Mit Antifa-Autor Spencer Sunshine In Hamburg, linke und rechte Antisemiten in Sichtweite

Homestory #23/24

Schon wieder war bei einer Veranstaltung der »Jungle World« ein antisemitischer Mob und ein Haufen Polizei zu sehen. Doch irgendwie war es dann doch anders.

Die anwesenden Redakteure hatten nicht mit einem Polizeiaufgebot vor dem Veranstaltungsort der »Jungle Bar« am Hamburger Hafen am Samstag gerechnet, auch nicht mit den Sprechchören der antiisraelischen Demonstranten, die schon von weitem zu hören waren. Dabei wäre es nicht einmal das erste Mal in diesem Jahr gewesen, dass ein solcher Protest sich gegen eine Veranstaltung der Jungle World gerichtet hätte.

In diesem Fall hatte er jedoch einen anderen Anlass: In Sichtweite unseres Podiums, auf dem der aus den USA angereiste Jungle World-Autor Spencer Sunshine sein gerade erschienenes Buch über die Schriften des Neonazis James Mason und dessen Einfluss auf den Rechtsextremismus der Gegenwart vorstellen sollte, hielten die Grünen eine Wahlkampfveranstaltung für die EU-Wahl ab. Um den Co-Bundesvorsitzenden Omid Nouripour und die Außenministerin Annalena Baerbock mit Zwischenrufen zu bedenken, waren Demonstranten mit Palästina-Flaggen und Transparenten gekommen, auf denen »Scholz and Baerbock, you can’t hide, we charge you with genocide« und Ähnliches zu lesen war.

James Mason inspirierte unter anderem die »lone wolf«-Terroristen der »Atomwaffen Division«.

Weiter rechts (wie passend) standen außerdem hinter noch mehr Polizeiketten Männer, die deutsche Flaggen schwenkten, auch einige versprengte Plakate mit Friedenstauben und Solidaritätsbekundungen mit Julian Assange waren zu sehen. Die Zuhörer der grünen Kundgebung wirkten dadurch regelrecht umstellt; die Sprechchöre müssen derart schwer zu ignorieren gewesen sein, dass die Außenministerin irgendwann geradezu verzweifelt mahnend ins Mikrophon rief, was das denn für ein Vorbild für die Kinder sei, »die in der Schule eigentlich lernen, respektvoll miteinander in die Diskussion zu gehen«.

Da wollten wir doch lieber dem Vortrag Spencer Sunshines lauschen. Dieser hat sich jahrelang durch Archive gewühlt und Interviews mit Zeitzeugen geführt (wobei einige, wie beispielsweise das Punk-Urgestein Jello Biafra – Dead Kennedys –, sich ihm gegenüber nicht hatten äußern wollen).

Sunshine referierte die bizarr anmutende Geschichte SA-Uniformen tragender Nazis in den USA, die irgendwann begannen, den Hippie-Guru und Massenmörder Charles Manson zu verehren, und sprach über eine Sammlung von Texten, verfasst in den achtziger Jahren von einem Mann, der selbst in der US-Nazi-Szene ein Sonderling war, aber von Underground-Künstlern und Noise-Musikern gefeiert und später im Internetzeitalter von einer neuen Generation sich online vernetzender Rechtsextremer wiederentdeckt wurde: James Mason, der unter anderem die lone wolf-Terroristen der sogenannten »Atomwaffen Division« inspirierte.

Wer Spencer Sunshines Buchvorstellung in Deutschland sehen will, hat dazu noch in Leipzig am 13. Juni die Gelegenheit.