Zu Besuch bei der »Sozialismus-Konferenz« der Zeitschrift Jacobin

Jutebeutel, Tastenhandy, Sozialismus

Bei der Konferenz der Zeitschrift »Jacobin« am vergangenen Wochenende in Berlin sollte über den Sozialismus gesprochen werden. Es ging dann aber auch viel um die Linkspartei – und natürlich die Ukraine.
Raucherecke Von

Überwiegend junge, schicke Menschen standen bei mildem Herbstwetter vor dem Kulturzentrum Oyoun in Berlin-Neukölln. Nach 2022 lud die Zeitschrift Jacobin am Wochenende zum zweiten Mal zur Konferenz »Socialism in Our Time«. Mitorganisator war wieder Transform Europe, die politische Stiftung der Partei der Europäischen Linken, der auch die deutsche Linkspartei angehört.

Interessant war deshalb auch die Frage, wie die Zukunft der Partei diskutiert werden würde. Der neue Chefredakteur der deutschen Ausgabe von Jacobin, Loren Balhorn, meinte, dass man »Wagenknecht und AfD nicht in einen Topf werfen« dürfe – und zwar ­allein schon aus pragmatischen Gründen: Die Linkspartei »muss nach der Gründung einer Wagenknecht-Partei parlamentarisch eventuell noch mit ihr zusammenarbeiten«. Zudem teile er die von Wagenknecht formulierte Zeitdiagnose von der den politischen Diskurs bestimmenden »Lifestyle-Linken«, allerdings treffe sie nur auf die Grünen zu.

»Lifestyle-Linke« sind Wagenknecht zufolge urbane Akademiker, denen es nur um Distinktion geht und die eigentlich die Arbeiterklasse verachten. Bei der Konferenz ­zumindest ließen die jungen Großstadtlinken den Lifestyle mal Lifestyle sein und hörten brav der Co-Vorsitzenden der Linkspartei zu. Janine Wissler meinte, dass »die Arbeiterklasse heutzutage sehr divers« sei, denn sie sei dominiert von Migranten und Frauen. Sie fügte hinzu: »Wobei sie früher noch diverser war. Im 19. Jahrhundert haben auch noch die Kinder gearbeitet.« Als Gegenmodell zu Wagenknecht schien man sich auf die Formel geeinigt zu haben: »Konflikte zwischen Klassen und nicht innerhalb der Klasse forcieren«.

Anfang des Jahres hatte Ingar Solty in einem Artikel für Jacobin der Ukraine nahegelegt, sich mit Gebietsverlusten zufriedenzu­geben, um eine Kriegseskalation durch Putin zu verhindern.

Heikle Gespräche ließen die Panels zum Ukraine-Krieg erwarten. Bei der Kampagne »Genug ist genug!« gegen die durch die Inflation verschärfte soziale Ungleichheit hatte man im vergangenen Jahr noch versucht, das Thema auszusparen – die Kampagne war unter anderem von der damaligen Jacobin-Chefredakteurin Ines Schwerdtner initiiert worden, verlief aber weitgehend im Sande. Schwerdtner ist inzwischen zur Linkspartei-Politikerin avanciert und versucht, für die Europawahl auf einen aussichtsreichen Listenplatz gewählt zu werden.

Anfang des Jahres hatte Ingar Solty in einem Artikel für Jacobin der Ukraine nahegelegt, sich mit Gebietsverlusten zufriedenzu­geben, um eine Kriegseskalation durch Putin zu verhindern. Solty trommelt in seiner Funktion als »Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung« schon lange gegen die militärische Unterstützung der Ukraine.

Am Wochenende in Neukölln saß allerdings Stas Sergienko auf dem Podium, Redakteur beim linken ukrainischen Magazin Commons und Mitglied bei Right to Resist, einem internationalen Bündnis für linke Ukraine-Solidarität. Sergienko verurteilte einen »naiven deutschen Pazifismus«. Er wies darauf hin, dass »die ­Grenze zwischen Liberalen und Rechtsradikalen in der Ukraine verschwunden ist«, trotzdem unterstütze er, »wie die meisten linken Ukrainer:innen«, die ukrainische Selbstverteidigung. Das wünsche er sich auch von der deutschen Linken.

Als intellektueller Höhepunkt der Konferenz war wohl die »Weltpremiere« – so die Anmoderation – von »Hyperpolitik« gedacht. Das Buch des Historikers Anton Jäger erscheint am kommenden Montag bei Suhrkamp. Jäger versucht darin, seinen Begriff »Hyperpolitik« zu schärfen – der auch für den Jacobin-Podcast mit Ines Schwerdtner namensgebend war. »Hyperpolitik«, so erzählte Jäger auf dem Podium, »bezeichnet die Politik einer Zeit, die zwar sehr politisiert ist, wobei diese Politisierung jedoch folgenlos bleibt«.

Dass in dieser These auch Nostalgie für die gute alte Zeit mitschwingt, in der vermeintlich noch in aller Ruhe die Klassenkämpfe ausgefochten wurden, zeigte sich, als Ines Schwerdtner und ­Anton Jäger auf das Internet zu sprechen kamen. Jäger schlug vor, Zoom-Termine »abzuschaffen« und erzählte außerdem, er besitze nur ein altertümliches Tastenhandy. Ein Zuschauer fragte später, »wie man wieder mehr Menschen für Vereinsarbeit begeistern kann«. Jäger empfahl die Hilfe von Psychologen, ein anderes Mittel schien ihm auch nicht einzufallen. Richtige Vereinsmeierei gibt es wohl erst wieder im Sozialismus.