Große Fußballturniere und die kleine Redaktion der »Jungle World« - eine schwierige Geschichte

Homestory #25/24

Es ist wieder so weit: Das runde Kunstleder rollt durch deutsche Fußballstadien und Nationalfahnen en masse wehen durch deutsche Innenstädte. Wie man es bei der »Jungle World« mit dem Fußball(-gucken) hält.

»Heimspiel für Rassismus«, »Horrortrips im Osten«, »›Wir ziehen oft Nazis an‹« – bereits ein kurzer Blick auf die Überschriften unserer Ausgabe 44 im Jahr 2006, in der ein Resümee des »Sommer­märchens«,vulgo der Fußballweltmeisterschaft der Männer 2006, gezogen wurde, zeigt, dass Ihre Lieblingszeitung damals nicht so recht in den Jubel über das angeblich weltoffen-kuschelige Deutschland einstimmen wollte.

Diverse wissenschaftliche Studien be­stätigten in den folgenden Jahren, dass es, so etwa der Befund der Sozialforscher um Wilhelm Heitmeyer, unmittelbar vor, während und unmittelbar nach der Fußballweltmeisterschaft zu einer Zunahme »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« gekommen sei. Und überhaupt: Wer braucht schon Märchen? Kinder vielleicht, für Erwachsene gibt es bekanntlich Fantasy.

»Ohne schwarz-rot-goldene Vuvuzela-Sounds macht Fußi-Gucken keinen Sinn mehr.«

Nun ist es wieder so weit, wenngleich es sich beim diesjährigen Turnier nur um eine Europameisterschaft handelt. Wird womöglich alles gar nicht so schlimm, weil den Rechtsextremen die deutsche Mannschaft nicht weiß genug ist? Zumindest scheint die schwarz-rot-goldene Beflaggung im Vergleich zu 2006 eher bescheiden auszufallen. Und vielleicht trägt die neue Deeskalationsstra­tegie der deutschen Polizei, die ausländischen Fans geraten haben soll, sie sollten lieber kiffen als saufen, ja zu einem friedlichen Verlauf bei.

Grund genug, sich auch mal ein Spiel anzuschauen? Die Meinungen in der Redaktion sind geteilt. Ein Kollege hat »aus Versehen ein paar Minuten gesehen«, weil ein wohlmeinender Gastgeber »eine Riesenleinwand zum Empfang aufgebaut« hatte. »Das war mein erstes und (hoffentlich) letztes EM-Spiel.«

Aber so abstinent sind nicht alle. »Erstaunlich nett« sei das Spiel Italien–Albanien gewesen, befindet eine Kollegin. »Ich bleibe begeisterungsfähig.« Eine ­andere vermisst den lärmenden Event-Charakter: »Ohne schwarz-rot-goldene Vuvuzela-Sounds macht Fußi-Gucken keinen Sinn mehr.«

Und man kann auch abstinent und dennoch neugierig sein: »Ich werde mir das bestimmt nicht anschauen, aber zur Unterhaltung habe ich trotzdem den Nation-o-Mat gemacht.« Nation-o-Mat? Ja, so was gibt es bei der Zeit, und vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wie es sich anhört. Die Kollegin kam jedenfalls zu dem Ergebnis, sie sollte »für die Ukraine jubeln« – was nach deren ­Niederlage gegen Rumänien wohl nötiger denn je ist, und eine Ermutigung wäre den Ukrainer:innen ja auch zu gönnen.

Wenn Sie jetzt schon wissen wollen, wer gewinnen wird: Die Computersimulationen von EA Sports weisen England als Sieger aus. Das vierbeinige Orakel Ludwig hingegen – ein bayerischer Dackel, der bereits die Niederlage Schottlands korrekt vorhersagte – hat frei nach Schnauze Portugal als Sieger prognostiziert.