Philip Obaji, Afrika-Korrespondent, im Gespräch über russische Paramilitärs in der Zentralafrikanischen Republik und ihre Beteiligung an Massakern

»In der Zentralafrikanischen Republik haben alle Angst«

Seit 2018 unterstützen russische Söldner der Gruppe Wagner die Armee der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) beim Kampf gegen bewaffnete islamistische Aufständische, seitdem bauen sie ihre Position in dem Land stetig aus. Der nigerianische Journalist Philip Obaji recherchiert seit Jahren über die Aktivitäten der russischen Söldner und hat zahlreiche Berichte über Verbrechen an Zivilisten veröffentlicht. Die »Jungle World« sprach mit ihm über Massaker, ermordete Journalisten und die Befürchtung, dass sich ähnliche Entwicklungen in anderen Ländern der Region wiederholen.

Im vergangenen Dezember wurden Sie während einer Reportagereise in der Zentralafrikanischen Republik verhaftet. Was war geschehen?
Ich war dort, um über die Aktivitäten der russischen Paramilitärs nach dem Tod von Jewgenij Prigoschin, dem Gründer der Wagner-Gruppe, zu recherchieren. Ich bin über Kamerun eingereist, weil es für mich zu gefährlich ist, in die Hauptstadt Bangui zu fliegen – die Wagner-Söldner haben mich bereits 2022 als Bedrohung identifiziert.
Ich hatte vor, an der Grenze Flüchtlinge zu interviewen, deren Häuser oft von den Aufständischen oder den Regierungstruppen und russischen Paramilitärs zerstört worden waren. Als ich jedoch begann, Interviews zu führen, hielt ein weißer Pickup an und Soldaten mit Kalaschnikows begannen, mich zu misshandeln. Auch russische Paramilitärs waren anwesend.

Was machten sie mit Ihnen?
Ich wurde zu einer Militärbasis gebracht, ausgepeitscht und der Spionage beschuldigt. Sie beschlagnahmten mein Telefon, dessen Speicher ich zuvor zum Glück weitestgehend gelöscht hatte. Ich hatte Schmerzen und blaue Flecken am ganzen Körper. Ich konnte nicht einmal ihre Fragen beantworten. Das hat mich vielleicht gerettet, denn ich gab nicht zu, dass ich ausländischer Journalist bin.

»Ich wurde zu einer Militärbasis gebracht, ausgepeitscht und der Spionage beschuldigt. Sie beschlagnahmten mein Telefon, dessen Speicher ich zuvor zum Glück weitestgehend gelöscht hatte. Ich hatte Schmerzen und blaue Flecken am ganzen Körper.«

Nach einer Nacht in einer winzigen Zelle kam mein Fahrer frühmorgens mit einem befreundeten Soldaten. Sie überzeugten die anderen Soldaten, mich gehen zu lassen. Diese sagten mir, ich könne von Glück reden, dass ich noch am Leben sei.

Was wollten Sie dort recherchieren?
Ich wollte unter anderem ein Massaker untersuchen, das im Oktober vergangenen Jahres in einer Stadt namens Koki verübt worden war. Meine Kontakte hatten mir gesagt, dass dort Dutzende von Anwohnern von russischen Paramilitärs getötet wurden, die die Goldmine übernehmen wollten.

Wie würden Sie die Situation für Journalisten in der Zentralafrikanischen Republik beschreiben?
Als sehr schwierig. In den vergangenen Jahren ist eine ganze Reihe von Reportern getötet worden. Darunter viele einheimische Journalisten wie Elizabeth Blanche Olofio, aber auch ausländische wie die französische Fotografin Camille Lepage. 2018 wurden die drei russischen Journalisten Aleksandr Rastorgujew, Orchan Dschemal und Kirill Radtschenko ermordet, die im Land über die Aktivitäten der Gruppe Wagner recherchierten (Jungle World 6/2019; Anm. d. Red.). Einer meiner engen Freunde wurde 2022 vergiftet, sein Name war Jean Saint-Clair Maka Gbossokotto. Er betrieb eine Website, auf der er ­Aussagen der Regierung und der Russen auf ihre Richtigkeit hin überprüfte und die Aktivitäten der Wagner-Söldner kritisierte.

Russische Söldner sind seit 2018 in der Zentralafrikanischen Republik präsent. Wie hat das das Land verändert?
Es hat sein Gutes, aber das sehr Schlechte überwiegt. Vor der Ankunft der ­russischen Söldner war ein Großteil des Landes unter der Kontrolle bewaffneter Aufständischer. Die Russen halfen zu verhindern, dass diese die Hauptstadt überrannten.
Auf der anderen Seite stehen die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen. Die Zivilbevölkerung wird kriminell behandelt, insbesondere in den Orten, wo Gold oder Diamanten geschürft werden. Es gibt zahlreiche Berichte über Massaker, Entführungen und Gewalt gegen Einheimische. Einige davon habe ich persönlich untersucht.
Es ist sehr schwierig, die Leute dazu zu bringen, über ihre Erfahrungen mit den russischen Paramilitärs zu sprechen. Das liegt daran, dass alle Angst haben. Die Menschen haben mehr Angst vor den Russen als vor den Regierungstruppen.

Haben Zivilisten irgendeine Möglichkeit, sich zu schützen?
Es ist schwierig, in der Zentralafrikanischen Republik Gerechtigkeit zu ­erlangen. Der Sicherheitsberater des Präsidenten ist ein Russe, einheimische militärische Befehlshaber nehmen Anweisungen von den russischen Paramilitärs entgegen, ebenso die Polizei. Mit anderen Worten, sie werden sich nicht gegen die bewaffneten russischen Kräfte stellen. Denn viele dieser Gräueltaten verüben diese gemeinsam mit den Truppen der Regierung – sie arbeiten immer eng zusammen.

In einem Artikel, den Sie kürzlich im Guardian veröffentlicht haben, zitieren Sie die Großmutter einer jungen Frau, die von russischen Söldnern vergewaltigt wurde, mit den Worten: »Die weißen Soldaten stehen über dem Gesetz.« Können Sie uns etwas über diese Recherche erzählen?
Als ich im Dezember in Bouar war, ­einer Handelsstadt im Nordwesten des Landes, hörte ich von Frauen, die auf dem Land von russischen Söldnern aus ihren Häusern entführt oder direkt auf ihren Höfen vergewaltigt wurden. Mit einigen von ihnen habe ich Interviews geführt.
Das Problem der sexuellen Gewalt in Bouar ist sehr groß. Auch Regierungstruppen und bewaffnete Aufständische haben daran Anteil. Frauen haben Angst, auf den Feldern zu arbeiten.

»Die Kontrolle über die Minen ist für die russischen Paramilitärs sehr wichtig. Bevor die Russen kamen, befanden sich viele der Gold- und Diamantenminen unter Kontrolle der Aufständischen.«

Wie wichtig ist das Geschäft mit Gold und Diamanten für die russischen Paramilitärs?
Die Kontrolle über die Minen ist für sie sehr wichtig. Bevor die Russen kamen, befanden sich viele der Gold- und Diamantenminen unter Kontrolle der Aufständischen. Eine Mine zu übernehmen, ist also immer mit einem Kampf verbunden. Und die Russen unterscheiden dabei oft nicht zwischen Aufständischen und gewöhnlichen Bergleuten, jeder kann zur Zielscheibe werden.

Was macht es für die Regierung der ZAR attraktiv, mit Russland zusammenzuarbeiten?
Die Zentralafrikanische Republik kämpft einen sehr schwierigen Krieg, einen Guerillakrieg. Und die Regierung ist offenbar der Meinung, dass die beste Lösung darin besteht, mit den russischen Truppen zusammenzuarbeiten, die keine Rücksicht auf Menschenrechte nehmen.
Der andere Faktor ist das Geschäft mit Gold und Diamanten. Die Zentralafrikanische Republik ist ein sehr armes und korruptes Land, ein großer Teil der Ressourcen wird von der Regierung und ihren Günstlingen geplündert. Die Machthaber machen mit Russland sehr gute Geschäfte.

Ein weiteres Thema, über das Sie geschrieben haben, ist prorussische Propaganda und Medienarbeit in Afrika. Warum ist das für Russland so wichtig?
Bevor sich russische Söldner am libyschen Bürgerkrieg beteiligten, hatte es lange Zeit gar keine russische Militärpräsenz in Afrika gegeben. Als sie dann 2018 in der Zentralafrikanischen Republik auftauchten, mussten sie die Bevölkerung davon überzeugen, dass die russische Präsenz gut für sie sei, während die damals noch stationierten französischen Soldaten dem Land schaden. Seitdem haben wir russische bewaffnete Kräfte in Mosambik ge­sehen, wo sie die Regierung im Kampf gegen den »Islamischen Staat« unterstützen, im Sudan, wo Russland von Omar al-Bashir eingeladen worden war, bevor dieser gestürzt wurde, und jetzt in Mali, in Burkina Faso und in Niger, drei Ländern in Westafrika, die von Militärdiktaturen regiert werden. Damit die Menschen die Präsenz seiner Truppen in ihren Ländern akzeptieren, verbreitet Russland Propaganda oder Desinformation. Das wichtigste Medium ist dabei Facebook. Eine weitere Strategie besteht darin, etablierte Medien in Westafrika für die Verbreitung bestimmter Geschichten zu ­bezahlen.

Was ist die Botschaft dabei?
Oft lautet die Botschaft: Frankreich schade der Bevölkerung, Russland sei der Retter. Aber in letzter Zeit gab es auch viel Des­information über die USA, weil bekannt wurde, dass das US-Söldnerunternehmen Bancroft interessiert ist, in der Zentralafrika­nischen Republik aktiv zu werden. Medien in Kamerun, Nigeria und ganz Westafrika haben Artikel veröffentlicht, in denen die Interessen der USA als gegen Afrika gerichtet dargestellt und falsche Anschuldigungen erhoben werden.

»Die internationalen Medien schenken dem westlichen Afrika nicht viel Aufmerksamkeit. Wenn ich einen Artikel veröffentliche, ist die Reaktion oft Schock und Ungläubigkeit, dass so etwas wirklich geschieht.«

Wie könnte sich die Situation in der ZAR entwickeln?
Es sieht nicht so aus, als würden die russischen Kräfte in absehbarer Zeit abziehen. Die Rebellengruppen stellen weiterhin eine Bedrohung dar, und das Militär des Landes ist nach wie vor sehr schwach und kann ohne die Hilfe der Russen nicht viel ausrichten. ­Außerdem expandieren die Russen wirtschaftlich und kontrollieren ­immer mehr Minen. Sowohl für sie als auch die Regierung bleibt ihre Zu­sammenarbeit vorteilhaft.

Was könnte auf internationaler ­Ebene getan werden, um die Situation zu verbessern?
Zumindest sehr viel mehr als bisher. Die USA und auch die EU haben einige Sanktionen gegen beteiligte russische Unternehmen verhängt. Und die UN haben einige der Massaker untersucht. Aber das war es mehr oder weniger auch schon. Vielleicht müssten Personen vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden. Auch die internationalen Medien schenken dem westlichen Afrika nicht viel Aufmerksamkeit. Wenn ich einen Artikel veröffentliche, ist die Reaktion oft Schock und Ungläubigkeit, dass so etwas wirklich geschieht. Dabei droht die Situation immer schlimmer zu werden.

Inwiefern schlimmer?
Meine Befürchtung und die vieler Menschen in Afrika ist, dass das, was wir seit Jahren in der Zentralafrikanischen Republik sehen, anderswo wiederholt wird. In Mali gab es vor etwa zwei Jahren ein Massaker in einer Stadt namens Moura. Nach Angaben von Human Rights Watch wurden über 300 Zivilisten von russischen Söldnern zusammen mit der malischen Armee getötet. Das ist eine riesige Zahl. Ähnliche Vorfälle haben sich in Westafrika viele ereignet. Massaker finden oft in Kriegsgebieten statt, in denen auch islamistische Aufständische aktiv sind und wo es keine internationalen Beobachter gibt. Es ist zu befürchten, dass die Zahl solcher Massaker weiter steigen wird.

Philip Obaji

Philip Obaji ist Korrespondent der US-Nachrichtenseite »The Daily Beast« in Nigeria. Er recherchiert über die Aktivitäten russischer Söldnergruppen in West- und Zentralafrika. Seine Artikel erschienen unter anderem in »USA Today«, im »Guardian« und in »Foreign Policy«. Für seine Berichte über die Opfer von Konflikten in der Region wurde er 2022 mit dem Jaime Brunet International Prize für Menschenrechtsaktivisten ausgezeichnet.

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