Die Fans des VfL Halle 96 wollten keinen Ärger, den Anhängern des Halleschen FC war das egal

Halle gegen Halle

Im halleschen Derby wurde nicht eben viel Wert auf die Sicherheit die Fans den VfL gelegt – obwohl die zuvor deutlich gemacht hatten, an Auseinandersetzungen mit den berüchtigten Anhängern des Halleschen FC nicht interessiert zu sein.

Das Halbfinale des sachsen-anhaltischen Landespokals war in diesem Jahr eine rein hallesche Angelegenheit: Mitte Mai traf der Drittligist Hallescher FC (HFC) auf den zwei Klassen tiefer – in der NOFV-Oberliga Süd – spielenden kleineren Stadtnachbarn VfL Halle 1896. Das Erreichen des Pokalfinales war nicht nur für die Fanszenen beider Teams die letzte Möglichkeit, sich die bisher völlig verkorkste Saison etwas aufzuhübschen: Während der VfL Halle noch gegen den Abstieg aus der Oberliga kämpft, ist der Stadtrivale HFC längst aus der dritten Liga in die vierklassige Regionalliga abgestiegen.

»Das Landespokalhalbfinale war für uns sozusagen fußballerisch und auch in Sachen Fankultur der Höhepunkt des Jahres«, teilte Arthur, ein Fan des VfL, der Jungle World mit. Deshalb »entstand auch bei den Fans des VfL Halle 1896 eine hohe Motivation, Zeit und Mühen in die Vorbereitung des Supports zu stecken«. Die vom Fanlager des HFC geschürte Rivalität sei nicht so ihr Ding. »Dass der zu erwartende Gegner quasi der Stadtrivale ist – wir empfinden diese Rivalität nicht –, ließ uns dabei erst einmal unberührt«, so Arthur weiter.

 »Bei diversen Spielen ist zu beobachten, dass sich Hools und Ordner per Umarmung begrüßen.« Fans des VfL Halle 96 über die Atmosphäre beim Lokalrivalen HFC

Der VfL Halle 1896 ist der älteste Sportverein in der Stadt. Der Hallesche FC hingegen ist schon seit Jahrzehnten der weitaus größere Verein mit entsprechend viel mehr Fans. Er wurde 1966 im Rahmen einer Umstrukturierung des organisierten Fußballsports in der DDR gegründet. Die Umstrukturierung kam zustande, da sowohl die Vereine als auch das Nationalteam der DDR aus Sicht der SED-Staatsführung international bisher nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatten. Bald entwickelte sich der HFC zum wichtigsten Fußballverein in der Stadt.

Zu dieser Zeit hieß der VfL Halle 96 noch BSG Empor Halle und dümpelte in den Niederungen des DDR-Fußballs herum. Und das, obwohl oder vielleicht gerade weil er eine große Vergangenheit hatte. Der VfL Halle war um die Jahrhundertwende eines der Gründungsmitglieder des Verbands Mitteldeutscher Ballspielvereine (VMBV). Auch gehörte der Verein zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Fußball-Bunds (DFB). Als erster deutscher Fußballverein erwarb der VfL zudem wenig später ein eigenes Vereinsgelände. Die direkt gegenüber dem Zoologischen Garten errichtete Sportanlage galt als modernste in der Region. Eingeweiht wurde sie 1910 mit einem Spiel gegen den VfB Leipzig. 1917 und 1919 errang der VfL Halle 96 die Mitteldeutsche Fußballmeisterschaft.

Zurück ins Jahr 2024: Vor der Begegnung verkündete die größte Ultragruppierung des HFC, die Saalefront, auf ihrer Website, dass das Spiel gegen »die Affen vom Zoo« – gemeint ist der VfL – zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt anstehe, weil gerade erst der Abstieg in die vierte Liga bekannt geworden war. Gleichwohl genüge »ein kleiner Blick in die HFC-Historie«, um »die alte Wut auf den Stadtrivalen neu aufflammen zu lassen und den »Pokalfight« gegen den »mittlerweile in der Bedeutungslosigkeit verschwundenen Verein aus dem Norden« anzugehen. Denn es gebe nur einen »einzig wahren Repräsentanten unserer geliebten Stadt«. Derartige kraftmeierische Ansagen sind unter Ultras nicht unüblich. Solche Feinderklärungen und entsprechende praktische Aggressionen treffen allerdings immer häufiger Fangruppierungen, die das Ultra-Gebaren ablehnen und sich dementsprechend nicht an den Kodex dieser Gruppen gebunden fühlen.

»Unsere Leidenschaft galt einzig und allein dem Support der Mannschaft und dem Zelebrieren unseres Verständnisses von Fankultur: Fußball und Bier mit Freunden«, erklärte Arthur die Motivation der Fanszene des VfL Halle 96. Vor dem Pokalhalbfinale organisierten die VfL-Fans deshalb einen Busshuttle sowie sichere Parkplätze für das Spiel. »Weil wir wussten, dass der Ortsnachbar sportlich in der Krise steckte, vom Abstieg in die vierte Liga erst bedroht war und schließlich gesichert abstieg«, seien solche Sicherheitsvorkehrungen dringend geboten gewesen.

»Wir mussten im Vorfeld ein gewisses Risiko einkalkulieren, dass der Frust in der Fanszene des HFC in eventuelle Aktionen gegen Fans und Freunde des VfL umschlägt«, sagte Arthur weiter. Dies sei trotz der Tatsache notwendig gewesen, dass die Fans des VfL »nicht müde werden zu signalisieren, dass wir an dieser Art von Auseinandersetzung rein gar kein Interesse haben«. Dass diese Sicherheitsmaßnahmen nicht übertrieben waren, zeigte sich dann während des Spielverlaufs.

Nachdem es in der ersten Halbzeit bei den üblichen Fangesängen geblieben war, kam es zu Anfang der zweiten Halbzeit zu einer ersten Attacke auf die Fans des VfL. »Vier Vermummte stürmten aus der nächsten Mundöffnung zum Gästebereich«, berichtete Arthur, »dabei wurde von den vier anwesenden Ordnern kein Versuch unternommen, diese aufzuhalten.« Die Angreifer versuchten, die Zaunfahne der Gruppe Barra-Brawu von der VfL-Fanszene zu entwenden. Die Fangruppe selbst definiert sich nicht als Ultras.

»Ungehindert konnten die Anhänger des HFC fünf unserer Fahnen ziehen«, berichtete Arthur weiter. Die eingesetzten Ordner griffen Zeugenaussagen zufolge nicht ein. In einer Stellungnahme von Barra-Brawu hieß es, ein Ordner habe den HFC-Fans sogar geholfen, indem er die Wurfrollen, die über die Zaunfahnen hingen, beiseite hielt, damit die Angreifer besser an die Transparente kommen.

Eine halbe Stunde später erfolgte die zweite Attacke. »Zwischenzeitlich wurden weder die Ordner verstärkt, noch befand sich Polizei im Block, die hätte zumindest bei der zweiten Attacke präsent sein können«, beschrieb Arthur die Situation. Diesmal hatte man jedoch keinen Erfolg. Die VfL-Fans konnten die restlichen Fahnen festhalten. Dabei verletzten sich jedoch, so Arthur, »mehrere unserer Leute am Zaun und mussten zum Teil stationär behandelt werden«.

Die HFC-Ultras präsentierten die geklauten Fahnen noch während des Spiels im Heimbereich wie Trophäen. »Für uns wäre das Ganze nachvollziehbar gewesen, wenn wir in irgendeiner Art martialischer Fankultur stecken und in diesem Materialklauspiel mitmachen würden, aber dem ist nicht so und das haben wir seit jeher in alle Richtungen verdeutlicht«, sagte Arthur der Jungle World.

Die Fangruppe Barra-Brawu kritisiert in ihrer Stellungnahme außerdem, dass der HFC als Veranstalter »kein vernünftiges Sicherheitskonzept aufstellte«; für ein solch brisantes Stadtderby eher ungewöhnlich. Außerdem sei es den VfL-Fans unerklärlich, »dass die HFC-Fans das Tor zur Gegengeraden öffnen konnten, ohne dass auch nur ein Ordner in der Nähe war«. Ihnen zufolge tat keiner der eingesetzten Ordner etwas, um den Diebstahl zu verhindern. »Zum Teil belächelten diese noch die Aktion«, so Barra-Brawu weiter.

Dieses Verhalten sei kein neues Phänomen: »Bei diversen Spielen ist zu beobachten, dass sich Hools und Ordner per Umarmung begrüßen«, berichten die Fans des VfL Halle 96. Ihr Vorwurf richtet sich deshalb direkt an die Vereinsführung des HFC: »Dem Verein ist das selbstverständlich bewusst. Und er macht nun genau das, was man von ihm erwartet. Nämlich nichts.« Sportlich hat sich das nicht gerächt: Der HFC siegte 2:0 über den VfL und sicherte sich den Landespokal mit einem 4:2 über Germania Halberstadt.