhnlich, aber legal. Lange schwelende Konflikte brachen damit aus. Mitglieder, die sich seit Jahren kennen, brachen den Kontakt zueinander ab.

Man beschimpfte sich auf internen Mailinglisten und öffentlich auf X. Das Geflecht der handelnden Personen mit ihren wechselnden Kontakten ist dabei so unüberschaubar wie die Anzahl der Figuren in Tolstois Roman »Krieg und Frieden«. Alle kennen sich seit Jahren, schätzten sich früher meist sehr und heute nicht mehr. Vereinsmeierei in Höchstform, die alle bekannten Vorurteile über diese Form der organisierten Freizeitgestaltung bestätigt.

Wie stellt sich der Verein zu den Critical Studies?

Auf der zweiten Ebene geht es um Inhalte. Wie im Rest der Gesellschaft und in vielen Institutionen haben Theorien, die auf postmodernen Annahmen basieren und im Kern auf die Leugnung einer außer- und vorgesellschaftlichen Objektivität hinauslaufen, auch bei der GWUP zu Streit und Spaltung geführt. Im Kern geht es um die Frage, wie sich der Verein zu den populären sogenannten Critical Studies, zu denen unter anderem die Critical Race Theory, Gender Studies und Postcolonial Studies gehören, stellen soll.

André Sebastiani, der auch Mitglied im Landesvorstand der Bremer SPD ist, spricht sich dafür aus, dass sich die GWUP dieser Themen annehmen solle: »Man muss sich mit dem Bereich auseinandersetzen. Ich habe zumindest den Anfangsverdacht, dass vieles, was aus diesem Theoriebereich kommt, wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt. Und wenn das so ist, muss die GWUP auch in der Lage sein, etwas dazu in der Öffentlichkeit zu sagen«, sagte er der Jungle World. Für Sebastiani und seine Mitstreiter ist zum Beispiel klar, dass Geschlecht kein reines soziales Konstrukt ist, sondern ein in der Biologie klar definierter Begriff. Dass es bei höher entwickelten Tieren im Sinne dieser Definition nur zwei Geschlechter gibt, sei eine Tatsache. Das sehen seiner Ansicht nach nicht alle bei der GWUP so. Stephanie Dreyfürst, Teil des Teams Hümmler, twitterte beispielsweise im April des vergangenen Jahres: »Ähm, es gibt mehr als nur zwei biologische Geschlechter, und das nicht nur beim Menschen.«

»Wer sagt, es gäbe bei Menschen nur zwei biologische Geschlechter, muss mittlerweile bei der GWUP mit dem Vorwurf rechnen, er sei rechtsoffen«, sagt Sebastiani. Er wolle die GWUP für die gesamte Mitte der Gesellschaft öffnen. Sebastiani sagt, er glaube nicht, dass Hümmler persönlich »woke« sei. Aber viele, die ihn unterstützen, würden mit den postmodernen Theorien sympathisieren.

»Transfeindliche Bildsprache« vermeiden

Hümmler warnt in der Tat davor, dass »ideologische Kampfbegriffe wie ›Woke-Phänomen‹, ›WOKE‹ in Großbuchstaben oder ›Wokismus‹ (…) unsere Außendarstellung in die Nähe neurechter Narrative bringen«. Auch »transfeindliche Bildsprache« solle vermieden werden, schrieb er im vergangenen Herbst auf X. Aber auch Hümmler selbst sieht sich nicht als »woke« an: »Ich bin nach 25 Jahren aus der CDU ausgetreten, weil mir die Union unter Merkel zu sozialdemokratisch wurde«, sagt er der Jungle World.

Für einen social justice warrior eine eher ungewöhnliche Position. Für Hümmler sind die Aussagen der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler, nach der das biologische Geschlecht ein Konstrukt sei, Unsinn: »Keine von uns sympathisiert mit jemandem, der sagt, das biologische Geschlecht spiele keine Rolle.«

Antisemitische Hetze mit der Kritik an woken Theorien gleichzusetzen, vor allem wenn diese nach geltenden Kriterien wissenschaftlich belegbar ist, zeugt nicht gerade von Wissenschaftlichkeit.

Doch aus den Woke-Debatten will Hümmler die GWUP heraushalten: »Wir können natürlich wissenschaftlich zu einigen Aussagen aus dieser Richtung Position beziehen, aber generell sollten wir mit diesem Phänomen so umgehen wie mit Religion.« Die GWUP beschäftigt sich zwar mit einzelnen Aussagen religiöser Gruppen, zum Beispiel zur Evolution, zu denen es naturwissenschaftlich klare Positionen gibt, aber nicht mit dem historischen Phänomen Religion an sich. »Inhaltlich geht es darum, ob wir ein Verein sind, der für alle Demokraten offen ist und sich auf die Themen konzentriert, die wir immer hatten – Esoterik, Parawissenschaften –, und ansonsten politisch neutral ist.«

Allerdings wendet sich Team Hümmler in seinem Programm auch mit einem geschichtslosen Vergleich dagegen, die Woke-Theorien zu verdammen: »Titel wie ›Das Woke-Phänomen – Angriff auf die Wissenschaft‹ sind bei der GWUP ebenso deplatziert, wie es ›Das Judentum – Angriff auf die Wissenschaft‹ wäre.« Antisemitische Hetze mit der Kritik an woken Theorien gleichzusetzen, vor allem wenn diese nach geltenden Kriterien wissenschaftlich belegbar ist, zeugt nicht gerade von Wissenschaftlichkeit.

In Augsburg wird es am 11. Mai zum Showdown kommen. Team Hümmler oder Team Sebastiani – es wird nur einen Gewinner geben. Hümmler will bei den Wahlen erreichen, dass es einen »funktionierenden Vorstand« gibt, was für ihn ein Vorstand ohne Sebastiani ist. Verliert Hümmler, tritt er aus. »Wenn mich dann Leute fragen, ob ich bei einem neuen Skeptiker-Projekt dabei bin, werde ich nicht nein sagen.«

Sebastiani hat ein solches bereits vorbereitet: Der Bremer steht im Impressum der Website des Informationsnetzwerks Skeptische Gesellschaft, das sich schnell zu einem Verein weiterentwickeln ließe. Aus einem Verein könnten also schnell zwei werden. Egal wie der Streit ausgeht, dürfte es danach einen deutschen Verein mehr geben.