Auszeichnungen sind im Fußball kein Garant für reibungslose Karrieren

EU-Parlament, Terror und Depressionen

Wer zum besten Spieler eines großen Turniers wie der laufenden Fußball-Europameisterschaft der Männer gekürt wird, kann mit diesem Titel oft nicht viel anfangen. Ein Rückblick

Neben den Mannschaftstiteln bei Wettbewerben gibt es im Fußball seit geraumer Zeit Einzelauszeichnungen zu gewinnen. Bei Weltmeisterschaften der Männer verleiht der Weltfußballverband Fifa seit 1978 den »Goldenen Schuh« an den Spieler, der die meisten Tore erzielt hat. Damals gewann der Argentinier Mario Kempes. Es folgten unter anderem Gary Lineker, Salvatore »Toto« Schillaci und Ronaldo.

Der Ballon d’Or (Goldener Ball) wird seit 1956 an den besten Kicker eines europäischen Clubs übergeben. Diese Auszeichnung war bis 1995 ausschließlich europäischen Spielern vorbehalten, seither lautet die Bestimmung: für einen Spieler eines europäischen Clubs. Die Änderung kam zu spät für einen wie Diego Maradona, der in den achtziger Jahren den SSC Neapel in die Spitzenriege europäischer Clubs führte, aber selbst Argentinier war. Der erste Preisträger war der Engländer Sir Stanley Matthews; der einzige Torhüter, der je den Ballon d’Or gewinnen konnte, war 1963 der Russe Lew Jaschin.

Ein Garant für künftiges Glück und reibungslose Karrieren im Fußball sind Titel ohnehin nicht.

Die Spezialdisziplin des Toreverhinderns wird erst seit 1994 mit einer goldenen Trophäe prämiert. Die Fifa und einige Kontinentalverbände verleihen seither den »Goldenen Handschuh« an den besten Torwarte einer Welt- beziehungsweise Kontinentalmeisterschaft. Erster Gewinner war der belgische Keeper Michel Preud’homme. Zu den weiteren Ausgezeichneten gehören Fabien Barthez (Frankreich), Oliver Kahn (Deutschland) und Iker Casillas (Spanien).
Bei Fußball-Europameisterschaften gab es dagegen viele Jahrzehnte lang keine individuellen Auszeichnungen. Erst 1996 wurde der »beste Spieler des Turniers« gekürt, der prompt ein Deutscher war, nämlich Matthias Sammer.

Natürlich weiß noch niemand, wer 2024 zum Besten erklärt wird, häufig ist es aber sowieso nicht derjenige, von dem alle Experten erwarten, dass er der Überflieger sein wird. Ein Garant für künftiges Glück und reibungslose Karrieren im Fußball sind Titel ohnehin nicht, wie der Blick auf einige ehemalige ausgezeichnete EM-Spieler zeigt.

2004: Theodoros Zagorakis

Bei der EM 2004 wurde wie meist ein Mitglied des Siegerteams zum besten Spieler gewählt. Angelos Charisteas hatte zwar in der 57. Minute das entscheidende Tor zum 1:0-Sieg über den Gastgeber Portugal erzielt, ausgezeichneter Spieler wurde jedoch der griechische Kapitän Zagorakis. Dabei war es noch eine Woche vor dem Beginn des Turniers fraglich gewesen, ob der Mittelfeldmann im Kader sein würde. Denn kurz zuvor war er bei einer Dopingkontrolle mit überhöhten Testosteronwerten aufgefallen. Nicht zum ersten Mal: Bereits 2001 war dies der Fall gewesen. Das griechische Sportgericht sprach ihn damals mit der Begründung frei, dass der Körper des Spielers einfach zu viel Testosteron produziere. Fünf Tage vor EM-Beginn 2004 erhielt Zagorakis die Freigabe durch den Europäischen Fußballverband Uefa.

Nach der Europameisterschaft wechselte er von AEK Athen zum FC Bologna. 2007 beendete er seine Karriere bei Paok Thessaloniki, anschließend wurde er für zwei Jahre Präsident des Vereins.

Paok Thessaloniki pflegte gute Kontakte zur damaligen Regierungspartei Syriza, weswegen es keinerlei Ermittlungen gab. Das änderte sich, als 2020 die Nea Dimokratia die Wahlen gewann.

2014 zog der ehemalige Europameister ins europäische Parlament ein, er hatte erfolgreich für die liberal-konservative Partei Nea Dimokratia kandidiert. Zu seinen dortigen Tätigkeiten gehört unter anderem die Mitgliedschaft im Fischereiausschuss und im Ausschuss für Kultur und Bildung. 2020 sagte er allerdings, er könne nicht länger Mitglied von Nea Dimokratia sein; er hatte sich über den Beschluss der unabhängigen griechischen Kommission für Profisport geärgert, die den Zwangsabstieg der Vereine Paok Thessaloniki, damals amtierender Landesmeister, und Xanthi beschlossen hatte. Hintergrund war der Fund von Dokumenten, die darauf schließen ließen, dass Ivan Savvidis (auch Iwan Sawwidi), der Eigentümer von Paok, illegal auch Xanthi kontrollierte. Insidern zufolge war dies seit geraumer Zeit bekannt. Paok pflegte aber gute Kontakte zur damaligen Regierungspartei Syriza, weswegen es keinerlei Ermittlungen gab. Das änderte sich, als 2020 die Nea Dimokratia die Wahlen gewann.

Zahlreiche Politiker nahmen Theodoros Zagorakis die Empörung über die Entscheidung der Kommission sehr übel; unter anderem wurde ihm entgegengehalten, dass er nicht für den Fußballverein Paok, sondern für die Partei ins EU-Parlament gewählt worden sei.

2016: Antoine Griezmann

Die Ausnahme: Der beste Spieler des Turniers wurde nicht Europameister. Griezmanns Franzosen hatten das Finale gegen Portugal verloren, hielten sich aber 2018 bei der WM in Russland schadlos und wurden Weltmeister. Bei der Europameisterschaft 2024 spielt Griezmann wieder in der französischen Nationalmannschaft. Derzeit hält er mit 84 aufeinanderfolgenden Berufungen ins Nationalteam den Verbandsrekord.

2017 trug Griezmann eine Afro-Perücke und malte sich das Gesicht schwarz an; er entschuldigte sich umgehend.

Außerhalb des Fußballplatzes gilt Griezmann nicht immer als Idol: Im Dezember 2017 musste der erklärte Basketball-Fan nach Protesten ein Foto von sich löschen, auf dem er als Mitglied der Harlem Globetrotters posiert hatte. Griezmann hatte eine Afro-Perücke getragen und sich außerdem das Gesicht schwarz angemalt; er entschuldigte sich umgehend. 2021 war er gemeinsam mit seinem Teamkollegen Ousmane Dembélé während der Saisonvorbereitung des FC Barcelona in Tokio in einem Video zu sehen, in dem sich Dembélé rassistisch über japanische Techniker äußerte, die den Fernseher im Hotelzimmer reparieren wollten. Griezmann sagte nichts, lachte allerdings über Dembélés Bemerkungen.

Als am 13. November 2015 während des Länderspiels Frankreich gegen Deutschland islamistische Terroristen außerhalb des Stade de France nahe Paris Sprengstoffgürtel zündeten, war Griezmann auf dem Platz. Seine Schwester Maude befand sich zu diesem Zeitpunkt im Bataclan, wo die Terroristen 90 Menschen ermordeten. Maude überlebte, indem sie sich mehr als eine Stunde lang tot stellte. Der New York Times sagte sie später, sie habe kaum zu atmen gewagt, zumal ein sich bewegender Mann neben ihr sofort erschossen worden war.

2012: Andres Iniesta

2008 und 2012 Europameister, 2010 Weltmeister. Iniesta gehört zu den herausragendsten Fußballspielern überhaupt, obwohl seine Karriere mit Tränen begann. Als er im Alter von zwölf Jahren zur Jugendakademie des FC Barcelona wechselte, war er sehr unglücklich über die Trennung von seiner Familie. Der schüchterne Junge hatte zunächst große Schwierigkeiten, sich einzugewöhnen. Mit der U15 des FC Barcelona gewann er 1999 nicht nur das internationale Jugendturnier Nike Premier Cup, sondern wurde zudem als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet.

Die sich bald einstellenden weiteren sportlichen Erfolge wurden aber überschattet. Am 8. August 2009 starb sein Freund, der Fußballprofi Daniel Jarque González, überraschend im Alter von 26 Jahren an einem Herzinfarkt.

Als Spanien 2010 Weltmeister wurde, zog Iniesta sein Trikot aus, um ein Shirt mit der Aufschrift »Dani Jarque immer bei uns« zu präsentieren. In einem Fernsehinterview sagte er später, er habe alles gegeben, um im Finale zu spielen. Gleichwohl lägen schwierige Zeiten hinter ihm: »Ich fühlte mich innerlich tot, ich weiß, es ist schwer zu versehen, wenn man doch wirklich alles hat, aber ich fühlte mich sehr schlecht.« Er habe dann selbst gemerkt, dass er professionelle Hilfe brauche: »Entweder tun wir nun etwas oder ich weiß nicht, wie das alles enden wird.«