Winter des Missvergnügens
Über Jahrzehnte hinweg stand der Begriff winter of discontent, Winter des Missvergnügens, für eine Horrorvision, mit der die Konservative Partei im Vereinigten Königreich Wahlen zu gewinnen pflegte: Er signalisierte Chaos, das sich aus zu großer Nachgiebigkeit gegen Proleten speise, und einen Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung, wie ihn die Gewerkschaften mit den umfassenden Streiks 1978/1979 herbeigeführten hätten. Beides fürchteten viele Briten lange mehr als die Tatsache, dass sie sich seit den achtziger Jahren kaum mehr Zahnersatz leisten konnten.
Das ändert sich gerade: Derzeit ist winter of discontent ein Schlagwort wiedererstarkter Gewerkschaften, eine Umwertung des Begriffs, der darauf hindeutet, dass sich die Ära des Thatcherismus, auch des sozialdemokratischen eines Tony Blair (»We are all Thatcherites now«, hatte dessen Intimus Peter Mandelson 2002 zum Besten gegeben) dem Ende entgegen neigt.
Das Frühjahr 1979 brachte Großbritannien eine Zeitenwende, die ihren Namen wahrhaft verdient hatte. Mit dem Wahlsieg Margaret Thatchers kam das abrupte Ende des britischen post-war consensus und damit das Ende einer Ära, in der die Labour-Partei und die Konservativen in aus heutiger Sicht paradox scheinender Weise sich auf ein Gesellschaftsmodell geeinigt hatten, das Labour für den Übergang zum Sozialismus hielt, die Konservativen hingegen für dessen Verhinderung: Die Letzteren akzeptierten – in durchaus widerwilliger Erfüllung von Zugeständnissen, die den Arbeiterorganisationen im Überlebenskampf gegen Nazideutschland gegeben worden waren – eine weitgehende staatliche Kontrolle der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die dezidiert wohlfahrtsstaatlich und keynesianisch nachfrageorientiert war. Im Gegenzug verhinderten sie aber die komplette Verstaatlichung von Industrie und landwirtschaftlichen Großbetrieben, die die Labour-Linke stets forderte.
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