Eine neue Spezialeinheit soll islamistische Propaganda im Internet beobachten

Digital in den Gottesstaat

Soziale Medien spielen bei jihadistischer Gewalt eine große Rolle. In Hamburg stehen derzeit zwei Jugendliche vor Gericht, die sich im Internet radikalisiert haben. Eine neue Spezialeinheit soll sich dem nun widmen.

Zwei Hamburger Jugendliche stehen wegen mutmaßlicher Unterstützung der beziehungsweise mutmaßlicher Mitgliedschaft in der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) vor dem Oberlandesgericht. Die Generalbundesanwaltschaft wirft dem 17jährigen Etrit ­P. vor, einen Anschlag geplant zu haben, der 18jährige Schamsudin M. soll ihn dabei unterstützt haben. Der Anklage zufolge haben sich die beiden über Chatgruppen im Internet islamistisch radikalisiert und koordiniert. Am 9. Juni fand der erste Prozesstag statt.

Laut Anklage steht Schamsudin M. seit vergangenem Sommer in regelmäßigen Kontakt mit Kämpfern des afghanischen IS-Ablegers Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK). Er habe sich der Vereinigung angeschlossen und sich bereit erklärt, in Deutschland eine Zelle des IS zu gründen. Zudem habe er Propagandamaterial übersetzt und verbreitet sowie in einer Chatgruppe zu Anschlägen im Namen des IS aufgerufen. Etrit P. habe er Kontakt zu einem ISPK-Mitglied vermittelt, um ihn beim geplanten Anschlag zu fördern.

»Dass Islamisten das Internet für die Werbung und Radikalisierung von Jugendlichen nutzen, ist nicht neu«, sagte ein systemischer Berater der Hamburger Fach- und Beratungsstelle für religiös begründete Radikalisierung und Konflikte Legato der Jungle World. Legato berät das soziale Umfeld unter anderem von Islamistinnen und Islamisten. Auch hilft die Beratungsstelle Personen dabei, sich von islamistischen Gruppen zu distanzieren: »Social-Media-Kanäle spielten schon beim IS eine wichtige Rolle für die internationale Verbreitung ihrer Propaganda.« Aber mittlerweile nutzten Islamisten die Kanäle anders als noch vor zehn Jahren. »Jugendliche werden weniger mit theologischen Fragen als vielmehr mit Themen angesprochen, die sie im Alltag bewegen«, so der Be­rater. Vielfach knüpfe die islamistische Propaganda etwa an Diskriminierungserfahrungen an. »Jugendliche können das oft nicht erkennen«, sagte er. Darin sieht er eine große Gefahr.

»Jugendliche werden weniger mit theologischen Fragen als vielmehr mit Themen angesprochen, die sie im Alltag bewegen.« Ein Mitarbeiter der Beratungsstelle Legato

Um die Aktivitäten islamistischer Gruppen im Internet besser in den Blick zu bekommen, hat das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz eine neue Interneteinheit, die sogenannten Cyberagents, aufgebaut, die bereits im Herbst ihre Arbeit aufgenommen hat. In diesem Sommer soll sie ihre endgültige Personalstärke er­reichen, berichtete die Welt. Wie groß die Einheit letztlich sein soll, wollte die Hamburger Innenbehörde auf Anfrage der Jungle World nicht beantworten.

Doch die Gründe für eine islamistische Radikalisierung von Jugendlichen liegen aus Sicht des Beraters von Legato oft außerhalb des Internets – zum Beispiel in Konflikten innerhalb der Familie oder im schulischen Alltag. Beim Umgang mit diesen Konflikten spielten lokale islamistische Netzwerke eine große Rolle. Durch gezielte Ansprache und Angebote würden die Jugendlichen in die islamistische Szene integriert und dabei aus ihren bisherigen sozialen Beziehungen gelöst.

Während im Jahr 2022 die Zahl der Islamistinnen und Islamisten bundesweit rückläufig war, hatten islamistische Gruppierungen in Hamburg dem dortigen Innensenat zufolge Zulauf; laut dem jüngsten Landesverfassungsschutzbericht ist die Zahl der Islamistinnen und Islamisten von 1.650 auf knapp 1.755 Personen gestiegen. Auch die Bedrohungslage durch Islamisten sei weiterhin hoch, wie aus dem Bericht hervorgeht.

Nach der militärischen Niederlage habe der IS bei den Jugendlichen an Attraktivität verloren, so der Mitarbeiter von Legato. Dagegen verzeichnen laut ihm die noch relativ kleine Furkan-Gemeinschaft und die Gruppierung Muslim Interaktiv Zulauf. Die Furkan-Gemeinschaft wurde 1994 in der Türkei gegründet. Sie konnte seit 2011 insbesondere in Hamburg und Dortmund Fuß fassen und betreibt einen türkischsprachigen YouTube-Kanal mit 124.000 Abonnentinnen und Abonnenten.

Die Organisation setze sich für die Errichtung eines Kalifats auf der Basis der Scharia ein und stütze sich dabei primär auf niedrigschwellige Bildungs- und soziale Angebote, wie der Berater sagt. Muslim Interaktiv konzentriere sich dagegen stärker auf öffentliche Mobilisierung. Die Gruppierung hatte im Februar über die sozialen Medien zu einer Demonstration im Stadtteil St. Georg aufgerufen, an der etwa 3.500 Personen teilnahmen. Der Aufruf war eine Reaktion auf eine Koranverbrennung in Stockholm im Januar.

Muslim Interaktiv weist laut Hamburger Innenbehörde eine Nähe zur verbotenen Gruppierung Hizb ut-Tahrir auf und verwendet vor allem aufwendig produzierte Propagandavideos. Dem Mitarbeiter von Legato zufolge wirken Organisationen wie Muslim Interaktiv, die sich strategisch um ein ­legales Auftreten bemühen, für Jugendliche als Brücken in den Jihadismus.