30.11.2023
Bereits vor der Gründung Israels goutierte die KPD arabischen Judenhass

Antiimperialistischer Judenhass

Schon vor 100 Jahren glorifizierten die Kommunist:innen der Inter­na­tionale Pogrome und Massaker an Juden und Jüdinnen im Mandats­ge­biet Palästina durch Araber:innen als antiimperialistischen Widerstand. Die jüdischen Antizionist:innen der Kommunistischen Partei Palästinas mussten sich auf den Schutz durch die Haganah verlassen.

Antisemitische Pogrome gab es in ­Palästina schon vor 100 Jahren. Im Sommer 1923 berichtete ein Mitglied der bis dahin vornehmlich aus jüdischen ­Mitgliedern bestehenden Kommu­nistischen Partei Palästinas (Palestiniše Komunistiše Partej, PKP), was sich zwei Jahre zuvor nach einer 1.-Mai-Demonstration ereignet hatte. Ein arabischer Mob, dessen antisemitische Grundhaltung von »englischen und französischen Provokateuren« ebenso wie von den »eigenen Nationalisten« angeheizt worden sei, attackierte erst die Kundgebung der PKP und »ging dann zu einem allgemeinen Pogrom gegen die Juden über«. Die Schilderung erschien in der Internationalen Pressekorrespondenz (Inprekorr), dem zentralen Organ der Kommunistischen Internationale (Komintern).

Es erscheint in Anbetracht dessen besonders befremdlich, dass die Kom­intern die PKP dazu aufrief, den arabischen Nationalismus sogar noch zu befördern. Diese Politik ergab sich allgemein aus dem Komintern-Beschluss auf dem Zweiten Kongress 1920, sich weltweit mit nationalen Befreiungsbewegungen zu verbünden und diese im Kampf gegen »den« Imperialismus zu unterstützen. Dass die Nationalbewegungen gegen den Imperialismus westlicher Staaten kämpften, reichte aus Sicht der Komintern aus, um sie als Bündnispartnerinnen zu akzeptieren, auch wenn sie keine sozialistische oder kommunistische Politik verfolgten oder sogar antikommunistisch agierten.

Die KP Palästinas befolgte in den zwanziger Jahren diesen Kurs. Was sie sich davon versprach, erklärte ihr ehemaliger Vorsitzender Joseph Berger 1971 in seinen Memoiren »Shipwreck of a Generation«: »Der Nationalismus der Kolonialbevölkerungen sollte ermuntert und als Waffe gegen den Imperialismus genutzt werden.« Später sollten sie von dem Nationalismus wieder »entwöhnt« werden.

»In der Talmudschule von Hebron wurden 60 jüdische Schüler – auch Kinder – getötet und verstümmelt.« Joseph Berger, Vorsitzender der Kommunistischen Partei Palästinas, 1929

Es ist erstaunlich, dass eine sich als internationalistisch verstehende politische Bewegung nationale Bestrebungen befördert. Hatten Karl Marx und Friedrich Engels nicht im »Manifest der Kommunistischen Partei« 1848 geschrieben, das Proletariat habe »kein Vaterland«? In Bezug auf den Nahen Osten war noch etwas an der marxistisch-leninistischen Politik der Komintern seltsam: Während der arabische Nationalismus als Instrument gegen den Imperialismus, als bündnisfähig, also potentiell progressiv galt, sollte das für die verschiedenen zionistischen Strömungen nicht gelten. Unter all den Nationalbewegungen auf der Welt war es ausgerechnet die jüdische ­Nationalbewegung, die die Komintern nicht als Befreiungsbewegung anerkannte.

Dabei beriefen sich die Kommunistischen Parteien auf Wladimir I. Lenin, der 1903 geschrieben hatte, die »Idee der jüdischen›Nationalität‹« trage einen »offenen reaktionären Charakter«, ­sogar bei den Strömungen, die den Zionismus »mit den Ideen der Sozialdemokratie in Einklang zu bringen« versuchen. Selbst ein linker Zionismus galt demnach als reaktionär.

Der bis dahin schlimmste antisemitische Gewaltausbruch im britischen Mandatsgebiet Palästina ereignete sich 1929. Von Mitte bis Ende August des Jahres attackierten arabische Nationalist:innen jüdische Viertel in Jerusalem und anderen Orten und ermordeten in den zwei Wochen 133 Jüdinnen und Juden. In derselben Zeit wurden auch 116 Araber:in­nen getötet, in den meisten Fällen jedoch von Polizei und Militär, um sie von weiteren Gewalttaten abzuhalten.

Eine Gruppe namens Arabische ­Studenten Jerusalems hatte zuvor ­Flugblätter verteilt, die den Einfluss des europäischen modernen Juden­hasses auf eine bereits bestehende Feindseligkeit im Nahen Osten ­zeigen. »Der Jude«, hieß es darin, sei »von alters her der Feind« und wolle »euch nun abschlachten«. Der beste Weg, das Land »aus dem Würgegriff des fremden Eindringlings und gierigen Juden zu retten«, bestehe darin, »dass Ihr ihn boykottiert«. Dass es zu mehr als einem Boykott kommen ­würde, war erahnbar. Christliche Be­wohner:innen der attackierten Wohn­gebiete kennzeichneten »vor den Unruhen ihre Häuser mit ­einem Kreuz«, um sich zu schützen, schreibt der Historiker Tom Segev in »Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels«.

Entsprechend der antisemitischen Hetze wurden nicht nur zionistische Siedlungen angegriffen. Wie Michael Kiefer in seiner Studie »Antisemitismus in den islamischen Gesellschaften. Der Palästina-Konflikt und der Transfer des Feindbildes« ausführt, richteten sich die Attacken, die von Parolen wie »Schlachtet die Juden!« begleitet waren, zum Beispiel in Hebron auch gegen alte Wohnstätten und Viertel orthodoxer Jüdinnen und Juden, deren Gemeinschaften schon lange vor dem Beginn der zionistischen Besiedlung ­bestanden hatten.

Für die Mitglieder der PKP waren die Ereignisse ein Schock. Denn sie mussten sich selbst gegen Angriffe verteidigen und sahen sich auf die Unterstützung durch die jüdische Verteidigungseinheit Haganah angewiesen. Außerdem zeigte die Gewalt, was passieren konnte, wenn man den arabischen ­Nationalismus schürt.

Mit eindrücklichen Worten schilderte Joseph Berger 1929 in der Inprekorr, was sich ereignet hatte. »Massen mohammedanischer Bauern« hätten »vor allem die unbewehrten armen jüdischen Siedlungen« angegriffen und »furchtbare Blutbäder« angerichtet. »In der Talmudschule von Hebron wurden 60 jüdische Schüler – auch Kinder – getötet und verstümmelt.«

Die Komintern hatte schon zuvor ­gefordert, die PKP solle sich »arabi­sieren«. 1930 ernannte sie ein neues Zentralkomitee, das fast nur noch arabische Mitglieder hatte. Die ehemals führenden jüdischen Mitglieder wurden in die Sowjetunion beordert, um sie kaltzustellen.

Über die Gewalt konnte man auch in Deutschland lesen. Die Tageszeitung der Kommunistischen Partei Deutschlands, Die Rote Fahne, berichtete Ende August 1929 über Angriffe auf »die jüdische Bevölkerung«. Das war der Zeitung jedoch kein Anlass, auf den Antisemitismus im Nahen Osten hinzuweisen oder sich mit der jüdischen Bevölkerung zu solidarisieren, wie es die KPD wenige Jahre zuvor getan hatte, als in Russland die Weißen Garden Pogrome verübten. Im Gegenteil: Im Einklang mit der Komintern begrüßte die KPD die Ereignisse als »Araberaufstand« und hoffte darauf, dass dieser sich noch ausbreiten werde. Die arabische Bewegung stehe zwar »noch zum gro­ßen Teil unter dem Einfluß der Effendis (Großgrundbesitzer)«, wie Die Rote Fahne einräumte, doch das ändere nichts an ihrem revolutionären Po­tential. »Die Schläge, die die arabischen Eingeborenen gegen die zionistische Bourgeoisie und den zionistischen Faschismus in Palästina führen, sind gleichzeitig Schläge gegen England.«

Im Oktober 1929 schwor Hermann Remmele, neben Ernst Thälmann und Heinz Neumann der dritte Mann an der Spitze der KPD, auf einer Sitzung des Zentralkomitees die Mitglieder noch einmal auf diese Position ein. Über die PKP behauptete er fälschlicherweise, ihre Mitglieder seien entweder »Zionisten« oder »Araber«. Es gehe nun ­darum, die »Araber« zu unterstützen, denn, so Remmele, »das unterdrückte Volk, jene Schicht des Volkes, die das revolutionäre Element, den Verhältnissen entsprechend, überhaupt ausmachen kann, sind nur die Araber«.

Die Komintern hatte schon zuvor ­gefordert, die PKP solle sich »arabi­sieren«. 1930 ernannte sie ein neues Zentralkomitee, das fast nur noch arabische Mitglieder hatte. Die ehemals führenden jüdischen Mitglieder wurden in die Sowjetunion beordert, um sie kaltzustellen. Viele von ihnen ­wurden ab Mitte der dreißiger Jahre im Rahmen der stalinistischen »Säuberungen« verhaftet und ermordet. Joseph Berger überlebte – nach über 20 Jahren in sowjetischen Gulags und Lagern.

Der heutzutage so genannte Nah­ostkonflikt begann nicht erst mit der Staatsgründung Israels 1948. Er hat eine Vorgeschichte, die allerdings gern ­ignoriert wird. Denn diese Geschichte passt nicht zu der populären Vorstellung, der Hass auf Jüdinnen und Juden oder die Gewalt gegen Israelis sei eine Reaktion auf die Gründung des jüdischen Staats. Sie passt auch nicht zu der oft vertretenen Ansicht, ein israelbezogener Antisemitismus sei nach 1948 ganz neu entstanden. Schon vor der israelischen Staatsgründung wurden Pogrome verübt, kam es zu Gewalt gegen Jüdinnen und Juden, Massakern an jüdischen Kindern. Und fast 20 Jahre bevor der jüdische Staat ausgerufen wurde, wollten Kommunist:innen in Deutschland in der antisemitischen Gewalt in Palästina nichts anderes sehen als eine antiimperialistische arabische Aufstandsbewegung.