Die Versprechen einhalten
Es ist eine skurrile Szenerie, die sich am Freitag vergangener Woche im Berliner Regierungsviertel bietet. Rund um das Brandenburger Tor protestieren Bauern und LKW-Fahrer gegen die Ampelkoalition, vor allem gegen die Grünen. Über den Straßenschildern hängen Gummistiefel – ein Symbol der Protestierenden. Wütend klettern sie auf ihre Fahrzeuge und brüllen in irgendein Mikrophon, das ihnen vor die Nase gehalten wird, dass ihr aufgemotztes Kraftfahrzeug sowieso keine TÜV-Plakette mehr erhalten werde. Die Bauern haben ihre eigene Art, den Rednern beizupflichten: Statt zu applaudieren, hupen sie. Das kollektive Hupen ergibt nahezu unerträglichen Hintergrundlärm.
Nur ein paar Hundert Meter weiter, vor dem Bundestag, findet an diesem eisigen Tag etwas weitaus Ruhigeres und Bedächtigeres statt. Dort formieren sich in der Eiseskälte 20 Menschen zu einer Schlange auf der schneebedeckten Wiese. Die Gesichter sind zum Bundestag gerichtet. In ihren Händen halten sie Forderungen an die Bundesregierung.
Zu der Protestaktion aufgerufen hatte der Verein Jesidische Kultur- und Gemeinschaft Berlin e. V. Denn genau an diesem Tag vor einem Jahr erkannte der deutsche Bundestag den Völkermord an den Yeziden offiziell als solchen an. Geholfen hat es nicht. Im Gegenteil: Kurze Zeit später wurden bereits wieder Yeziden in den Irak abgeschoben und Familien getrennt.
Die Anwesenden erinnern die deutsche Regierung an ihr Versprechen, yezidisches Leben zu schützen. »Wir wollen, dass die versprochene Hilfe nicht nur auf dem Papier besteht«, sagt ein junger Mann, dick eingepackt in seiner Winterjacke und die Ohren mit Ohrenschützer bedeckt, der Jungle World. Der kalte Wind pfeift über das offene Gelände – und im Hintergrund machen sich immer noch die wütenden Bauern lautstark bemerkbar.
Derzeit ist eine siebenköpfige Familie aus der Nähe von Augsburg akut von der Abschiebung bedroht.
Auf Blättern steht neben den Forderungen der yezidischen Gemeinschaft auch ein Dank, dass der Völkermord überhaupt anerkannt wurde. Lange haben sie dafür gekämpft, seit 2014 der »Islamische Staat« in die Sinjar-Region einmarschiert ist und Tausende Yeziden getötet oder verschleppt hat. »Wir begrüßen es, dass Deutschland den Völkermord anerkennt«, teilt Eido Slo vom Verein Jesidische Kultur und Gemeinschaft der Jungle World mit. »Dennoch findet er weiterhin statt. Noch immer werden wir getötet, verschleppt, diskriminiert. Die Bundesregierung darf uns nicht vergessen.«
Bereits vergangenen Oktober harrten wegen geplanter Abschiebungen 30 Yeziden in einem zweiwöchigen Hungerstreik vor dem Bundestag aus. In Deutschland lebt die größte yezidische Diaspora Europas. Nach Angaben von Pro Asyl sind es etwa 5.000 bis 10.000 Yeziden, denen die Abschiebung in den Irak droht.
Derzeit ist eine siebenköpfige Familie aus der Nähe von Augsburg akut von der Abschiebung bedroht. Der Münchner Flüchtlingsrat ging in einer Pressemitteilung vom 16. Januar davon aus, dass sie bei einer geplanten Sammelabschiebung am 18. Januar hätte außer Landes gebracht werden sollen. Doch obwohl die Polizei mehrfach versucht habe, die Familie abzuholen, sei sie nie vollzählig in der Unterkunft vorgefunden worden, teilte der Flüchtlingsrat der Jungle World mit. Die Familie befindet sich demnach noch in Bayern.
Einzig ihr volljähriger Sohn, der bereits seit Dezember in Abschiebehaft am Münchner Flughafen sitzt, sei vor der Sammelabschiebung freiwillig ausgereist. Anders als wenn er abgeschoben worden wäre, könne er anschließend legal wieder einreisen und einen neuen Asylantrag stellen, so der Flüchtlingsrat.