Die Zahl demokratisch engagierter Menschen nimmt insbesondere in Ostdeutschland ab

Ein düsterer Blick in die Zukunft

Der erste Jahresrückblick des Bundesverbandes Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus ist erschienen. Demnach ist es der AfD gelungen, sich gesellschaftlich tief zu verankern. Das erschwert den Kampf gegen weitere Erfolge. Vor allem in ländlicheren Gegenden gibt es kaum mehr etwas, das man demokratische Zivilgesellschaft nennen könnte.

Die AfD stellt erstmals einen Oberbürgermeister. Im sächsischen Pirna hat der AfD-Kandidat Tim Lochner am Sonntag die Wahl in der zweiten Runde mit einfacher Mehrheit gewonnen. Wie derlei zustande kommt, kann man – ­zumindest, was die Beschreibung der Phänomene angeht – einer Quelle entnehmen, die seit Anfang Dezember vorliegt. Da veröffentlichte der Bundesverband Mobile Beratung (BMB) seinen ersten Jahresrückblick.

Der 2014 gegründete BMB ist der der Dachverband der Mobilen Beratungs­teams gegen Rechtsextremismus und für Demokratieentwicklung. Seit den neunziger Jahren besteht deren Aufgabe darin, auf lokaler Ebene Politiker und zivilgesellschaftlich Engagierte zu beraten, wie sie auf Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus und Verschwörungserzählungen reagieren können. Durch diese Tätigkeit erhalten die Mobilen Beratungsteams einen recht umfassenden Einblick in die politische Situation an Ort und Stelle, vor allem auch im ländlichen Raum.

Der auf Basis dieser Erfahrungen erstellte Bericht deutet darauf hin, dass sich die kommunalpolitischen Erfolge der AfD in nächster Zeit häufen werden. Demnach sei die Partei, im Gegensatz zu den anderen Parteien, »in nahezu allen Regionen präsent – sei es mit Bürgerbüros, Infoständen, Demonstrationen oder Wahlkampfveranstaltungen«. Es sei ihr gelungen, sich gesellschaftlich tief zu verankern. Zudem hätten sich die völkisch-nationalistischen Kräfte innerhalb der Partei weitestgehend durchgesetzt und diese trete auch in westdeutschen Bundesländern offen rechtsextrem auf.

Vorsichtig formuliert der Bericht, dass es in jenen Milieus, die gegen den Siegeszug der Rechten Widerstand zu leisten versuchen, eher düster aussieht.

Die Einstufung einzelner Landesverbände als »gesichert rechtsextrem« durch die zuständigen Landesämter für Verfassungsschutz habe »jedoch nicht zur gesellschaftlichen Ächtung der Partei geführt.« Im Gegenteil: Diese habe bei Landtagswahlen in Hessen und Bayern Stimmen hinzugewonnen und liege bei Umfragen in ostdeutschen Bundesländern mit 30 Prozent klar auf dem ersten Platz. Zudem würden ihre »Narrative« immer häufiger von Vertre­ter:innen demokratischer Parteien übernommen.

Vorsichtig formuliert der Bericht, dass es in jenen Milieus, die gegen den Siegeszug der Rechten Widerstand zu leisten versuchen, eher düster aussehe. Diejenigen, die sich in der »demokratischen Zivilgesellschaft« engagieren, stünden demnach vor großen »Herausforderungen« und seien »ermüdet«, so dass »vielerorts die Zahl demokratisch engagierter Menschen abnimmt.« Vor allem, aber nicht nur in Ostdeutschland gebe es eine wachsende Zahl von Re­gionen, in denen sich kaum noch Menschen öffentlich gegen rechte Stimmungsmache einsetzen wollten.

Die, die das dennoch täten, berichteten von Gefühlen der Vereinzelung und Ohnmacht und davon, dass sie im eigenen Umfeld, zum Beispiel in der Familie, mit entsprechenden Positionen konfrontiert seien. Zudem erlebten sie ­regelmäßig Drohungen und Anfeindungen. Von den politisch Verantwortlichen hingegen würden die Engagierten oft nicht ernst genommen. Schlimmer noch, extremismustheoretischen Ansätzen folgend werde Engagement gegen den Rechtsextremismus häufig als »gefährlich links« diffamiert.

Die Situation ist in gewisser Hinsicht dramatischer als während der sogenannten Baseballschlägerjahre in den neunziger Jahren.

Hört man sich bei ostdeutschen Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt, Antifaschist:innen oder linken Lokalpolitiker:innen um, werden die Feststellungen des BMB nicht nur bestätigt, sondern häufig noch zugespitzt. Demnach gebe es in weiten Teilen Ostdeutschlands einfach keine organisierten demokratischen Milieus mehr, die sich der AfD entgegenstellten, von linken Organisationen oder Antifa-Gruppen ganz zu schweigen.

In dieser Hinsicht ist die Situation dramatischer als während der sogenannten Baseballschlägerjahre in den neunziger Jahren. Die Menschen, die sich in den vergangenen 20 Jahren engagiert hätten, zum Beispiel ab 2015 in Willkommensinitiativen für Flüchtlinge, seien ausgebrannt und frustriert. Begründet wird dies häufig mit der Covid-19-Pandemie, als die Kontaktbeschränkungen politische Aktivitäten außerhalb des digitalen Raumes oft zum Erliegen gebracht hätten und Auseinandersetzung über Infektionsschutzmaßnahmen und die Haltung zur »Querdenken«-Szene auch soziale und politische Netzwerke zerstört habe. Nur hinter vorgehaltener Hand wird hingegen thematisiert, dass es sich bei der derzeitigen Situation auch um eine grundlegende Krise des Konzepts Zivilgesellschaft handeln könnte.

Als die ab 1989 einsetzende Welle rechtsextremer Gewalt außerhalb großstädtischer Zentrumsbezirke durch das militante Agieren linksradikaler Antifagruppen nicht aufgehalten werden konnte, kamen nicht wenige Linke zu dem Schluss, dass es darum gehen müsse, einer rechten Hegemonie in der Gesellschaft entgegenzuwirken. Beim Nachdenken darüber, wie dies geschehen könnte, stießen sie auf den von dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci geprägten Begriff der ­Zivilgesellschaft, mit dem dieser die Gesamtheit der nichtstaatlichen Organisationen, also Kirchen, Gewerkschaften, Vereine, Clubs und Zirkel beschrieb. Diese sichere, so Gramsci, in fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften die Existenz des Staats ab, wo dieser das nicht vermittels seiner eigenen Machtmittel täte.

Daran angelehnt sollte nun im Ostdeutschland der späten neunziger und frühen nuller Jahre die Zivilgesellschaft den demokratischen Staat gegen die Bedrohung von rechts schützen. Dazu war sie jedoch häufig nicht von sich aus in der Lage. Es fehlte oft an Wissen, Geld und Strukturen. Um diese Defizite auszugleichen, wurden nach und nach recht umfangreiche staatlich finanzierte Unterstützungsstrukturen aufgebaut, in denen nicht wenige Linke ihr berufliches Auskommen fanden. Die Mobilen Beratungsteams und der BMB gehören dazu.

Die Konzepte, die auf einen extremistischen, aus der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft ausgrenzbaren Gegner zielen, funktionieren offensichtlich kaum im Kampf gegen eine mehrheitsfähige Partei mit einer breiten gesellschaftlichen Basis in einem demokratischen Staatswesen, das in einer tiefen Krise steckt.

Staatlicherseits folgte die Unterstützung dieser Arbeit der Erkenntnis, dass der gewalttätige Rechtsextremismus eine Bedrohung für die wirtschaftliche Entwicklung und einen Angriff auf das staatliche Gewaltmonopol darstellte und dass eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung nötig sei, um diesem entgegenzutreten.

Tatsächlich gelang es auf diese Weise, die Aktivitäten der klassisch NS-nostalgischen rechtsextremen Organisationen wie NPD, DVU und Freien Kameradschaften zu beschneiden, indem örtliche Bündnisse gegen diese gegründet wurden, ihnen die Nutzung des öffentlichen Raumes erschwert wurde, zum Beispiel durch das Blockieren von Aufmärschen, und sie aus dem politischen Geschehen ausgegrenzt wurden.

Diese Konzepte, die auf einen extremistischen, aus der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft ausgrenzbaren Gegner zielen, funktionieren jedoch offensichtlich kaum im Kampf gegen eine mehrheitsfähige Partei mit einer breiten gesellschaftlichen Basis in einem demokratischen Staatswesen, das in einer tiefen Krise steckt. Insofern erinnert es ein wenig an das sprichwörtliche Pfeifen im Walde, wenn der Bericht des BMB sich in seinen Empfehlungen, was nun zu tun sei, an diesen Konzepten aus den neunziger Jahren orientiert und dazu aufruft, erneut »breite Bündnisse« gegen rechts zu schließen.