Beim Anschlag von Würzburg spielt auch Misogynie als Terrormotiv eine Rolle

Jihad und Psyche

Der Anschlag in Würzburg wirft viele Fragen auf. Islamismus, Frauenfeindlichkeit und psychische Auffälligkeiten schließen sich als Erklärungsansätze nicht aus.
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Es ist wie bei den meisten Anschlägen: Erst heißt es, man wolle nicht über terroristische Hintergründe spekulieren. Dann tut man es doch. Dann lässt man es wieder fallen und verweist auf laufende Ermittlungen.

Doch egal welche Ergebnisse die Ermittlungen liefern, es wird sehr wahrscheinlich ein Streitpunkt bleiben, ob die Messerattacke in Würzburg am Freitag vergangener Woche einen islamistischen Hintergrund hatte. Das liegt in der Natur dieser wie etlicher ähnlicher Amokläufe.

Der Täter ist bisher nicht durch islamistische Umtriebe aufgefallen. Aktenkundig sind psychische Auffälligkeiten und Aufenthalte in der Psychiatrie. Die Angriffe scheinen nicht geplant gewesen zu sein, Abdirahman J. A. hat dafür ein Messer in der Haushaltswarenabteilung des Kaufhauses genutzt, in dem er mit dem Töten begann. Für den islamistischen Hintergrund spricht, dass er bei der Tat »Allahu Akbar« (Gott ist groß) rief und die Polizei in der Obdachlosenunterkunft, in der er wohnte, Schriften mit »Hassbotschaften« fand. Diese werden zurzeit noch übersetzt und ausgewertet. Am Dienstagvormittag teilte die Generalstaatsanwaltschaft München mit, bisher habe sie »keine Hinweise auf Propagandamaterial oder sonstige extremistische Inhalte gefunden«.

Das ist dünn für ein terroristisches Motiv. Auch wenn er selbst die Angriffe als »Beitrag zum Jihad« bezeichnete, macht das die ­Attacke noch nicht zu einer zielgerichteten Tat aus ideologischer Überzeugung. Denn der Mann hat psychische Probleme, zweimal wurde er in diesem Jahr deswegen in eine Klinik eingewiesen, allerdings auch nach kurzer Zeit wieder entlassen, da keine Fremd- oder Selbstgefährdung diagnostiziert wurde.

Doch die Attacke als Tat eines psychisch kranken Einzeltäters zu den Akten zu legen, verkennt die Struktur des jihadistischen Terrors. Jihadisten bauen seit Jahren auf Einzeltäter, sogenannte einsame Wölfe. In ihren Propagandamedien fordern sie gezielt zu solch einsamen Wolfstaten auf. Schon vor zehn Jahren beschrieb al-Qaida in ihrem englischsprachigen Magazin Inspire, wie man einen ­Lieferwagen in eine Menschenmenge lenkt. Der »Islamische Staat« forderte seine Anhänger zu Messerattacken in Europa auf, beispielsweise auf den freundlichen Blumenhändler an der Ecke, denn auch er sei ein Ungläubiger.

Es sind oft psychisch Kranke oder Verzweifelte, die solchen Anweisungen Folge leisten. Wer gerne Jihadist werden möchte und ein Mindestmaß an sozialer Kompetenz besitzt, geht in eine radikale Moschee oder nimmt anderweitig Kontakt auf – und begeht dann besser durchdachte Attentate.

Aber dass solche einsamen Wölfe meist psychisch krank sind, macht deren Attentate nicht weniger terroristisch. Für das Strafmaß ist es richtig zu fragen, ob der Täter zurechnungsfähig war. Man könnte auch folgern, dass ein wahnhaft Handelnder kein Terrorist sein kann – denn er hat kein politisches Ziel.

Allerdings ist die Mobilisierung psychisch Kranker Teil des jihadistischen Kalküls. Die Anweisungen für solche Taten sind genau auf diese Zielgruppe zugeschnitten. Sie werden nicht mit dem Versprechen von Gemeinschaft und einem gottgefälligen Leben gelockt wie andere Anhänger, im Mittelpunkt der Agitation stehen vielmehr Frauenhass und Antisemitismus in all ihren Spielarten des Hasses auf Aufklärung und westliche Gesellschaften. Damit gibt diese Agitation einer bestimmten Sorte psychisch labiler Männer den Wahnvorstellungen und dem Selbsthass Ziel und Struktur. Mit einem Attentat, und sei es auch noch so erfolglos, kann dem bisher als wertlos empfundenen Leben Sinn gegeben werden.

Im Fall der Messerattacke von Würzburg fällt auf, dass vor allem Frauen unter den Opfern sind: Drei Frauen starben, Christiane H., Johanna H. und Steffi W. Drei weitere Frauen und ein 11jähriges Mädchen wurden verletzt, ebenso ein männlicher Jugendlicher und ein Mann.

Terrorismusexperten haben sich erst in jüngster Zeit der Misogynie als terroristischem Motiv zugewandt. Erstmals warnten im Jahr 2018 einige US-amerikanische Institute für Terrorismusbeobachtung, darunter die Anti-Defamation League, vor Misogynie als Motiv für Terrorismus. Der australische Geheimdienst sah Misogynie als am schnellsten wachsende terroristische Bedrohung im Jahr 2021. Hintergrund sind mehrere Anschläge von sogenannten Incels, unfreiwillig Zölibatären, die die Gleichberechtigung von Frauen dafür verantwortlich machen, dass sie keine Sexpartnerinnen finden. Inzwischen werden auch die Texte rechtsextremer Attentäter auf ihren misogynen Gehalt untersucht. So weisen Studien dazu daraufhin, dass auch Anders Breivik, der vor zehn Jahren in Norwegen 77 Menschen umbrachte, und der Täter von Hanau von Frauenhass getrieben waren.

Gleiches gilt für viele jihadistische Attentäter, ob nun einsame Wölfe oder nicht. Das wurde in schrecklicher Weise bei dem Attentat auf ein Konzert des Teenie-Stars Ariana Grande in Manchester im Jahr 2017 offensichtlich, bei dem 17 der 22 Opfer weibliche Jugendliche und ihre Mütter waren.

Wenn in der Forschung nun Misogynie als terroristisches Motiv untersucht wird, ist dies ein längst überfälliger Schritt, Frauenhass erstmals als politische Ideologie wahrzunehmen. Hierbei muss aber auch der Blick auf den Jihadismus und den Islamismus gelenkt werden. Das im Islamismus vermittelte Frauenbild ist keineswegs Ausdruck überbrachter religiöser Vorschriften, sondern wie beim Rechtsextremismus Kernbestandteil der Ideologie und wesent­liche Bedingung für ihre Anziehungskraft.