Russland wirbt mit antiwest­licher Rhetorik um Bündnispartner

Putins regressiver Kampf gegen die »Goldene Milliarde«

Russland stellt sich als Vorkämpfer des »Globalen Südens« gegen die Dominanz des Westens dar. Mit einem Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung hat diese Rhetorik nichts zu tun – Anklang findet sie besonders bei Reaktionären und Autokraten.

Der russische Präsident Wladimir Putin wollte die Ukraine »heimholen« wie einst Zar Peter I. das Gebiet um das heutige Sankt Petersburg. Ihn gelüstete es nach einem großrussischen Reich und einer Einflusssphäre wie zu Zeiten Stalins, die russische Propaganda rief dazu zur »Enteuropäisierung« der Ukraine und zur gründlichen »Umerziehung« ihrer Bevölkerung auf. Seit Russlands Soldaten in der Ostukraine festsitzen, ruft Putin bei jeder Gelegenheit den »Globalen Süden« zum Kampf gegen die »Goldene Milliarde« auf, um die Welt von der liberal-kosmopolitischen Dekadenz des Westens zu erlösen, die dieser anderen aufzwinge.

Von Putins Rhetorik beeindruckt, fragte die Berliner Morgenpost bang, ob der Westen den »Globalen Süden« verliere, weil seine »Werbefeldzüge unter dem Banner der Moral« wohl nicht reichten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat das Problem ebenfalls erkannt und mahnte in einer Rede vor dem EU-Parlament am 9. Mai, die EU müsse den »eurozentrischen Blick der vergangenen Jahrzehnte« überwinden und die Interessen der aufstrebenden Schwellenländer in der entstehenden »multipolaren Weltordnung« ernst nehmen – beispielsweise indem die EU »zügig neue Freihandelsabkommen« abschließe.

Beide Seiten werben mit Moral: der Westen mit Demokratie und Menschenrechten, Putin mit dem Versprechen einer umfassenden Regression, angetrieben vom Hass auf Homo- und Transsexualität, auf Frauen und individuelle Freiheiten und von dem faschistischen Geist, der Humanität als Schwäche brandmarkt, die es auszumerzen gelte. Von den 137 im Bertelsmann-Transformationsindex 2022 untersuchten Ländern in Asien, Afrika, Südamerika und Osteuropa sind 70 Autokratien. Ihre Herrscher werden Demokratie und Menschenrechte als Bevormundung aus dem Westens zurückweisen. Ethik ist wichtig, aber sie reicht natürlich nicht. Wie die Ukraine zeigt, braucht es auch Panzer und eine Flugabwehr, Aufstände gegen Diktaturen und viel Aufklärung.

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