Dienstag, 25.06.2024 / 22:58 Uhr

Iraner zeigen wenig Interesse an Präsidentschaftswahlen

Khamenei bei Stimmabgabe zu den Parlamentswahlen, Bildquelle: Farsnews

Die iranischen Präsidentschaftswahlen gehen in die Endrunde. Doch die Apathie der Bevölkerung und die prognostizierte geringe Wahlbeteiligung stellen das Regime vor ein großes Dilemma.

 

Während sich nach dem Tod von Präsident Ebrahim Raisi bei einem Hubschrauberabsturz am 19. Mai achtzig Kandidaten um die Teilnahme an den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 28. Juni beworben hatten, schloss der Wächterrat die Mehrheit der Bewerber unter dem Vorwand ihrer »Unwählbarkeit« aus. Das nicht gewählte und von den sogenannten Hardlinern kontrollierte Gremium genehmigte lediglich die Zulassung von sechs mehrheitlich konservativen Kandidaten.

Auf der endgültigen Liste steht mit Masoud Pezeshkian, dem ehemaligen Gesundheitsminister und jetzigen Abgeordneten für die Region Täbris, lediglich ein einziger Kandidat der Reformbewegung. Die anderen vom Wächterrat zugelassenen Bewerber sind der konservative Parlamentspräsident Muhammad Baqir Qalibaf, der Gouverneur Saeed Jalili, der früher das Sekretariat des Obersten Nationalen Sicherheitsrats leitete und die Verhandlungen mit den Großmächten über das Atomprogramm führte, und der Bürgermeister von Teheran, Ali Reza Zakani. Auch der ultrakonservative Vorsitzende der Märtyrer- und Veteranenstiftung Amir Hossein Qazizadeh Hashemi und der ehemalige Innenminister Mostafa Pourmohammadi gehören dazu.

Während der Debatte am vergangenen Montag stellten die Kandidaten ausführlich ihre Lösungsvorschläge für die wirtschaftlichen Probleme vor, die der Bevölkerung am meisten Sorgen bereiten. Die rund 85 Millionen Iraner sind mit einer Inflation von bis zu vierzig Prozent, einer hohen Arbeitslosenquote und einem Rekordwertverlust ihrer Währung konfrontiert.

Großes Dilemma

Nach der jüngsten Umfrage eines führenden iranischen Meinungsforschungsinstituts wird die Beteiligung bei den anstehenden Wahlen wegen der Apathie und des Desinteresses voraussichtlich ein neues Rekordtief erreichen.

Das staatliche Meinungsforschungsinstitut veröffentlichte am Donnerstag die Ergebnisse, wonach sich nur 42,5 Prozent der Bürger entschlossen zeigen, »auf jeden Fall« wählen zu gehen. Dies ist ein Rückgang von sechs Prozent im Vergleich zu den letzten Wahlen im Jahr 2021, bei denen die Beteiligung mit 48,8 Prozent bereits den niedrigsten Prozentsatz bei einer Präsidentschaftswahl in der Geschichte der Islamischen Republik aufwies.

Die Professorin für Iranistik an der Georgetown University, Emily Plau, begründet dies damit, dass es »im Iran neben der grassierenden Korruption auch Krisen wie die steigende Inflation, die Auswirkungen der Sanktionen und wirtschaftliches Missmanagement« gebe. Deshalb habe sich die Mittelschicht von der Regierung abgewandt und sich an den letzten Wahlen kaum beteiligt.

Plau glaubt auch, dass das mangelnde Interesse an Nachrichten und Diskussionen über die Präsidentschaftswahlen sowohl in den herkömmlichen als auch in den sozialen Medien eine große Herausforderung für die Führung des Regimes darstellt, »weil es zeigt, dass sich die Mehrheit der Menschen von der Regierung distanziert. Die geringe Beteiligung der Menschen an den Wahlen ist ein großes Dilemma für das Regime.«

Wer wird gewinnen?

In den letzten Tagen schaltete sich der ehemalige Außenminister Mohammad Javad Zarif in die Wahldiskussionen ein und unterstützte den dem sogenannten Reformlager zugehörigen Kandidaten Masoud Pezeshkian, was zu Spekulationen über dessen Siegeschancen führte.

Der Direktor für Iran-Angelegenheiten bei der International Crisis Group Ali Fayez bezeichnet Zarifs Präferenz für Pezeshkian als »zweischneidiges Schwert«. Zarif belebte zwar einerseits die Kampagne des Reform-Kandidaten und scharte viele hinter sich, die ein Ende der internationalen Isolation des Irans wünschten, gleichzeitig stachelte er aber auch die sogenannten Hardliner an, das zu verhindern, was sie für eine neue, reformorientierte Regierung halten.

Fayez fügte hinzu, der größte Konkurrent Pezeshkians sei »die weitverbreitete politische Apathie. Er wird keine realistische Chance haben, Präsident zu werden, wenn die Wahlbeteiligung nicht über 65 Prozent liegt.«

Für den auf iranische Angelegenheiten spezialisierte Wissenschaftler Sharif Haridi ist es wahrscheinlich, dass die Wahlen zum Sieg eines fundamentalistischen Präsidenten führen, da das Regime versuche, »das Vakuum zu füllen, das durch das plötzliche Fehlen des verstorbenen Präsidenten Ebrahim Raisi entstanden ist, der in den Augen des Regimes ein idealer Präsident war«. Die Machthabenden wollen eine Alternative finden, die nicht weniger ideal für sie selbst ist als Ebrahim Raisi es war, vor allem angesichts der kritischen Phase, die der Iran sowohl im In- als auch im Ausland durchläuft.

Im Inland steht über kurz oder lang die Wahl des dritten Obersten Führers und damit des Nachfolgers des gesundheitlich schwer angeschlagenen Ali Khamenei an, »deren Auswirkungen zu einer Veränderung der Struktur des politischen Systems führen können«. Im Ausland sei das Regime mit Fragen im Zusammenhang mit dem Atomprogramm sowie den stockenden Verhandlungen mit den Großmächten ebenso beschäftigt wie mit der Eskalation mit Israel und den Beziehungen zu den Nachbarländern. »Alle diese Fragen erfordern einen Präsidenten, der in die tiefe Struktur des iranischen Regimes passt und nicht im Widerspruch zu ihm steht«, meinte Sharif Haridi abschließend, damit sich frühere Erfahrungen wie die mit dem als Reformer geltenden Präsidenten Hassan Rohani nicht wiederholen,