Es darf bezweifelt werden, dass die Linkspartei noch zu retten ist

Zeit, Abschied zu nehmen

Die Linkspartei ist weit entfernt von Erfolgen. Klaus Lederer, ehemaliger Berliner Bürgermeister und Kultursenator, schlägt einen Kurs­wechsel vor. Vielleicht aber wäre es einfach Zeit, Lebewohl zu sagen.

Der Zauber, von dem es heißt, er wohne jedem Anfang inne, kann sich leicht als Fluch entpuppen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Partei »Die Linke«. Gerade mal 17 Jahre ist es her, dass sie als Zusammenschluss der vorwiegend in Ostdeutschland relevanten Partei PDS und der weitgehend westdeutsch geprägten WASG entstand.

Der Alleinvertretung suggerierende Name, den man sich gab, schien zwar vielen nicht in die Gründung involvierten Linken anmaßend, doch ganz falsch war er nicht. Immerhin hatten in der PDS bereits alte SED-Kader mit punkigen jungen Großstadtlinken zusammengefunden. Mit der WASG kamen nun noch enttäuschte Sozialdemokraten und ehemalige Aktivisten kruder kommunistischer Kleinstparteien hinzu. Da lag der zauberhafte Gedanke, fortan die komplette deutsche Linke zu vertreten, wohl einfach nahe.

Inzwischen ist unübersehbar geworden, dass genau darin der Fluch lag. Erst gab es eine Austrittswelle, weil die Partei es nicht schaffte, sich von ihrer zunehmend rechtspopulistisch tönenden Talkshow-Galionsfigur Sahra Wagenknecht zu trennen. Schließlich ging diese selbst und zog dabei zahlreiche Parteimitglieder hinüber in ihr neues Querfrontprojekt Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Zurück blieb eine bedröppelte Restpartei, die aber durch die Austritte auch nicht homogener wurde.

Zu nahezu keinem politischen Thema gibt es noch konsistente Aussagen der Linkspartei.

Zu nahezu keinem politischen Thema gibt es noch konsistente Aussagen der Linkspartei. Ihr Grundsatzprogramm stammt von 2011 und bietet keinerlei Antworten auf derzeitige Pro­bleme, wie Russlands Krieg in der Ukraine oder Israels Verteidigung gegen die Hamas. In aktuellen Wahlumfragen liegt die Partei bundesweit nur noch bei etwa drei Prozent, ist in keinem der westdeutschen Flächenländer mehr im Parlament vertreten und selbst bei den kommenden Landtagswahlen in Sachsen und Sachsen-Anhalt droht sie an der Fünfprozenthürde zu scheitern. Der Verlust des Fraktionsstatus im Bundestag und die Notwendigkeit, eine neue Führung zu bestimmen, hätten eine Neuausrichtung möglich ­gemacht – aber diese Chance wurde vertan.

»Wer in einer Situation, in der man von Fraktions- auf Gruppengröße zusammengeschmolzen ist, eine Kampfabstimmung durchführt, wo sich eine Fraktionsspitze mit einer stummen Mehrheit durchsetzt, hat den Schuss nicht gehört. Das ist tatsächlich Ausdruck von vollkommener Unfähigkeit, auf die aktuelle Lage zu reagieren.« So Klaus Lederer, bis vor kurzem noch Kultursenator in Berlin und eines der bekanntesten Gesichter der Partei. In seinem jüngst erschienenen Buch »Mit links die Welt retten« versucht er zu skizzieren, wohin sich die Partei seiner Ansicht nach bewegen müsste, um den Untergang zu vermeiden.

Von Sahra Wagenknecht als »Lifestyle-Linke« verächtlich gemacht

Er ist ein Vertreter jenes großstädtisch geprägten, global denkenden Flügels, den Sahra Wagenknecht gern als »Lifestyle-Linke« verächtlich macht – queer, kulturaffin, ökologisch und israelsolidarisch. Was er fordert, ist eine konsequente Abkehr von jenem in weiten Teilen der Partei weiterhin virulenten Antiimperialismus, der sich mit Diktatoren und islamofaschistischen Massenmördern gemein macht – hin zu einem demokratischen Sozialismus, der die Freiheit des Individuums, Gleichstellung der Geschlechter und ökologische Verantwortung nicht als bloße Nebenwidersprüche abtut.

In seinem Buch versucht Lederer, verschiedene theoretische Ansätze eher einzubinden als auszugrenzen, und ist dabei ganz Realpolitiker, der weiß, dass es eine gewisse Breite braucht, um zu einer Zustimmungsrate über fünf Prozent ­zurückzukommen. Unklar bleibt allerdings, wie das zu realisieren wäre, ohne wieder in alte Flügelkämpfe zu verfallen.

Exemplarisch steht hierbei sein Verhältnis zu potentiellen Jungwählern aus dem »postkolonialen« und »antirassistischen« Lager, die er zwar deutlich für ihren Antisemitismus und das Abfeiern »brutaler Schlächter, Warlords und Diktatoren als ›antikoloniale Befreiungskämpfer‹« kritisiert, zugleich aber so tut, als ginge es hierbei nur um eine extremistische Minderheit einer ansonsten durchaus in den von ihm geforderten »radikalen ­Humanismus« integrier­baren Bewegung.

Antisemitismus und Diktatorenkuscheln sind der postkolonialen Bewegung fest eingeschrieben.

Was er dabei übersieht, ist, dass die postkoloniale Theorie unter jungen »Linken« gar nicht diese Relevanz hätte, ginge es nur darum, sich einer historischen Verantwortung zu stellen, ein paar Kunstwerke zurückzugeben und Straßen umzubenennen. Erst mit einem realen und gegenwärtigen Gegner, den man unerbittlich befehden kann, wird dieses Gedankengebäude attraktiv. Und das sind eben Israel und »der Westen«. Folglich sind Antisemitismus und Diktatorenkuscheln dieser Bewegung fest eingeschrieben.

Lederers Insistieren auf globale Lösungen und internationale Zusammenarbeit unterschlägt, dass es dafür derzeit kaum ernsthafte Partner gibt, und wie eine Unterstützung der Ukraine ­gegen Wladimir Putins Truppen mit einem Festhalten am grundsätzlichen Antimilitarismus in Einklang gebracht werden könnte, verrät er ebenso wenig. Dennoch könnte das Buch ein guter Debattenbeitrag für eine grundsätzliche Reform der Partei sein, sofern diese denn reformierbar wäre.

Wahrscheinlicher aber ist, dass sich ihr Gründungsfluch nur mittels Auf­lösung überwinden lässt. Das böte immerhin die – kleine – Chance, in Reaktion auf die von Lederer prognostizierten wachsenden sozialen Spannungen in­folge des Klimawandels und des Siegeszugs des Rechtsextremismus eine neue Linke ohne all den antiimperialistischen und antisemitischen Ballast zu konstituieren. Ein aus Versatzstücken verschiedenster ideologischer Verirrungen mühsam zusammengenähtes und zombiefiziert weiterexis­tierendes Parteikonstrukt würde dem zweifellos eher im Wege stehen.


Buchcover

Klaus Lederer: Mit links die Welt retten. Kanon-Verlag, Berlin 2024, 224 Seiten, 22 Euro