Mexikos Atomdebakel
Ciudad Juárez in Mexiko und El Paso im US-Bundesstaat Texas trennt der Rio Bravo – aber auch eine der am stärksten militarisierten Grenzen der Welt. In diesem Ballungsraum direkt an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze ist das Leben in jeglichem Sinne binational. Familienleben, Wirtschaft, Freundschaften, Einkäufe, Arbeit, Schule – alles ist über die Grenze hinweg verknüpft. »Radioaktive Strahlen kennen auch keine von Menschenhand gezogenen Grenzen«, sagt Ernesto Robles Quiñonez, ein Museumsdirektor und ehemaliger Grundschullehrer. Der 55jährige mit grauem Bart war im Jugendalter, als sich der Unfall ereignete, der hier unter dem Namen des dabei freigesetzten radioaktiven Isotops bekannt ist: »Cobalto-60« (Kobalt-60).
»Ende 1983 wurde eine von einem mexikanischen Krankenhaus in den USA erworbene Kobaltkanone zur Strahlentherapie gegen Krebs auf einem Schrottplatz in Ciudad Juárez zerlegt«, erzählt er. Das Gerät mit einer leistungsstarken radioaktiven Kobalt-60-Strahlenquelle hatte sechs Jahre im Keller eines Krankenhauses gestanden, war aber mangels qualifizierten Personals nie zum Einsatz gekommen. »So erbat sich der Hausmeister Vicente Sotelo, es als Schrott zu verkaufen, und verteilte unwissentlich strahlende Partikel im ganzen Stadtgebiet.«
In der staubigen Industriemetropole im Schatten der USA, die heutzutage rund 300 internationale Montagefabriken, die maquilas, beherbergt, ist der Verkauf von Material, das nicht mehr verwendet wird, ein gutes Geschäft. Unzählige Schrottplätze säumen die Ausfallstraßen Richtung Süden in die Wüste hinaus. Vom Schrottplatz »Yonke Fénix« aus wurde die in Kleinteile zerlegte Kobaltkanone mit anderen Metallen zu Stahlstreben und Tischsockeln verarbeitet, die in halb Mexiko verkauft und auch in die USA geliefert wurden.
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