Neue rechtsextreme Vorfälle in Brandenburg

Brandenburgs Brandbrief

Rechtsextreme Vorfälle bescheren Brandenburg derzeit mediale Aufmerksamkeit. Es werden gar Parallelen zu den sogenannten Baseballschlägerjahren gezogen. Der Vergleich funktioniert nicht ganz. Die derzeitige Situation ist dennoch ein Resultat der Neunziger.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich erschüttert, die »Tagesschau« fragte: »Sind die ›Baseballschlägerjahre‹ in Brandenburg zurück?« und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, Rechtsextremismus sei die größte Gefahr für »unsere Demokratie«.

Was war geschehen? Ende April hatten zwei Lehrer:innen einer Schule in der südbrandenburgischen Kleinstadt Burg zunächst anonym einen offenen Brief veröffentlicht. Sie berichteten von rechtsextremen Vorfällen und kritisierten ein Versagen der Schule im Umgang damit. Lehrer:innen seien täglich ­»damit beschäftigt, Schüler vor psychischer und physischer rechter Gewalt zu schützen«. Viele Lehrkräfte fühlten sich mit dem Problem alleingelassen.

Wenig später mussten Berliner Schüler:in­­­nen aus Sicherheitsgründen eine Klassenfahrt, die sie ins brandenburgische Heidesee geführt hatte, frühzeitig abbrechen. Als Grund gab die Schule an: Ortsansässige Jugendliche hätten die Schüler:innen rassistisch beleidigt und bedroht. Brandenburg steht deshalb im Fokus der ­Berichterstattung über Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Medien suchen nach den Ursachen dafür, dass Jugendliche rechtsextreme Positionen teilen, und Politiker:innen versichern den Betroffenen ihre Unterstützung.

Die Lehrer:innen der Schule in Burg beschrieben in ihrem offenen Brief, dass rechtsextreme Äußerungen und Belästigungen wie Hitlergrüße auf dem Schulhof, Hakenkreuz-Schmierereien und rassistische, homophobe oder neonazistische Chats unter Schülern unwidersprochen zum Schulalltag gehören. Nachdem die Diskussion Fahrt aufgenommen und das Bildungsministerium den Autor:innen zugesichert hatte, dass sie keine dienstrechtlichen Konsequenzen zu befürchten hätten, bekannten sich die Ver­fasser:innen öffentlich zu dem Brief. Am 9. Mai traten sie auf einer vom Bündnis Unteilbar Südbrandenburg organisierten Kundgebung auf, bei der sich andere Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern mit ihnen solidarisierten. Der Leiter des Schulamts versprach Unterstützung.

Die Situation in Burg, wo einige in der Region bekannte Rechtsextreme leben, wie der Unternehmer Daniel G., eine zentrale Figur der rechtsextremen Szene in Südbrandenburg, ist durchaus bedrohlich. Doch wer die jüngsten ­Geschehnisse auf eine Stufe mit denen der sogenannten Baseballschlägerjahren stellt, hat deren Spezifik nicht verstanden. Die Vielzahl der Berichte und Stellungnahmen offenbart auf den ersten Blick mehr über die Journalist:in­nen und Politiker:innen, die sich äußern, als über die Situation an Ort und Stelle. Erst auf den zweiten Blick werden an diesem Beispiel relevante, aber auch widersprüchliche Veränderungen in Ostdeutschland deutlich.

Den Begriff der Baseballschlägerjahre prägte vor wenigen Jahren der aus Frankfurt/Oder stammende Journalist Christian Bangel. Er rief Menschen, die von der rechtsextremen Gewalt der neunziger Jahre betroffen waren, dazu auf, mit ihren Erlebnissen und Geschehnissen an die Öffentlichkeit zu gehen. Aufgrund seiner Prägnanz und Griffigkeit fand der Begriff schnell Verbreitung, wurde aber zugleich, wie sich nun zeigt, zum inhaltsleeren Schlagwort.

Damals ging es nicht um Bedrohungen und Beleidigungen, sondern eine militante neonazistische Bewegung griff im ganzen Land Migrant:innen, Linke, Homosexuelle und Obdachlose an und konnte – außerhalb der städtischen Hochburgen der radikalen Linken – ihre Opfer oft ungehindert vertreiben, verletzen und ermorden. Widerstand dagegen kam gerade im ländlichen Raum von wenigen, er kostete Mut und öfters auch die körperliche und seelische Unversehrtheit. Polizei, Politik und Verwaltung ignorierten, was geschah, oder gingen sogar gegen jene vor, die versuchten, an der Situation etwas zu ändern.

Dass rechtsextreme Positionen Teil der gesellschaftlich akzeptierten Meinungsvielfalt sind und als solche auch in den Familien weitergegeben werden, ist ein Resultat der neunziger Jahre.

Dass in Heidesee nachts die Polizei kam, um die dort angegriffenen Schüler:in­nen zu schützen, ist also ein Fortschritt: In den neunziger Jahren wäre das mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht passiert. Gleichwohl steht das Geschehen in ­Heidesee und Burg in Verbindung zu den neunziger Jahren. ­Beide Orte befinden sich in Regionen, in denen es den Rechtsextremen gelang, sich mit brutalen Mitteln durchzusetzen, Kritiker:innen dauerhaft einzuschüchtern und zu vertreiben.

Dass rechtsextreme Positionen Teil der gesellschaftlich akzeptierten Meinungsvielfalt sind und als solche auch in den Familien weitergegeben werden, ist ein Resultat der Neunziger. Seither hat sich jedoch einiges geändert. Die extreme Rechte wandelte sich von einer militant agierenden, außerparlamentarischen neonazistischen Jugendbewegung zu einer breiten, altersübergreifenden sozialen Protestbewegung mit einer starken parlamentarischen Vertretung durch die AfD. Dieser Protestbewegung eignet aber immer noch hohe Gewaltbereitschaft, wie die Jahre 2015 bis 2019 zeigten, in denen rechtsextreme Demonstrationen gegen die Aufnahme syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge und rassistische Gewalt in Brandenburg erneut zum Alltag gehörten.

Damals fanden viele Medien und Politiker:innen die Positionen der Rassist:innen allerdings, ähnlich wie schon in den Neunzigern, zumindest nachvollziehbar und bekundeten, mit diesen im Gespräch bleiben zu wollen. Der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zum Beispiel forderte 2015 vor dem Hintergrund der rassistischen Massenbewegung gegen die Aufnahme von Flüchtlingen Grenzen für deren Aufnahme und sprach sich dafür aus, dass »Menschen in unserem Land nicht vernachlässigt werden und auch ihre ganz realen Bedürfnisse und ­Probleme ernst genommen werden«. So verständnisvoll klingen die Reaktionen heute nicht mehr.

Die Transformation der rechtsextremen Bewegung stützt einerseits deren Akzeptanz und Dominanz in der Region. In Brandenburg entstand ab 1998 das Konzept »Tolerantes Brandenburg«, das der militanten Rechtsextremen durchaus erfolgreich mit einer Mischung aus Repression und dem Aufbau einer staatlich geförderten Zivilgesellschaft begegnete. Dieser Ansatz versagt jedoch im Umgang mit einer breit verankerten, zumeist zivil und legal agierenden, sozialen Bewegung. Gleichzeitig erleichtert das niedrigere Gewaltniveau öffentlichen Widerspruch und Versuche, sich gegen die rechtsextreme Dominanz zu wehren.

Aus dieser Entwicklung resultierende Konflikte am Beispiel einer Schule erlangen somit nicht zufällig öffentliche Aufmerksamkeit. In Brandenburgs Kleinstädten änderte sich die Bevölkerungszusammensetzung. Nach Jahren des Wegzugs nimmt die Bevölkerungszahl wieder zu, kommen Berliner:in­nen, Migrant:innen und Rück­kehrer:innen aus Westdeutschland in die Städte. In einem Land, in dem eine sogenannte schlanke Verwaltung sich aus der Fläche zurückgezogen hat und Plattformen des gesellschaftlichen Austauschs weggebrochen sind, sind Schulen einer der wenigen Orte, an denen Angehörige der rechtsextremen Szene und ihre Gegner:innen und potentiellen Opfer sich in einem staatlich vermittelten Rahmen begegnen, in dem rechtsextremen Dominanzversuchen zumindest theoretisch effektiv etwas entgegengesetzt werden könnte. Der offene Brief der Lehrer:innen in Burg ist Teil eines Kampfs um die Hegemonie an Ort und Stelle. Um hier zu bestehen, bedarf es jedoch mehr als warmer Worte von Schulräten und Landespolitikern.