Moralist im Mustang

Er schrieb über die Wiederbewaffnung, den Playboy Gunter Sachs und über die RAF: Erich Kuby, der in in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden wäre. Für den Aufbau-Verlag war dies der Anlass, an einen der kantigsten Publizisten der alten Bundesrepublik mit einem hübsch aufgemachten und viel Lesestoff bietenden Reader zu erinnern. »Mein ärgerliches Vaterland« versammelt Reportagen und Analysen aus den Jahren 1946 bis 1989, die Kuby für den Spiegel, die Welt und den Stern geschrieben hat. Im lässigen Nachwort von Peter O. Chotjewitz erfährt man, was man über die Person Kuby wissen muss. Chotjewitz, der ihn kannte und mochte, hebt seinen Hedonismus hervor. Im Ford Mustang fuhr Kuby zum Treffen der Gruppe 47, die anderen waren mit dem Bus angereist.
Seine Unspießigkeit ist es wohl auch, die ihn für Leute wie Daniel Cohn-Bendit einnimmt. Das Porträt des damals »blutjungen« Dany – »blutjung« ist eins von Kubys Lieblingsattributen – ist eine hellsichtige Gesellschaftsreportage. Er schreibt mit einer Autorität, die einen spüren lässt, dass da jemand eine unverrückbare politische Haltung gefunden hat, die eines linken Moralisten und Radikaldemokraten. Die Genauigkeit, mit der er tagesspolitsche Debatten begleitet, macht die Lektüre heute aber auch anstrengend. Es ist eine Archäologie der BRD, die eine andere Geschichte zutage fördert als die, die man von Guido Knopp erzählt bekommen hat.

Erich Kuby: Mein ärgerliches Vaterland. Aufbau, Berlin 2010. 610 Seiten, 16,95 Euro