China legt einen Zwölf-Punkte-Plan mit vagen Forderungen an die Ukraine und Russland vor

Kein bisschen Frieden

Die chinesische Regierung hat ein Positionspapier zum Krieg in der Ukraine vorgelegt. Die Initiative hängt mit dem sino-amerikanischen Konflikt und der Beziehung zu den europäischen Staaten zusammen.

Das Dokument war längst mit Spannung erwartet worden: Zum ersten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar veröffentlichte das chinesische Außenministerium »Chinas Positionen zur politischen Lösung der Ukraine-Krise« in zwölf Punkten. Darin werden beide Kriegsparteien aufgerufen, einen sofortigen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen anzustreben.

China bietet an, in diesem Prozess eine »konstruktive Rolle« zu spielen, eine konkrete Vorgehensweise für Verhandlungen gibt das Positionspapier nicht an. Es bekräftigt in rund 800 Wörtern im Wesentlichen die chinesischen Forderungen, die seit März 2022 erhoben werden.

Souveränität und territoriale Integrität aller Länder sollen demnach re­spektiert werden. Das kann durchaus als implizite Kritik an Russlands Gebiets­annexionen in der Ukraine verstanden werden, explizit hat die chinesische Regierung allerdings bisher weder die Grenzverschiebungen noch den Angriff verurteilt.

Der zweite Punkt richtet sich gegen eine »Mentalität des Kalten Kriegs«. Die Expansion von Militärbündnissen und eine neue Blockbildung werden kritisiert, womit die Nato-Osterweiterung gemeint sein dürfte, in der die chinesische Regierung eine Verletzung »legitimer Sicherheitsinteressen« Russlands sieht. Außerdem fordert China die Aufhebung aller Wirtschaftssanktionen, die nicht durch den UN-Sicherheitsrat beschlossen wurden.

Die chinesische Regierung beschreibt ihre Position im Ukraine-Krieg in der Regel als »gerecht« und »objektiv«.

Während diese beiden Punkte Russland entgegenkommen, wird unter Punkt acht bereits die Drohung mit Atomwaffen verurteilt; diese dürften »nicht eingesetzt und Atomkriege nicht geführt werden«. Im Positionspapier wird darüber hinaus gefordert, die humanitäre Krise der Kriegsgeflüchteten zu lösen, für Sicherheit der Atomkraftwerke im Kriegsgebiet zu sorgen sowie am Getreide­abkommen zwischen Russland und der Ukraine festzuhalten, um die globale Ernährungskrise zu lindern. China bietet an, sich am Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg zu beteiligen.

Westliche Medien bezeichnen Chinas Haltung zum Ukraine-Krieg oft als neutral. Die chinesische Regierung beschreibt ihre Position in der Regel als »gerecht« und »objektiv«. Da sie vor dem Krieg enge Beziehungen sowohl zu Russland als auch zur Ukraine unterhielt, sieht sich die Regierung in einer Zwischenposition. Regierungssprecher betonen immer wieder, dass die »allseitige strategische Partnerschaft« mit Russland kein Militärbündnis wie die Nato sei und keinen Beistandspakt beinhalte.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Positionspapiers könnte mit Vorwürfen der US-amerikanischen Regierung zu tun haben. Außenminister Antony Blinken sagte Mitte Februar kurz vor der Ankunft des chinesischen Diplomaten und ehemaligen Außenministers Wang Yi bei der Sicherheitskonferenz in München dem Fernsehsender CBS, es gebe Anhaltspunkte, dass die chinesische Regierung in Erwägung ziehe, Russland mit »tödlichen Fähigkeiten« auszustatten.

Naheliegend ist, dass Blinken damit den diplomatischen Bemühungen Chinas um die EU-Länder einen Dämpfer versetzen wollte. Die chinesische Regierung bestreitet die Anschuldigungen. Nach Angaben der Washington Post gibt es führenden US-Sicherheitsbeamten zufolge keine Beweise für chinesische Waffenlieferungen an Russland. Diese würden auch »Konsequenzen«, so Blinken, nach sich ziehen.

In seiner Rede auf der Münchner ­Sicherheitskonferenz am 18. Februar sprach Wang von Europa und China als zwei »großen Zivilisationen«, die am »Prozess der Multipolarisierung« der Welt beteiligt seien. Der Vortrag enthielt einige direkte und indirekte Seitenhiebe gegen »globale Hegemoniebestrebungen« der USA. In der chi­nesischen Delegation in München war auch der ehemalige Oberst und Sicherheitsexperte Zhou Bo vertreten. In einem Interview mit dem Radiosender Deutsche Welle sagte er, es sei Resultat der guten Beziehungen zu Russland und der immer negativeren Haltung der USA zu China, dass China die Rolle der USA im Ukraine-Krieg direkt, aber Russland nur indirekt kritisiere.

Auf der Konferenz traf Wang unter anderem zu einem Gespräch mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba zusammen. Wang versicherte dem chinesischen Außenministerium zufolge, beide Länder seien weiterhin »strategische Partner«. Interessanterweise regierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Unterschied  zu den meisten westlichen Regierungen relativ positiv auf Chinas Initiative. Er drückte seinen Wunsch aus, Xi Jinping zu treffen, der darauf bisher nicht ­reagiert hat. Die Wirtschaftsbeziehungen funktionieren: Nach offiziellen Angaben der Regierung in Kiew war die Volksrepublik im Januar 2023 noch mit Abstand der größte Handelspartner der Ukraine bei Importen und der drittgrößte bei Exporten.

An einer Dämonisierung der ukrainischen Regierung als Nazis hat sich die chinesische Regierung nicht beteiligt.

Wang machte auf seinem Weg nach Moskau keinen Zwischenhalt in Kiew, was notwendig erschiene, wenn das Positionspapier ein konkreter Friedensplan wäre. In Moskau stieß die chinesische Initiative nicht auf große Begeis­terung. Schon am 24. Februar dankte Marija Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, der staatlichen Nachrichtenagentur Tass ­zufolge der chinesischen Regierung für ihre Bemühungen. Russland sei offen dafür, die Ziele der »militärischen Spezialoperation« auf diplomatischem Wege zu erreichen. Darunter fielen die Anerkennung der »neuen territorialen Realitäten« in der Ukraine sowie die »Entmilitarisierung« und »Entnazifizierung« des Lands.

Der erste Punkt steht im Gegensatz zur Forderung des chinesischen Positionspapiers nach territorialer Integrität. An einer Dämonisierung der ukrainischen Regierung als Nazis hat sich die chinesische Regierung nicht beteiligt.

Das Positionspapier richtet sich auch an die Weltöffentlichkeit, um Vorwürfen einer einseitigen Unterstützung Russlands entgegenzutreten und China als Friedensmacht darzustellen. Insbesondere im Globalen Süden nehmen einflussreiche Staaten wie Indien, Südafrika und Brasilien eine ähnliche Haltung ein wie die Volksrepublik. Allerdings besteht zurzeit wenig Hoffnung auf einen Waffenstillstand für Verhandlungen in der Ukraine. Sowohl die russische als auch die ukrainische Regierung scheinen noch zu hoffen, die andere Seite auf dem Schlachtfeld in dem opferreichen Abnutzungskrieg besiegen zu können.

In den US-amerikanischen und deutschen Leitmedien waren die Reaktionen auf Chinas Initiative überwiegend negativ. Dem Vermittlungsangebot der Volksrepublik wurde die Ernsthaftigkeit weitgehend abgesprochen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bewertete am 24. Februar in einem ZDF-Interview die chinesische Kritik an atomaren Drohungen positiv. Sie sieht jedoch die Resolution der UN-Vollversammlung vom 23. Februar als einen gültigen »Friedensplan«. Diese Resolu­tion fordert den sofortigen und bedingungslosen Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine. Bei der Abstimmung hatte sich China wie üblich enthalten, was Baerbock kritisierte.

Wang reiste in seiner Funktion als Direktor der Kommission für ausländische Angelegenheit der Kommunistischen Partei Chinas, womit er der ranghöchste Diplomat des Landes ist. Seine Reise nach Frankreich, Italien, Deutschland, Ungarn und schließlich auch Russland sollte ausloten, wo Unterstützung für die chinesische Position zu erwarten ist.

Die chinesische Seite hofft, die rechte Regierung unter Giorgia Meloni könne zu einer engen Zusammenarbeit zurückkehren. Allerdings ist die China-Begeisterung in Italien abgekühlt.

Die offizielle Berichterstattung in China legt nahe, dass Frankreich unter den westeuropäischen Ländern am ehesten eine stärkere »strategische Autonomie« zugetraut wird. Präsident Emmanuel Macron bewertete das Positionspapier überwiegend positiv und kündigte an, China im April zu besuchen, um auch über den Ukraine-Krieg zu sprechen.

2019 hatte die italienische Regierung als einziges G7-Land eine Grundsatzerklärung mit China unterzeichnet, um beim globalen Infrastrukturprojekt »One Road, One Belt« zu kooperieren. Das wurde allerdings auch in Italien kritisiert. Die chinesische Seite hofft nun, die neue rechte Regierung unter Giorgia Meloni könne zu einer engen Zusammenarbeit zurückkehren. Allerdings ist die China-Begeisterung in Italien abgekühlt, das Land ließ Ende 2022 chinesische Bieter beim Verkauf der Triester Hafengesellschaft abblitzen. Der neofaschistische Wirtschaftsminister Adolfo Urso erteilte chinesischen Infrastrukturvorhaben eine klare Absage: »Wir werden uns den Chinesen nicht ausliefern«.

Ungarn hat eine besonders enge Beziehung zu China, nicht erst seit die Regierung mit der EU im Konflikt steht. Viele osteuropäische Staaten, die bis zum Ausbruch des Kriegs ein gutes Verhältnis zu China hatten, sind über dessen Haltung zum russischen Angriff verärgert. Ungarn hingegen trägt selbst einen Teil der westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht mit.