Der Herausgeber eines Sammelbands über Psychotherapie verklagt seine Kritiker

Kritik vor Gericht

Der Herausgeber eines Sammelbands über Psychotherapie und Gesellschaftskritik klagt gegen die Gruppe Kritische Psychotherapie Köln/Bonn, weil sie den Band in einer Rezension als in Teilen rechtsextrem bezeichnet hat. Die Gruppe spricht von einem Einschüchterungsversuch.
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Drei erfolglose Klagen waren offenbar nicht genug: Am 14. März werden sich vor dem Landgericht Frankfurt am Main erneut der Psychotherapeut Martin Wendisch und ein angeklagter Vertreter der Gruppe Kritische Psychotherapie Köln/Bonn gegenüberstehen. Wendisch ist Herausgeber des 2021 veröffentlichten Sammelbands »Kritische Psychotherapie: Interdisziplinäre Analysen einer leidenden Gesellschaft«. Er verklagt den Vertreter der Gruppe, weil dieser verantwortlich zeichnet für die Veröffentlichung einer kritischen Rezension des Buches im Internet.

250.000 Euro soll der Angeklagte zahlen, wenn diese weiterhin auf der Website der Gruppe zu lesen ist. In dem Text wirft die Gruppe Wendisch vor, bei seinem Buch, das Aufsätze von insgesamt 27 Autor:innen enthält, darunter auch zahlreiche Texte vom Herausgeber selbst, handle es sich »in weiten Teilen um ein rechtsextremes Werk«.

Wendisch ist Mitunterzeichner des Manifestes des sogenannten Netzwerks Wissenschaftsfreiheit, das sich dafür einsetzen will, »die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen«. Wenn es nach Wendisch geht, soll diese Freiheit offenbar nicht für die Gruppe Kritische Psychotherapie Köln/Bonn gelten. In dieser haben sich Psychologiestudierenden, Psychotherapeut:in­nen während und nach der Ausbildung sowie Interessierter aus verwandten Berufsfeldern zusammengeschlossen.

Im Buch heißt es, der »Genderismus« unterstütze ein »generelles Dogma der Unfruchtbarkeit und Bindungs-losigkeit« und das Ziel der »Staatsmedien« sei die »NWO-Einheitsmeinung«.

Eigentlich hätte die Veröffentlichung des Buchs »Kritische Psychotherapie« im renommierten Fachverlag Hogrefe den Interessen der Gruppe entsprechen können, denn Versuche, gesellschaftskritische Perspektiven mit psychotherapeutischer Praxis in Verbindung zu bringen, sind heute selten. Die Herausgabe eines solchen Titels ist deshalb an sich bereits bemerkenswert.

Allerdings reagierte die Gruppe in der umfassenden Rezension eher schockiert. Der Herausgeber setze mit dem Sammelband geschickt »sein in weiten Zügen rechtsextremes Weltbild in Szene«, resümierte sie.

Auf 22 dicht beschriebenen Seiten argumentiert die Gruppe, dass Wendisch rechtsextreme Thesen im Buch platziert habe. So ist beispielsweise von einem »manipulierten Geldsystem« die Rede, ferner heißt es, der »Genderismus« unterstütze ein »generelles Dogma der Unfruchtbarkeit und Bindungslosigkeit« und das Ziel der »Staatsmedien« sei die »NWO-Einheitsmeinung«.

Das Kürzel steht für »Neue Weltordnung«, eine unter Rechtsextremen beliebte Verschwörungstheorie. Auch andere einschlägige Vokabeln wie »deep state« und »Globalisten« finden sich im Buch. Die »Migrationsstrategie« folge, so Wendisch, einer »Entwurzelung aus den Herkunftsgesellschaften und einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Zielgesellschaften«.

Dieser Jargon rahmt den ganzen Band. Denn – was eher unüblich ist – etwa ein Drittel der 36 Texte im Band hat der Herausgeber Wendisch selbst verfasst. So stehen auch die Texte seriöser Autor:innen im vom Herausgeber gesetzten Kontext, womöglich ohne dass diese zuvor von diesem gewusst haben, wie die Verfasser der Rezension mutmaßen.

Jedoch enthält das Buch auch Texte von Autoren, die bereits für einschlägige Beiträge zu politischen Debatten bekannt sind. Zum Beispiel ist da der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera, der in dem Band seinen Feldzug gegen die Gender Studies fortführen darf. Oder Klaus-Jürgen Bruder, der als Vorsitzender der Neuen Gesellschaft für Psychologie deren jüngsten Tagungsband mit dem Titel »Corona. Inszenierung einer Krise« im »Querdenker«-Verlag Sodenkamp & Lenz mitherausgab.

Hogrefe hat nach Erscheinen der Rezension Wendischs Buch zurückgezogen. Seitdem prozessiert Wendisch mit erheblicher Ausdauer. Es begann mit einer Unterlassungsklage, die das Landgericht Freiburg im Juni 2022 zurückwies. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Rezension vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt und keine Schmähkritik sei. »Derjenige, der sich durch eigene, öffentliche Stellungnahmen in eine öffentliche Diskussion einschaltet, muss jedoch eine scharfe Reaktion grundsätzlich auch dann hinnehmen, wenn sie sein Ansehen mindert«, heißt es in der Begründung.

Wendisch ging zweimal erfolglos vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe in Berufung. Aber auch diese Niederlagen bremsten ihn nicht. In seiner neuen Klage vor dem Landgericht Frankfurt am Main ist der Streitwert deutlich erhöht.

Die Klageschrift verweist unter anderem auf positive Besprechungen des Buchs. Allerdings tragen diese teilweise zum Gesamteindruck bei, zum Beispiel diejenige, die Herbert Breger, Professor für Philosophie im Ruhestand, auf dem Fachportal Socialnet.de veröffentlicht hat. Er war 2022 der Verschwörungstheoretikerin Ulrike Guérot beigesprungen, indem er einen sie unterstützenden offenen Briefes unterzeichnete. Außerdem führt Wendischs Anwalt ein Interview Wendischs mit Thorsten Polleit an, dem Präsidenten des Ludwig-von-Mises-Instituts. Dieser war zusammen mit Markus Krall Ökonom bei Degussa Goldhandel und publizierte auch in der Jungen Freiheit.

Die Gruppe Kritische Psychotherapie Köln/Bonn ordnet die Klage als SLAPP ein: »strategic lawsuit against public participation«.

Nach drei Niederlagen ist damit zu rechnen, dass Wendisch auch dieses Mal scheitern wird. Die Gruppe Kritische Psychotherapie Köln/Bonn vermutet aber, es gehe ihm auch nicht um den Sieg vor Gericht. Im Gespräch mit der Jungle World ordnet die Gruppe das Vorgehen Wendischs als SLAPP-Klage ein; SLAPP steht für »strategic lawsuit against public participation«. Dabei sollen der zeitliche und finanzielle Aufwand der Verfahren und der drohende Schaden die Betroffenen zum Schweigen bringen und andere von ähnlichen kritischen Einlassungen abschrecken.

»Unabhängig von der Erfolgswahrscheinlichkeit wird geklagt, allein um die Betroffenen einzuschüchtern und beschäftigt zu halten«, sagt die Gruppe. »Wenn du eine Klage mit der Forderung nach 250.000 Euro Ordnungsgeld oder sechs Monaten Haft auf den Tisch bekommst, geht dir erst mal die Muffe.« Hier seien Solidarität und öffentliche Unterstützung nötig, beispielsweise Spenden, um die Anwaltskosten zu decken.

Wendisch hat mit seinem Buch und dem Versuch, die Kritik daran zu ersticken, gesellschaftskritische Ansätze in der Psychotherapie in kein gutes Licht gerückt. Dabei ist die Untersuchung krankmachender gesellschaftlicher Verhältnisse essentiell, um psychische Erkrankungen zu verstehen. »Es gibt in Psychologie und Psychotherapie schon auf der Theorieebene eine gesellschaftliche Leerstelle«, sagt die Gruppe Kritische Psychotherapie der Jungle World. »Da machen nun Rechte das Angebot, diese mit ihren regressiven Deutungen zu besetzen.«

Das sei Teil der neurechten Metapolitik, den vorpolitischen Raum zu besetzen, insbesondere in den Universitäten. Wendischs Buch erhebt den Anspruch, Gesellschaftskritik zu üben, liefert aber der Gruppe zufolge durch seine Rahmung vor allem eine Naturalisierung sozialer Prozesse: Die Lösung der Probleme bestehe demnach in einem »zurück zum natürlichen, guten Kern des Menschen, der vom Globalismus und Genderismus geheilt werden müsse – zugespitzt ausgedrückt«.

Die Dialektik von Subjekt und Gesellschaft läuft gerade in Bezug auf psychische Erkrankungen ständig Gefahr, einseitig aufgelöst zu werden. Dann wird etwa über die Gesellschaft gesprochen, als sei sie ein kranker Mensch. So glaubt Wendisch beispielsweise, die Politik in Deutschland überkompensiere den Na­tionalsozialismus »durch einen nach außen unterwür­figen und nach innen moralisch autoritären Nationalmasochismus«. Auf der anderen Seite werden psychische Erkrankungen umstandslos aus den – oftmals unverstandenen – gesellschaftlichen Verhältnissen hergeleitet. Diese regressiven Denkformen öffentlich benennen zu dürfen, ist notwendig für eine kritische Psychotherapie und offensichtlich im Sinne der Wissenschaftsfreiheit.