Judenfeindschaft an Berliner Unis
Nach dem 7. Oktober wurde das Klima für Jüdinnen und Juden an deutschen Universitäten unangenehmer und bedrohlicher. Manche von ihnen berichten, dass sie in den ersten Wochen nach den Terrorangriffen der Hamas auf Israel entschieden, nicht in die Universität zu gehen, um unangenehmen Diskussionen und solchen, in denen einseitig für Palästina oder gar die Hamas Partei genommen wird, aus dem Weg zu gehen. Betritt man das Hauptgebäude der Freien Universität Berlin (FU), sieht man zahlreiche Israel dämonisierende Plakate, die auf einen »Genozid in Gaza« hinweisen, sowie antizionistische Demonstrationsaufrufe.
Auch islamistische Schriften finden ihren Weg an die FU. Am 13. November wurden Flyer der islamistischen und vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierung »Realität Islam« auf dem Campus verteilt, die dazu aufrufen, sich gegen ein vermeintliches deutsches Meinungsdiktat zu stellen, das Solidarität mit Israel einfordere. Israel steht in der Überschrift nur in Anführungszeichen. Am gleichen Tag gab es vor dem Eingang der Mensa eine Protestaktion, bei der sich Aktivist:innen als Leichen verkleidet in weiße Laken gehüllt auf den Boden legten, um auf einen »Genozid in Gaza« aufmerksam zu machen.
Sticker und Plakate, die Solidarität mit Israel ausdrücken, auf die von der Hamas entführten Geiseln aufmerksam machen oder sich ohne Bezug zu Israel allgemein gegen Antisemitismus aussprechen, überdauern nicht lange an den Türen und Wänden der FU. Die meisten werden abgerissen oder überklebt. Dem Tagesspiegel zufolge sollen Dozent:innen der Judaistik-Fakultät ihre Studierenden dazu aufgefordert haben, Online-Angebote der FU zu nutzen, um befürchteten antisemitischen Übergriffen zu entgehen.
Die Ursache des tiefen Unsicherheitsgefühls, mit dem viele jüdische Studierende derzeit die Universität betreten, rührt nicht zuletzt vom hochschulpolitischen Aktivismus einiger antizionistischer Gruppierungen her. Viele Studierende fühlen sich eingeschüchtert von lautstarken antiisraelischen Demonstrationen auf dem Campus.
So versammelten sich am 3. November über 100 Menschen nach einem Aufruf der trotzkistischen Gruppe »Klasse gegen Klasse« vor der FU-Mensa und skandierten antiisraelische Parolen wie »Von Dahlem bis nach Gaza – Yallah Intifada«. Obwohl die FU, deren zentraler Campus in Berlin-Dahlem liegt, ankündigte, Schritte gegen die Kundgebung zu prüfen, konnte diese ungehindert stattfinden. Eine weitere Solidaritätskundgebung wurde am 8. November abgehalten.
Derzeit formieren sich an zahlreichen Universitäten jüdische und antisemitismuskritische Studierendengruppen, die versuchen, dem Antisemitismus am Campus entgegenzuwirken.
»Ich habe nichts dagegen, wenn palästinensische Studierende Unterstützung erhalten. Was mich aber stört, ist, wenn sie sich mit Antisemiten und anderen Extremisten zusammentun«, sagt Daniel*, der im fünften Semester Lehramt an einer Berliner Universität studiert. In der Whatsapp-Gruppe seines Studiengangs, der in keinerlei thematischer Verbindung zum israelisch-palästinensischen Konflikt steht, wurde von Mitstudierenden eine Leseliste mit terrorverherrlichenden und antisemitischen Texten geteilt. Vor einigen Tagen erstellten Kommiliton:innen eine Umfrage, bei der Teilnehmer:innen der Whatsapp-Gruppe abstimmen sollten, ob ihnen Palästina und Israel lieber sei.
Daniel bemühte sich, als Administrator der Gruppe antisemitische und themenferne Inhalte zu tilgen. Kurz darauf fragte ein Kommilitone in die Whatsapp-Gruppe: »Ist der Admin Daniel Jude?« Nachdem jemand mit »Ja« antwortete, schrieb die Person: »What the … , die regieren nicht nur die Welt, sondern sogar unsere Whatsapp-Gruppe« – offener Antisemitismus, dem kaum jemand in der Gruppe widersprach. Daniel ist jüdisch, er will sich jedoch nicht einschüchtern lassen.
Derzeit formieren sich an zahlreichen Universitäten jüdische und antisemitismuskritische Studierendengruppen, die versuchen, dem Antisemitismus am Campus entgegenzuwirken. Sie fordern die FU dazu auf, die Sicherheit jüdischer Studierender zu gewährleisten. Am 10. November demonstrierten unter dem Motto »Fridays for Israel« etwa 170 Menschen an der FU gegen Antisemitismus. Kundgebungen an anderen Universitäten sollen folgen.
Die Jüdische Studierendenunion richtete am Donnerstag vergangener Woche an Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) ein Forderungspapier zum Umgang mit Antisemitismus an Universitäten, in dem sie darauf hinwiesen, dass Juden und Jüdinnen am Campus »verbalen Angriffen und physischen Bedrohungen ausgesetzt« seien. Darin forderten sie unter anderem verpflichtende Lehrmodule zu Antisemitismus und dass extremistische Gruppierungen verboten werden.
*Name von der Redaktion geändert.