16.10.2014
Israel von der Staatsgründung zum Jom-Kippur-Krieg

Die Einsamkeit Israels

Der jüdische Staat von der Staatsgründung bis zum Jom-Kippur-Krieg.

Seit seiner Gründung ist Israel nicht nur mit Vernichtungsdrohungen konfrontiert, sondern mit handfesten Vernichtungsversuchen. Der erste begann unmittelbar nach der Ausrufung des Staates. Dem vorausgegangen war eine Art Bürgerkrieg, der nach Verkündigung des UN-Teilungsplans vom November 1947 von arabischer Seite losgetreten worden war. Dieser Plan sah auf 56 Prozent des nach der Abspaltung Jordaniens vom Mandatsgebiet Palästina verbliebenen Territoriums einen jüdischen und auf 43 Prozent einen arabischen Staat vor. Jerusalem sollte als »internationale Zone« verwaltet werden. Der Plan wurde vom Jishuw, der prästaatlichen jüdischen Gemeinschaft im Mandatsgebiet, schweren Herzens akzeptiert, von arabischer Seite gab es ein eindeutiges Nein. Hätte die arabische Führung diesen Plan befürwortet, gäbe es bereits seit 67 Jahren einen palästinensischen Staat.
Im Bürgerkrieg kämpften die 1920 gegründete paramilitärische Hagana und weitere jüdische Milizen wie der rechtsgerichtete Irgun unter Leitung von Menachem Begin und die von ihm abgespaltene Lechi, zu der unter anderem der spätere Premierminister Jitzchak Shamir gehörte, gegen Verbände der arabischen Bevölkerung im Mandatsgebiet, die damals in aller Regel noch nicht als Palästinenser bezeichnet wurden. Unmittelbar nach der Ausrufung des israelischen Staates, die durch den Beschluss der UN-Vollversammlung legitimiert war, kam es zur Invasion der Armeen Ägyptens, Syriens, Transjordaniens, des Irak und des Libanon, die mit den palästinensischen Kämpfern kooperierten.
Auch der Bürgerkrieg teilte sich bereits in zwei Phasen: In die zweite Phase ab März 1948 fallen für die spätere Entwicklung wichtige Entscheidungen. Die Sowjetunion unterstützte auf Grund ihres geopolitischen Interesses tschechoslowakische Waffenlieferungen, die der Hagana ein deutlich offensiveres Vorgehen ermöglichten. Als Reaktion auf arabische Terrorakte und Angriffe auf isolierte jüdische Siedlungen kam es zu einer Änderung der Konzeptionen des Jishuv: Anders als in der ersten Phase ging es nun nicht mehr nur um einen reinen Verteidigungskampf, sondern auch um Gebiets­eroberungen, unter anderem als militärische Vorbereitung auf die erwartete arabische Invasion, zu deren Abwehr auch Repressionsmaßnahmen gegen die auf dem Mandatsgebiet lebende arabische Bevölkerung als legitim angesehen wurden. Im März 1948 gab die Hagana ihr Prinzip der Havlaga, der selbstauferlegten Zurückhaltung, auf, das seit 1920 gegolten hatte. Diese im Tochnit Dalet, dem Plan D, niedergelegten und vom Generalstab der Hagana ausgearbeiteten Prinzipien werden in der antizionistischen Propaganda regelmäßig als Blaupause für gezielte und seit langem geplante ethnische Säuberungen dargestellt. Es handelte sich jedoch um einen militärischen Verteidigungsplan, der erst als Reaktion auf den bisherigen Kriegsverlauf und in Erwartung des Überfalls durch die arabischen Staaten informell implementiert wurde und keineswegs auf dem gesamten Territorium der Kampfhandlungen zur Anwendung kam.
Im Rahmen der Operation Nachshon, die auf die Rettung der jüdischen Bevölkerung in Jerusalem zielt, kam es neben der Ausschaltung wichtiger arabischer Stellungen, die eine Abwehr der erwarteten Invasion der arabischen Armeen ermöglichen sollte, zu einem entscheidenden Ereignis: der Eroberung des Dorfes Deir Jassin in der Nähe Jerusalems durch die Milizen Irgun und Lechi. Bis heute sind viele Details dieser Eroberung umstritten. Entscheidend ist, dass die Eroberung zu einem Massaker an der arabischen Bevölkerung in Deir Jassin führte, bei dem die Opferzahlen lange Zeit umstritten waren. Heute gehen die meisten arabischen und israelischen Historiker von 100 bis 110 Toten aus. 1948 gab es allerdings die fatale Situation, dass fast alle Seiten ein Interesse daran hatten, die Opferzahlen deutlich zu übertreiben, so dass häufig von 250 oder mehr Toten die Rede war. Die Hagana-Führung hatte ein Interesse daran, Irgun und Lechi zu diskreditieren, Araber und Briten wollten die jüdische Seite generell schlecht dastehen lassen, Irgun und Lechi wollten unter der arabischen Bevölkerung in der Hoffnung Angst verbreiten, dass möglichst viele das Land verlassen.
In antizionistischen Darstellungen wird oft verschwiegen, dass sowohl die Jewish Agency als auch die Führung der Hagana das Massaker sofort nach Bekanntwerden eindeutig verurteilten, was einen entscheidenden Unterschied zu zahlreichen Terroranschlägen und Massakern der palästinensischen Seite markiert – bis zum heutigen Tag. Ebenfalls werden gerne jene Massaker verschwiegen, die den Ereignissen in Deir Jassin vorausgegangen waren oder als unmittelbare Antwort darauf verübt wurden. Im April 1948 haben arabische Milizen bei Jerusalem einen Konvoi überfallen, der hauptsächlich aus unbewaffneten Krankenschwestern und Ärzten auf ihrem Weg zum Hadassah Hospital am Mount Scopus bestand. Über 70 Juden wurden bei diesem Überfall getötet.
Während die Führer des Jishuv vergleichsweise gute Kenntnisse über die arabischen Milizen im Mandatsgebiet hatten, die derartige Angriffe ausführten, schätzten sie die Stärke der arabischen Armeen häufig falsch ein. David Ben Gurion sprach beispielsweise 1947 davon, dass die Arabische Legion Transjordaniens – eine Elitetruppe, die von britischen Offizieren geleitet wurde – 15 000 bis 18 000 Mann stark sei und mindestens 400 Panzer habe. In Wirklichkeit bestand sie zu dieser Zeit aus etwa 6 000 Kämpfern und hatte nach heutigem Kenntnisstand keinen einzigen funktionstüchtigen Panzer. Gleichwohl waren die arabischen Armeen rein waffentechnisch dem Jishuv zumindest zu Beginn des Krieges überlegen.
Die Einschätzung der Stärke des Gegners und dessen offen formulierte Vernichtungsdrohungen führten zu einer ausgesprochen hohen Motivation der jüdischen Kämpfer, von denen viele gerade erst der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie entkommen waren. Ein beeindruckendes Beispiel für die hohe Kampfmoral lieferte jene kleine Gruppe von Shoah-Überlebenden, die im Kibbutz Yad Mordechai, der nach dem Anführer des Aufstands im Warschauer Ghetto benannt ist, ein angreifendes ägyptisches Bataillon tagelang zurückhielt, bis die Hagana, die während der Kämpfe in Yad Mordechai in die Israel Defense Forces (IDF) transformiert wurde, sich zum Gegenangriff formiert hatte. Die Vernichtungsdrohungen der arabischen Führer waren auch einer der Gründe für die in der zweiten Phase der Kampfhandlungen praktizierte offensivere Kriegführung. Nach den weithin bekannten Äußerungen der arabischen Führer wussten die Kämpfer der jüdischen Verbände beziehungsweise der neugegründeten israelischen Armee, dass eine mögliche Niederlage drei Jahre nach der Befreiung von Auschwitz wohl die Vernichtung des Jishuv bedeuten würde. Achmet Shukeiry, einer der Gehilfen des Mufti el-Husseini und Vorgänger Yassir Arafats als Führer der PLO, nannte als Ziel der Invasion »die Vernichtung des jüdischen Staates«. Abdel Rahman Azzam, der Generalsekretär der Arabischen Liga, verkündete hinsichtlich des bevorstehenden Überfalls auf den neugegründeten Staat: »Dies wird ein Krieg der Vernichtung sein und ein enormes Massaker, von dem man noch ähnlich sprechen wird wie von den Massakern der Mongolen.«
Dass diese Vernichtungsphantasien nicht in die Tat umgesetzt werden konnten, lag unter anderem an der Uneinigkeit der arabischen Staaten, die sich in einer fehlenden militärischen Koordination niederschlug, was der jüdischen, vergleichsweise gut organisierten Seite einen wichtigen Vorteil verschaffte. Zudem waren auf arabischer Seite keineswegs alle von der antijüdischen Agitation ihrer Führer überzeugt: Gerade von irakischen Soldaten gibt es zahlreiche Berichte, dass sie überhaupt nicht einsahen, warum sie für irgendwelche Fremden ein paar hundert Kilometer fern der eigenen Heimat in einen Krieg ziehen sollten, und zwar gegen einen Feind, der sich als deutlich schwerer zu bekämpfen herausstellte, als die arabischen Führer und die palästinensischen Propagandisten versprochen hatten.
Den jüdischen Kämpfern im Unabhängigkeitskrieg war bewusst, dass die palästinensischen Araber unter der Führung des wüsten Antisemiten el-Husseini standen, der seit 1941 in Berlin residiert hatte, dort die Vernichtungspolitik der Nazis noch zu radikalisieren versuchte und der ab 1943 an der Aufstellung muslimischer Waffen-SS-Divisionen in Bosnien beteiligt war. Der Mufti konnte sich einer Strafverfolgung durch die Alliierten entziehen, indem ihm nach dem Zweiten Weltkrieg die Flucht aus Deutschland nach Kairo gelang. Dort schaffte er es wie schon in den zwanziger und dreißiger Jahren, seine innerpalästinensischen Widersacher auszuschalten und die Leitung des Hohen Arabischen Komitees zu übernehmen. Auch wenn er unmittelbar während des israelischen Unabhängigkeitskrieges sowohl politisch als auch militärisch vergleichsweise wenig Einfluss auf das Geschehen hatte, war es für das Bewusstsein der israelisch-jüdischen Soldaten von entscheidender Bedeutung, dass sie gegen einen Verbündeten der Nazis kämpften, der als eine Führungsfigur der arabischen Nationalbewegung schon bei den antijüdischen Pogromen im Mandatsgebiet in den zwanziger und dreißiger Jahren eine entscheidende Rolle gespielt hatte.
Israel konnte bereits die erste Phase des Krieges nach der Staatsgründung für sich entscheiden, hatte aber aufgrund der schlechten Bewaffnung vergleichsweise viele Opfer zu beklagen. Schon eine Woche nach dem Überfall der arabischen Armeen forderte der UN-Sicherheitsrat einen Waffenstillstand, zu dem Ben-Gurion Zustimmung signalisierte, während die arabischen Staaten ihn zunächst rundweg ablehnten. Erst nachdem sie realisiert hatten, dass ihre Armeen nicht den erwarteten schnellen Sieg über den jungen jüdischen Staat erringen konnten, stimmten sie Anfang Juni einem Waffenstillstand zu. Diesen wussten die IDF, in welche die Hagana und ihrer Eliteeinheit Palmach Ende Mai transformiert worden waren und in die nach heftigen Auseinandersetzungen, die den Konflikt zwischen linken und rechten Kräften in Israel bis heute prägen, etwas später auch Begins Irgun integriert wurde, deutlich besser für sich zu nutzen. Die Truppenstärke wurde bis zur Wiederaufnahme der Kampfhandlungen nach vier Wochen fast verdoppelt, und schwere Waffen, darunter auch Bomber, wurden ins Land gebracht.
Der Krieg endete 1949 mit einem klaren Sieg Israels, das nun etwa 77 Prozent des im UN-Teilungsplans definierten Territoriums kontrollierte, und einer demütigenden Niederlage für die arabische Seite. Auf israelischer Seite starben etwa 6 000 Menschen, viele von ihnen Überlebende der NS-Vernichtungslager. Doppelt so viele wurden verwundet. Die Opferzahlen auf arabischer Seite dürften vermutlich etwas höher gewesen sein. Jordanien besetzte und annektierte die Westbank, und Ägypten unter König Farouk den Gaza-Streifen. Kein Mensch kam damals auf die Idee, eine internationale Solidaritätsbewegung für die dort nun unter arabischer »Besatzung« lebende, später als Palästinenser bezeichnete Bevölkerung zu initiieren.

Zweierlei Vertreibungen
Im Verlauf der Kriegshandlungen wurden nach palästinensischen Angaben 900 000 bis eine Million, nach israelischen Angaben etwas über 500 000, nach UN-Schätzungen etwa 750 000 Palästinenser vertrieben, oder sie sind geflohen. Etwa 360 arabische Dörfer verschwanden im Laufe des Krieges von der israelischen Landkarte. Politiker wie Ben-Gurion oder sein späterer Nachfolger als Premierminister, Moshe Sharett, hatten vor der Staatsgründung immer wieder einmal über einen Transfer der arabischen Bevölkerung spekuliert, wobei sie mitunter ursprünglich von den Briten unterbreitete Vorschläge aufgriffen. Sie gingen dabei mal von freiwilligen, mal von erzwungenen Umsiedlungen aus, ohne die ein verteidigungsfähiger jüdischer Staat nicht zu realisieren sei. Für revisionistische Zionisten wie Wladimir Jabotinsky oder Menachem Begin waren Vertreibungen in einem gewissen Ausmaß nicht nur eine Option, sondern zwingend notwendig, um einen überlebensfähigen jüdischen Staat in einer feindlichen Umwelt dauerhaft zu etablieren. Die im Rahmen des Krieges erfolgten Vertreibungen waren dennoch in fast allen Fällen nicht das Ergebnis einer schon lange ins Auge gefassten und durchgeplanten Strategie, sondern Resultat eines bewaffneten Konflikts, der durch die arabische Seite nach ihrer Ablehnung des UN-Teilungsplans begonnen wurde.
Auch Flucht und Vertreibungen fanden 1947 bis 1949 in unterschiedlichen Phasen und aus unterschiedlichen Gründen statt. Letztlich ergibt sich ein widersprüchliches Bild: Während die Hagana in Haifa die arabische Bevölkerung mit Lautsprecherwagen zum Bleiben aufforderte und in ihren Bemühungen von der Gewerkschaft Histadrut unterstützt wurde, waren jüdische Verbände in anderen Fällen unmittelbar an gewaltsamen Vertreibungen beteiligt, beispielsweise in Lydda. In einigen Phasen und Regionen spielte die Propaganda der angreifenden arabischen Staaten eine entscheidende Rolle: Arabische und palästinensische Führer riefen die nicht-jüdische Bevölkerung zur Flucht auf, um den arabischen Armeen Raum zur Zerstörung des gerade gegründeten jüdischen Staates zu verschaffen. In anderen Fällen haben Berichte über das Vorgehen der Hagana und insbesondere der rechtsgerichteten jüdischen Milizen, vor allem aber auch die Propaganda, die sowohl von Gruppierungen wie Irgun und Lechi als auch von arabischer Seite mit deutlich übertriebenen Opferzahlen verbreitet wurde, den Ausschlag zur Flucht gegeben.
Gängige Schätzungen gehen heute davon aus, dass ein Drittel der Geflohenen freiwillig beziehungsweise aufgrund der Aufforderung von arabischer Seite das Gebiet verlassen hat, ein Drittel aufgrund von Druck und Drohungen von jüdischer Seite und ein Drittel durch Gewaltanwendung seitens jüdischer Einheiten, die nach der Kooperation von maßgeblichen Teilen der palästinensischen Bevölkerung mit den angreifenden arabischen Armeen ihre anfängliche Zurückhaltung im Verlauf des Krieges immer mehr aufgaben.
Gegenwärtig leben über drei Millionen Palästinenser, zum Großteil die Nachfahren der rund 750 000 Flüchtlinge des Unabhängigkeitskrieges von 1948 und des Sechs-Tage-Krieges von 1967, in Israels Nachbarstaaten. Sie sind neben den Sudetendeutschen die einzige Bevölkerungsgruppe auf der Welt, bei der sich der Flüchtlingsstatus quasi vererbt. Völlig in Vergessenheit geraten ist hingegen, dass auch 850 000 Juden zu Flüchtlingen aus den arabischen Ländern wurden. Im Gegensatz zu den Palästinensern war ihre Vertreibung nahezu total und stand, anders als im Fall der arabischen Flüchtlinge, nicht im Zusammenhang mit einem Kriegsgeschehen. Von den fast 900 000 in arabischen Ländern vor 1948 lebenden Juden sind heute nur wenige Tausend übriggeblieben, die Mehrheit von ihnen in Marokko. Seit 1947 wurden über 680 UN-Resolutionen zum Nahost-Konflikt verabschiedet. Mehr als 160 davon behandeln explizit oder indirekt das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge beziehungsweise ihrer Nachkommen. Keine einzige beschäftigt sich mit dem Schicksal der 850 000 jüdischen Flüchtlinge aus den arabischen Ländern.
Nicht alle der aus den arabischen Ländern vertriebenen Juden sind nach Israel geflohen, aber mit etwa 600 000 doch die überwiegende Mehrheit. Während die palästinensischen Flüchtlinge bis heute aufgrund der Politik der Regierungen in Damaskus, Amman und Beirut mehrheitlich weiterhin in Flüchtlingslagern ein elendes Leben führen, in den meisten arabischen Staaten massiver Diskriminierung ausgesetzt sind und von Antizionisten zum Propagandamittel degradiert werden, wurden die jüdischen Flüchtlinge in Israel trotz enormer Schwierigkeiten integriert.
Israel war hinsichtlich dieser Masseneinwanderung hin- und hergerissen. Einerseits wollte man den bedrohten und verfolgten Juden helfen; zudem gab es ein massives Interesse an jüdischer Einwanderung. Bereits 1942 hatte Ben-Gurion seinen Tochnit HaMillion vorgelegt, einen Plan für eine Million Neueinwanderer. Aber er hatte dabei in erster Linie an möglichst gut ausgebildete jüdische Einwanderer aus Europa gedacht. Israel förderte zwar die Auswanderung und Flucht aus den arabischen Ländern, ging dabei anfangs angesichts der immensen Probleme, die der junge Staat zu bewältigen hatte, allerdings ausgesprochen res­triktiv vor. Bis 1955 erhielten beispielsweise von den marokkanischen Juden nur jene zwischen 18 und 45 Jahren sowie vermögende Familien das Recht auf Einwanderung. In einigen Fällen hat Israel spektakuläre Luftbrücken eingerichtet: In der Operation »Fliegender Teppich« wurden 1949 etwa 50 000 Juden aus dem Jemen ausgeflogen. Nach der israelischen Staatsgründung kam es zu einer enormen Integrationsleistung. Die 650 000 Juden in Palästina nahmen innerhalb kürzester Zeit 700 000 weitere auf, viele von ihnen traumatisiert von der Shoah und im Fall der Flüchtlinge aus den arabischen Ländern häufig schlecht bis gar nicht ausgebildete Analphabeten.

Sinai- und Sechs-Tage-Krieg
Seit seiner Gründung ist Israel von Auseinandersetzungen zwischen jenen geprägt, die auf eine Absicherung des israelischen Kernlands setzen, und jenen, die von der Notwendigkeit der Eroberung weiterer Gebiete überzeugt waren oder sind, sei es aus Sicherheits- oder aus ideologischen Gründen. Ben-Gurion schwankte in dieser Frage, handelte aber stets nach seiner Devise: »Wir sind bereit für Frieden im Austausch gegen Frieden.« Er wollte also möglichst kein bereits erobertes Territorium für einen Ausgleich mit den arabischen Nachbarn opfern und stellte sich lange gegen das Konzept »Land für Frieden«, das erst nach dem Sechs-Tage-Krieg eine entscheidende Rolle spielen sollte.
Von Frieden konnte derweil keine Rede sein, nicht nur wegen der weiterbestehenden Feindseligkeiten der arabischen Nachbarstaaten, sondern insbesondere aufgrund der Aktivitäten der im Verlauf der Kriegshandlungen vertriebenen oder geflohenen Palästinenser, die zum Problem der »Infiltration« führten. Vor allem von der Westbank und vom Gaza-Streifen aus drangen immer wieder Palästinenser ins neu geschaffene israelische Staatsgebiet ein; von 1949 bis 1956 gab es zwischen 6 000 und 15 000 solcher Vorfälle pro Jahr. Ein großer Teil dieser »Eindringlinge« wollte schlicht zu ihren alten Feldern und Häusern oder zu ihren zurückgebliebenen Verwandten und Freunden. Doch bei einem nicht unerheblichen Teil handelte es sich um bewaffnete Kämpfer, die militärische und terroristische Angriffe ausführen wollten. Selbst wenn die Schätzungen stimmen sollten, dass nur etwa zehn Prozent von ihnen in letztere Kategorie fallen, bedeutet das immer noch rund 1 000 Angriffe pro Jahr von der Staatsgründung bis zum Sinai-Krieg 1956. Über 1 000 Israelis wurden in dieser Zeit bei solchen Angriffen von palästinensischen Fedayin (»die, die sich selbst opfern«) ermordet.
Israel als neu geschaffener Staat, dessen Grenzen nicht nur unsicher, sondern von den Nachbarstaaten nicht anerkannt waren, reagierte darauf mit harten Gegenmaßnahmen. Bis 1956 wurden zwischen 3 000 und 5 000 »Eindringlinge« erschossen. Als selbst dadurch für die Bevölkerung in dem jungen Staat keine Sicherheit hergestellt werden konnte, wurden etwa 10 000 Palästinenser aus der jordanisch besetzten Westbank vertrieben – was allerdings zu heftiger Kritik selbst von Teilen der Regierung führte, allen voran von Außenminister Moshe Sharett.
Neben Schießbefehl und Vertreibungen gab es zeitweise auch Vergeltungsaktionen, die in der israelischen Gesellschaft aber stets umstritten blieben. Nachdem eine Reihe israelischer Soldaten bei Vergeltungsmaßnahmen ums Leben gekommen war, wurde 1953 die Einheit 101 unter dem Kommando von Ariel Sharon gegründet, der auf militärische Professionalität und demonstrative Rücksichtslosigkeit setzte. Nachdem in der Nähe von Tel Aviv eine Frau und zwei Kinder durch eine arabische Granate getötet worden waren, tötete die Einheit unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen mindestens 60 Einwohner in dem Grenzdorf Qibya. Moshe Dayan, damals Chef des südlichen Armeekommandos und später Generalstabschef, Verteidigungs- und Außenminister, sah keine Alternative zu solchen Aktionen: »Die einzige Methode, die sich als effektiv erweist, wenn Araber Minen und Bomben auf unsere Seite bringen, ist Vergeltung – nicht gerechtfertigt oder moralisch, sondern effektiv.« Doch die Kritik an dem Vorgehen war innerhalb der israelischen Gesellschaft und auch im politischen Establishment so stark, dass derartige Aktionen bald eingestellt wurden.
Seit der Staatsgründung blieb der israelischen Gesellschaft nichts anderes übrig, als eine permanente Diskussion darüber zu führen, welches Ausmaß an Gewaltanwendung zur Durchsetzung des allgemein anerkannten Ziels, sich der Gewalt der feindlichen Seite nicht zu beugen, noch als legitim angesehen werde. Racheaktionen, die auf arabischer Seite als weitgehend normal gelten, werden in der israelischen Gesellschaft fast durchgängig abgelehnt und gegenwärtig nur von den radikalisierten Teilen der national-religiösen Siedlerbewegung und der rassistischen Rechten um Politiker wie Michael Ben Ari gefordert, der sich offen in die Tradition der verbotenen Bewegung von Meir Kahane stellt. Ben Aris Partei Otzma LeIsrael hat 2013 den Einzug in die Knesseth nicht geschafft, 2014 allerdings zu einer militanten außerparlamentarischen Kampagne mobilisiert, die zu regelrechten Hetzjagden auf arabische Israelis und linke jüdische Kritiker des Gaza-Kriegs mit mehreren Schwerverletzten geführt hat – was umgehend von fast allen maßgeblichen politischen Kräften in Israel scharf verurteilt wurde. Vergeltungsaktionen werden hingegen in der israelischen Gesellschaft in der Regel dann als legitim betrachtet, wenn sie sich in erster Linie gegen militärische Ziele richten und erkennbar der Abschreckung dienen. Ein Vorgehen wie jenes der Einheit 101, die bald nach der Aktion in Qibya von Ben-Gurion aufgelöst wurde, ist lange Zeit in der Armeeausbildung als Beispiel für ein inakzeptables Vorgehen herangezogen worden.
Die wichtigste Veränderung in den arabischen Nachbarländern Israels war in den fünfziger Jahren der Militärputsch in Ägypten, der die Herrschaft von König Farouk beendete und 1954 Gamal Abdel Nasser an die Macht brachte, nachdem infolge der Niederlage von 1948 die arabischen Monarchien diskreditiert waren und der Ruf nach einer arabischen Einheit im Kampf gegen den Zionismus immer lauter geworden war. Im Zweiten Weltkrieg hatte Nasser als Offizier zeitweise mit deutschen und italienischen Agenten kooperiert. Seine Zusammenarbeit mit den Achsenmächten resultierte aus einem für den Nahen Osten typischen Gemisch von Antikolonialismus und Antisemitismus. Der spätere Präsident war ein überzeugter Verteidiger der antisemitischen Hetzschrift »Die Protokolle der Weisen von Zion«, die bis zum heutigen Tag die ägyptische Gesellschaft vergiftet.
1956 steigerte sich der Konflikt zwischen Israel und Ägypten zur Suez-Krise. Ägypten schickte Guerilla-Einheiten auf israelisches Gebiet, was Israel mit Vorstößen auf ägyptisches Territorium beantwortete. Zur Eskalation kam es, nachdem Ägypten den Golf von Akaba blockiert und den Suezkanal für die israelische Schifffahrt geschlossen hatte. Damit war der junge jüdische Staat vom Handel mit Asien und Afrika abgeschnitten, was von Israel als kriegerischer Akt gewertet wurde. Zudem wurde der Kanal von Ägypten nationalisiert, was den Zorn Großbritanniens weckte, das die Schifffahrtsroute bisher kontrolliert hatte. Frankreich wiederum war daran interessiert, Nassers Ägypten für die Unterstützung der algerischen Aufständischen zu bestrafen. Die beiden Kolonialmächte traten mit Israel in geheime Verhandlungen ein, um den Kanal gewaltsam wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Israel marschierte im Oktober 1956 in den Gaza-Streifen und die Sinai-Halbinsel ein. Die israelischen Truppen erreichten nach kurzer Zeit den Kanal, worauf britische und französische Einheiten unter dem Vorwand, die Ordnung wiederherzustellen, in den Krieg eintraten. Die israelischen, französischen und britischen Einheiten trugen zwar den Sieg davon, wurden aber durch Druck der USA und der Sowjetunion gezwungen, im März 1957 den Rückzug anzutreten. Nasser schaffte es, das Ganze als ägyptischen Sieg zu verkaufen, was seiner panarabischen Ideologie Auftrieb verschaffte und von 1958 bis 1961 zur Vereinigten Arabischen Republik mit Syrien führte.
Der Suez-Krieg war zugleich ein Konflikt zwischen der Sowjetunion und dem Westen sowie zwischen den alten Kolonialmächten und den USA, in dem sich auch die Volksrepublik China, die von Nasser frühzeitig anerkannt worden war, auf der Weltbühne als Akteur im Wartestand präsentierte. Israel versuchte, diese weltpolitische Konstellation für sich zu nutzen und seine Ziele mit möglichst wenig Opfern zu erreichen. Während die IDF 186 Tote zu beklagen hatte, waren die Verluste auf ägyptischer Seite fast zehnmal so hoch. Israel hatte seine Schifffahrtswege wieder geöffnet, die Infrastruktur der Fedayin an seiner Südgrenze zerstört und die ägyptische Armee nachhaltig geschwächt, was zu einer mehrjährigen Periode relativer Ruhe führte. Nasser und andere arabische Führer begannen jedoch schon bald nach dem Sinai-Krieg ganz offen von der Notwendigkeit einer »dritten Runde« zu sprechen, in der Israel endgültig vernichtet werden müsse. Nassers diesbezügliche Formulierungen lesen sich wie eine Vorwegnahme der heutigen Hasstiraden von Ali Khamenei und anderen Vertretern des iranischen Regimes. 1961 proklamierte er: »Hinsichtlich Israel denken wir, dass das Böse, das ins Herz der arabischen Welt eingeschleppt wurde, ausgemerzt werden muss.«
Im Juni 1967 sah alles danach aus, als wenn die arabischen Staaten einen erneuten Anlauf zur Ausmerzung des jüdischen Staates nehmen wollten. Im Vorlauf des Sechs-Tage-Kriegs rückten ägyptische Truppen im Sinai ein, auf dem seit dem Krieg von 1956 UN-Truppen den Waffenstillstand garantieren sollten. An der Nordgrenze stand Israel die seit 1966 unter dem Kommando der Baath-Partei befindliche syrische Armee gegenüber. Nasser forderte den Abzug der UN-Truppen vom Sinai, und UN-Generalsekretär U Thant gab dieser Forderung fatalerweise nach. Nasser beorderte Truppenteile seiner Armee aus dem Jemen zurück und erklärte die Generalmobilmachung. Er schloss die Straße von Tiran im Wissen, dass allein diese Entscheidung für Israel einen casus belli darstellte. Die jordanische Armee begab sich unter den Befehl eines ägyptischen Generals, und irakische Einheiten rückten nach Jordanien ein.
Der israelische Premier Levi Eshkol zögerte trotz der bedrohlichen Situation und hoffte auf eine Lösung durch die USA und die Sowjetunion. Ben-Gurion, Verteidigungsminister Dayan, Oppositionsführer Begin und führende Militärs drängten jedoch auf einen Präventivschlag – auch als Reaktion darauf, dass kein einziges wichtiges Land der Welt Konsequenzen aus dem arabischen Militäraufmarsch an der israelischen Grenze zog und Israel im Gegenteil mehrfach zur Zurückhaltung aufgefordert und angesichts einer massiven Bedrohung alleine gelassen wurde. Die Militärführung dürfte sich der überlegenen Stärke der israelischen Armee bewusst gewesen sein, in der israelischen Öffentlichkeit bestand jedoch ein extremes Bedrohungsgefühl, das sich im Vorfeld des israelischen Befreiungsschlags in Warnungen vor der Möglichkeit eines zweiten Holocaust ausdrückte. Nasser erklärte in aller Deutlichkeit, dass es ihm keineswegs nur um die Schließung der Straße von Tiran gehe, sondern um die »Befreiung Palästinas« und um »Israels Existenz«. Radio Damaskus proklamierte in einer berühmt-berüchtigten Formulierung: »Lasst sie wissen, dass wir den letzten imperialistischen Soldaten an den Gedärmen des letzten Zionisten aufhängen werden.« Ganz in der Tradition des Mufti formulierte es Ahmed Shukeiry: »Es wird praktisch keine jüdischen Überlebenden geben.«
Doch der Krieg führte abermals zu einer Niederlage für die arabischen Armeen. Nassers Panarabismus geriet in Misskredit, was den Aufstieg des radikalislamischen Djihadismus entscheidend begünstigte. Während Israel weniger als 800 Tote zu beklagen hatte, meldeten die arabischen Staaten mindestens 35 000 Tote. Zwischen 200 000 und 300 000 Palästinenser flohen aus der Westbank, Israel verzeichnete massive Gebietsgewinne, die in der Folge erstmals eine realistische Chance auf einen Ausgleich mit den arabischen Nachbarn nach der Formel »Land für Frieden« ermöglichten.
Durch den von arabischer Seite provozierten Sechs-Tage-Krieg gerieten 1,1 Millionen Palästinenser unter israelische Besatzung. Israel begann mit dem Bau von Siedlungen im Westjordanland, auf dem Sinai, im Gaza-Streifen und auf dem Golan, zum Teil aus sicherheitspolitischen Erwägungen, zum Teil aus säkular- oder religiös-nationalistischen Motiven. 1968 setzte sich die Avantgarde der national-religiösen Siedlerbewegung um Moshe Levinger mit weniger als 50 Getreuen in Hebron fest. 1977 lebten 11 000 Israelis in den eroberten Gebieten, 1995 waren es 150 000. Heute lebt im Westjordanland etwa eine Viertelmillion jüdische Israelis.
In Syrien übernahm jener Mann, der maßgeblich die Verantwortung für die Niederlage gegen Israel zu tragen hatte, nach dem Sechs-Tage-Krieg für die kommenden drei Jahrzehnte die Macht: Verteidigungsminister Hafiz al-Assad. Die internationale Wahrnehmung Israels änderte sich nach dem Sechs-Tage-Krieg, insbesondere in der Linken, die nun im jüdischen Staat den Goliath erblickte. Die Sowjetunion und fast alle Ostblock-Staaten brachen die Beziehungen zu Israel ab und intensivierten ihre Kontakte zu den arabischen Staaten, insbesondere in militärischer Hinsicht. Die Sowjetunion ermöglichte Nasser eine massive Aufrüstung, an der sich auch Nordkorea beteiligte, und verstärkte die Kooperation mit Syrien.
Im September 1967 legten die arabischen Staaten auf der Konferenz von Khartum ihre drei Neins für die zukünftige Politik gegenüber Israel fest: kein Frieden, keine Anerkennung, keine Verhandlungen, was indirekte Gespräche in den kommenden Jahren dennoch nicht völlig unmöglich machte. Israel jedoch drängte auf direkte Verhandlungen und versuchte seit dem Sechs-Tage-Krieg in der internationalen Arena seine Forderung nach »verteidigbaren Grenzen« durchzusetzen, was bedeutete, dass man zur Rückgabe von großen Teilen der im Sechs-Tage-Krieg eroberten Gebiete im Gegenzug zu Friedensabkommen bereit war, aber nicht zu einem Rückzug auf die Waffenstillstandslinie von 1949. Selbst sogenannte Falken wie Dayan waren überzeugt davon, dass durch die Rückgabe des Golan an Syrien und des Sinai an Ägypten ein dauerhafter Frieden mit Nasser und Assad möglich sein müsste. Über US-amerikanische Mittelsmänner wurden Kairo und Damaskus entsprechende Angebote unterbreitet, die von der ägyptischen und syrischen Führung aber umgehend zurückgewiesen wurden.

Jom-Kippur-Krieg
Seit 1964 hatte es Israel nicht nur mit den arabischen Staaten, sondern auch mit der PLO zu tun, die allein bis zum Sechs-Tage-Krieg mehr als 120 Angriffe auf Israel ausführte. Mit Ahmet Shukeiry an der Spitze stand sie anfänglich unter der Führung eines Gefolgsmanns des Mufti el-Husseini. In der Charta der PLO wurde unmissverständlich die Zerstörung Israels gefordert, die gesamte zionistische Einwanderung für illegitim erklärt und der bewaffnete Kampf als einziger Weg zur »Befreiung Palästinas« proklamiert. Neben der Fatah, die ab 1969 unter Yassir Arafat die dominierende Kraft innerhalb der PLO wurde, agierten Gruppen wie die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) von George Habasch, die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) unter Nayef Hawatmeh, das PFLP-Generalkommando unter Ahmed Jibril, die pro-syrische as-Saiqa, die zunächst pro-irakische, dann pro-libysche und offen antisemitische Abu-Nidal-Gruppe, die unter anderem Anschläge auf Synagogen in Brüssel, Rom, Istanbul und Wien durchführte, und eine Reihe weiterer Kommandos und Splittergruppen. Ihre Aktivitäten führten Anfang der siebziger Jahre zu einem ähnlichen Dilemma wie in den fünfziger Jahren: Wie sollte Israel der anhaltenden Gewalt mit angemessener Gegengewalt begegnen? Nach langen Diskussionen kam es 1971 zu einem massiven Vorgehen gegen palästinensische Einheiten insbesondere der PFLP im Gaza-Streifen – so wie in den fünfziger Jahren unter dem Kommando von Ariel Sharon, was in Israel heftige Kritik auslöste, letztlich aber zu einer fast zehnjährigen Ruhepause in Gaza führt.
Der palästinensische Terrorismus wurde Anfang der siebziger Jahre in Israel als dominierendes Problem angesehen. 1973 war man überzeugt, die arabischen Staaten seien weder willens noch fähig zu einem erneuten Krieg, und falls doch, würde Israel sie innerhalb kürzester Zeit zurückschlagen. Warnungen von Teilen des Militärs und der Geheimdienste wurden nicht ernst genommen. Dementsprechend wurde das Land vom konzertierten Angriff der von Moskau massiv aufgerüsteten syrischen und ägyptischen Armee im Oktober 1973 völlig überrascht.
Bis heute ist in Israel umstritten, ob der Krieg vermeidbar und es mit Nassers Nachfolger Anwar el-Sadat nicht schon vor 1973 möglich gewesen wäre, ein Friedensabkommen zu schließen. Auch die Frage, ob Sadat und Assad tatsächlich die Zerstörung Israels zu dieser Zeit für ein realisierbares Ziel hielten oder lediglich auf die Rückeroberung des Golan und des Sinai sowie eine nachhaltige Schwächung Israels aus waren, wird bis heute heftig diskutiert. Unabhängig davon war das öffentliche Bewusstsein in Israel während des Jom-Kippur-Krieges von einem bis dahin nicht bekannten Ausmaß von Verzweiflung und Angst vor einer erneuten Vernichtung geprägt – im Gegensatz zum Sechs-Tage-Krieg nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der politischen und militärischen Führung, die sich angesichts des unerwartet schnellen Vorrückens der angreifenden Armeen mit einer drohenden Niederlage konfrontiert sah, die letztlich nur durch eine massive, aber erst nach langem Zögern errichtete Luftbrücke der USA zwecks Lieferung moderner Waffen abgewendet werden konnte.
Im Jom-Kippur-Krieg waren sowjetische Kampfpiloten auf ägyptischer Seite direkt involviert, während deutsche Soldaten der Nationalen Volksarmee in Syrien bereitstanden, um sich ebenfalls am Krieg gegen den jüdischen Staat zu beteiligen, letztlich aber nicht zum Einsatz kamen. Israel hatte über 2 600 Tote zu beklagen. Die Verluste der Gegenseite, die im Verlauf der Kampfhandlungen Unterstützung von Jordanien, Marokko, Libyen, Sudan und insbesondere dem Irak erhalten hatte, werden auf 15 000 bis 35 000 geschätzt.
Territorial brachte der Jom-Kippur-Krieg so gut wie keine Veränderungen. Die arabische Seite wurde abermals deutlich geschlagen, die ägyptische Propaganda schaffte es aber, den Kriegsausgang im Gegensatz zu 1948 und 1967 als großartigen Sieg zu verkaufen. Den Weltmächten hatte der Krieg vor Augen geführt, dass der Konflikt Israels mit seinen arabischen Nachbarn das Potential zu einer globalen Eskalation besaß. Die Sowjetunion hatte während des Krieges sieben Luftlande-Divisionen in Einsatzbereitschaft versetzt, woraufhin die USA für ihre Nuklearwaffeneinheiten die Alarmbereitschaft erklärten. In Reaktion darauf gibt es seither ein Interesse der Großmächte, eine Annäherung zwischen Israel und Ägypten zu unterstützen.
Im Jom-Kippur-Krieg bekam Israel einen Eindruck davon, wie es um das emanzipatorische Potential der weltweiten »Befreiungsbewegungen« bestellt war. In einer Situation, in der Israel sich an den Rand einer Niederlage gedrängt sah, von der man annahm, dass sie die Vernichtung des jüdischen Staates und die Ermordung der Mehrzahl seiner Bewohner bedeutet hätte, schickten zahlreiche »Befreiungsbewegungen« Solidaritätsadressen an die angreifenden arabischen Staaten und wünschten ihnen alles Gute beim antiimperialistischen Feldzug gegen den zionistischen Feind. Dass der israelische Staat diese »Befreiungsbewegungen« in der Zukunft wie Todfeinde behandelt hat, ist nicht verwunderlich.

Redaktionell leicht gekürzter Abdruck aus: Stephan Grigat: Die Einsamkeit Israels. Zionismus, die israelische Linke und die iranische Bedrohung. Konkret-Verlag, Hamburg 2014, 184 Seiten, 19 Euro. Das Buch ist soeben erschienen.