Die Zahl der Fälle von Gewalt durch Partner oder Verwandte nimmt in Berlin zu

Häusliche Gewalt macht keine Ferien

Immer mehr Frauen werden in Berlin Opfer häuslicher Gewalt. Es fehlen die Kapazitäten, um allen akut Betroffenen Schutz anzubieten. Die Fraktion der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus hat dafür einen Fünf-Punkte-Plan entwickelt.

Die eigene Wohnung gilt vielen als sicherer Hafen. Hier kann man vom stressigen Alltag abschalten und findet Geborgenheit bei seinen Vertrautesten. Diese bürgerliche Behauptung überdeckt allerdings den Alptraum, den viele Frauen zu Hause erleben. Anfang Juli hat das Bundeskriminalamt das Bundeslagebild Häusliche Gewalt 2023 veröffentlicht. Die Femizide, die die Boulevardpresse gerne als »Ehedrama« oder »Beziehungstat« verharmlost und zu Einzelfällen stilisiert, werden hier mit Hilfe ernüchternder Statistik als systematisches Phänomen deutlich.

Im vergangenen Jahr starben laut dem Lagebericht 525 Frauen in Deutschland infolge häuslicher Gewalt. Insgesamt wurden 256.276 Menschen Opfer häuslicher Gewalt. Das ist ein Anstieg von 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In 70,5 Prozent der Fälle waren die Opfer weiblich. In 75,6 Prozent waren die Täter Männer.

Die Beratungshotline der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen konnte 78 Prozent der Anru­fe­rin­nen, die sich in akuter Gefahr befanden, keinen Schutzplatz in Berlin vermitteln.

Geholfen werden kann jedoch zu selten. Denn vielfach fehlt es an Schutzplätzen. Die Beratungshotline der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) berichtete jüngst in einer Pressemitteilung von 895 Anrufen im Mai und 814 im Juni und damit den meisten monatlichen Anrufen seit vor Beginn der Covid-19-Pandemie. 78 Prozent der Anruferinnen, die sich in akuter Gefahr be­fanden, konnte man demnach allerdings keinen Schutzplatz in Berlin vermitteln.

Vier Frauen wurden in Berlin im Mai und Juni von ihren ehemaligen Partnern ermordet. Mitte Juli hat die Fraktion der Grünen im Berliner Abge­ordnetenhaus einen Fünf-Punkte-Plan vorgestellt, um einen besseren Schutz vor häuslicher Gewalt zu gewährleisten.

Gefährdungshinweise liegen häufig bereits vor der Tat vor. Zahlreiche Übergriffe könnten also verhindert werden, wenn man die Prävention verbesserte. Die Grünen fordern daher, dass sich Jugendämter, Polizei und Beratungsstellen enger austauschen und eine Schutzstrategie für potentiell oder akut von Gewalt Betroffene er­arbeiten. In Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ist das bereits gängige Praxis. In Berlin scheitert das Konzept bislang an den Bedenken der Berliner Datenschutzbeauftragten.

Wohnungs­verweisung, Kontakt- und Näherungsverbot

Ein weiterer Kritikpunkt der Grünen ist die kurze Dauer der Wohnungs­verweisung. Bisher ist es der Polizei erlaubt, Personen, von denen die Gefahr ausgeht, für zwei Wochen der Wohnung zu verweisen. Für die Betroffenen reicht das den Grünen zufolge jedoch nicht aus, sich genügend psychisch zu stabilisieren und sich Hilfe etwa in einer Fraueneinrichtung zu organisieren. Sie wollen daher den Zeitraum auf vier Wochen verlängern.

Außerdem brauche es ein Kontakt- und Näherungsverbot, das im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz verankert werden müsse, heißt es weiter im Fünf-Punkte-Plan. Denn Täter würden sich oft mehrfach am Tag per Handy bei den Betroffenen melden oder trotz Wohnungsverweises vor der Haustür auftauchen. Die Grünen wollen die Täter schneller und deutlicher sanktionieren: Wer schlägt, muss gehen, und wer nicht geht, muss zahlen. Die Sprecherin für Frauenpolitik der Grünen, Bahar Haghanipour, forderte die Senatsverwaltung für Inneres laut RBB dazu auf, per Rechtsverordnung die Grundlage für eine Geldbuße bis 5.000 Euro zu schaffen.

Elektronische Fußfessel

In Spanien können Gerichte seit 2009 das Tragen einer elektronischen Fußfessel anordnen, um Kontakt- und Annäherungsverbote von Gewalttätern zu überwachen. Die Opfer wiederum tragen GPS-­Geräte ähnlich einer Smartwatch bei sich, die reagieren, sobald der Abstand zwischen den beiden elek­tronischen Ortungsgeräten weniger als 500 Meter beträgt. Bereits im ersten Jahr sank die Quote der ermordeten Frauen um 26,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Frankreich etablierte diese Praxis 2012 und die Schweiz startete 2023 einen Pilotversuch.

Zuletzt fordern die Grünen den rot-schwarzen Senat dazu auf, Kürzungen im Haushalt im Bereich der Prävention zu überdenken. Im Gewaltschutz-Etat seien in diesem Jahr 1,7 von 8 Millionen Euro gekürzt worden, so die Oppositionsfraktion. Auch das Präventionsprojekt der BIG sei »immer wieder von Kürzungen bedroht«, so die Geschäftsführerin Doris Felbinger. Im Rahmen des Präventionsprojekts besucht die BIG Schulen und klärt Schüler und Eltern über häusliche Gewalt auf.

Diese Aufklärungsarbeit ist bitter nötig. Das Problem beginnt nicht erst mit physischer Gewalt, sondern bereits bei Bedrohungen, Beschimpfungen, Belästigungen und Kontrolle durch den Partner.

Ein neuer Tiktok-Trend macht das deutlich. Junge Frauen filmen sich dabei, wie sie Sprachnachrichten ihrer ehemaligen Freunde abspielen und sich über sie lustig ­machen. Der meist humoristische Anstrich der Videos lässt kurzzeitig die ­Inhalte der Sprachnachrichten vergessen. Die jungen Männer demütigen, ­beleidigen oder bedrohen ihre Ex-Freundinnen. In den Kommentarspalten äußern andere Frauen ihre Soli­darität und teilen ihre eigenen persönlichen Erfahrungen.