Trolle und Elfen im russischen Kriegseinsatz

Krieg der Fabelwesen

Nach Trollfabriken mischen sich auch vermehrt sogenannte Elfenfabriken im Internet in russische Online-Debatten ein. Eine regierungsfeindliche Gruppe beschäftigt Berichten zufolge ein Netzwerk von bezahlten Online-Kommentatoren.

Begriffe aus der Fantasy-Literatur, so scheint es gelegentlich, machen auf Wissenschaft beruhender politischer Analyse Konkurrenz. J. R. R. Tolkiens Roman »Der Herr der Ringe« übt jedenfalls einen stärkeren Einfluss auf die Gedankenwelt vieler Menschen aus als die Werke von Karl Marx und Co. So werden in der Ukraine Mitglieder der russischen Invasionstruppen, die im Dienste ihres Präsidenten Wladimir Putin plündern und brandschatzen, Orks genannt, nach den bösartigen Fußsoldaten, die bei Tolkien dem Oberschurken Sauron bei seinem Streben nach der Herrschaft dienen.

In den sozialen Medien sind für Meinungsmanipulationen im Interesse des Kremls bereits seit Jahren bezahlte Trolle zuständig. 2016 standen solche Trolle im Verdacht, in den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf eingegriffen zu haben, auch Stimmungsmache für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs wurde ihnen vorgeworfen.

Eine Gruppe fehlte bislang: Elfen. Sie eignen sich im Gegensatz zu den ausgesprochen bösartigen Kreaturen der Orks und Trolle eher für eine positive Identifikation. Auf Deutsch heißen Tolkiens Figuren Elben, angelegt als sehr kluge, aber mit menschlichen Schwächen behaftete Idealgestalten. Übertragen auf die russische Opposition im Exil bedienen sich die Elfen ähnlicher Mittel wie die Internettrolle, nur stehen sie für die gute Sache. So sehen es zumindest Oppositionelle, die die Reichweite regierungskritischer Medien bemängeln, wie der im Exil lebende Politologe Aleksandr Morosow. Ende vergangener Woche pries er bei einer Konferenz mit dem Titel »Land und Welt« in Berlin die Erschließung neuer Zielgruppen über das Internet.
Gemeint war das Projekt »Elfenlegion« der in Russland als »unerwünscht« eingestuften US-Organisation Free Russia Foundation mit Hauptsitz in Washington, D.C., von russischen Auslandsmedien in Anlehnung an die regierungsbeauftragten Trolle »Elfenfabrik« getauft.

Dutzende professioneller Elfen hinterlassen jeden Monat 160.000 Kommentare im Internet, vor allem im russischen sozialen Medium Vkontakte.

Dutzende professioneller »Elfen« hinterlassen jeden Monat 160.000 Kommentare im Internet, vor allem auf der russischen Plattform Vkontakte. Ziel sei es, den Krieg beenden zu helfen und die Russ:innen dagegen zu wappnen, sich von der Führung im Kreml in »Zombies« umwandeln zu lassen, sagte Jegor Kuroptjew von der Free Russia Foundation in einem Interview für das russische Investigativportal The Insider. Projektkoordinator Anton Michaltschuk hält Vkontakte für ein ideales Feld, um in direkten Austausch mit denjenigen zu treten, die sich aufgrund scharfer Repressionen in Russland nicht mehr offen äußern können. Es gehe darum, neutral eingestellte Menschen auf die eigene Seite zu ziehen und Kriegsbefürworter:innen nachdenklich zu machen.

Von der Existenz der »Elfen« und deren Aktivitäten erfuhr eine breite Öffentlichkeit kürzlich aus einem Beitrag des Medienprojekts SVTV des rechtslibertären russischen Politikers Michail Swetow, das aus einer Youtube-Kanal und einer Nachrichten-Website besteht. Demnach ist SVTV von einem ehemaliger Mitarbeiter der Elfenfabrik ein Dossier zugespielt worden, aus dem hervorgehe, dass die Mitarbeitenden vom litauischen Vilnius und vom georgischen Tiflis aus Fake-Accounts anlegen und für einen Stundenlohn von zehn Euro Kommentare unter Social-Media-Beiträgen hinterließen. Angeworben würden dafür in erster Linie junge Menschen, darunter viele Anhänger:innen des zu einer hohen Haftstrafe verurteilten Oppositionspolitikers Aleksej Nawalnyj, was aus Screenshots mit interner Korrespondenz ersichtlich werde.

Rund 50 Personen seien gezielt auf Debatten zu belarussischen Themen angesetzt, ansonsten gehe es um russische Innenpolitik, aber auch zahlreiche Ereignisse von internationaler Bedeutung wie G7-Gipfeltreffen oder geleakte US-Dokumente aus dem Pentagon. SVTV weist darauf hin, dass sich Kritik in den Beiträgen auch explizit gegen russische Oppositionelle richte, mit denen Nawalnyjs verbotene NGO Antikorruptionsfonds (FBK) in Konkurrenz steht. Auf derart heikle Sonderaufgaben würden allerdings nur besonders zuverlässige »Elfen« angesetzt, Rechenschaftsberichte über die getane Arbeit werden sicherheitshalber schnell gelöscht.

Gestritten wird in der russischen Opposition am laufenden Band, ob mit berechtigtem Anlass oder ohne. Man könnte beinahe als Regel formulieren: je geringer der politische Einfluss, desto heftiger die gegenseitigen Vorwürfe.

Swetows SVTV behauptet, die für den FBK belastenden Informationen lediglich für eine offene politische Debatte nutzen zu wollen, während Kuroptjew als Projektverantwortlicher seinerseits erklärte, dass keinerlei Verbindungen zum FBK existierten. Im Übrigen hatten zu dem Google-Dokument des ehemaligen Mitarbeiters seit August eine ganze Reihe von Personen Zugang erhalten, darunter auch der einstige Oligarch Michail Chodorkowskij und der liberale Politiker Maksim Katz, die dem FBK gegenüber gelinde gesagt kritisch eingestellt sind.

Eine Auswertung der oppositionellen Nachrichten-Website Mediazona ergab, dass die »Elfen« tatsächlich etliche positive Kommentare über Nawalnyj oder seinen Vertrauten, den Dissidenten Leonid Wolkow, gepostet hatten, während die sich selbst als unabhängig bezeichnende ehemalige Präsidentschaftskandidatin Ksenija Sobtschak und der ehemalige Chefredakteur des Radiosenders Echo Moskau, Aleksej Wenediktow, durchweg negativ bewertet wurden. An den beiden gibt es in der Opposition generell viel Kritik, wie auch an Katz, der ebenfalls Gegenstand einiger Beiträge war. Mit Kritik an Oppositionellen befasste sich aber der Auswertung nach nur ein verschwindend kleiner Teil der Beiträge.

Gestritten wird in der russischen Opposition am laufenden Band, ob mit berechtigtem Anlass oder ohne. Man könnte beinahe als Regel formulieren: je geringer der politische Einfluss, desto heftiger die gegenseitigen Vorwürfe. Zudem häufen sich Hinweise, die russischen Behörden könnten in absehba­rer Zeit das russische Internet abstellen oder schrittweise vom weltweiten Internet abkoppeln, zumindest jedoch Youtube und Telegram blockieren und auch die Nutzung privater virtueller Netzwerke fast völlig unterbinden, durch die blockierte Websites abrufbar bleiben. Dadurch würden zahlreiche Oppositionsmedien ihr Publikum in Russland verlieren.

Die offizielle Verkündung von Putins Kandidatur steht zwar noch aus, ist aber reine Formsache.

Vom Ausland aus auf das politische Geschehen in Russland einzuwirken, scheint unter den gegebenen Umständen ohnehin illusorisch, wenngleich der »Kongress der Volksdeputierten« unter Leitung des in Kiew lebenden vormaligen russischen Duma-Abgeordneten Ilja Ponomarjow dieser Tage erneut über radikale Zukunftsszenarien debattiert. Ponomarjow träumt laut vom Umsturz in Russland, andere russische Oppositionelle halten sich in dieser Hinsicht bedeckter oder belassen es bei der materiellen Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte.

Katz, den ein russisches Gericht im vergangenen Sommer in Abwesenheit zu acht Jahren Haft wegen Verbreitung angeblicher Fake News verurteilt hat, ist mit beinahe zwei Millionen Followern auf seinem Youtube-Kanal einer der bekanntesten russischen Oppositionellen. Mit Nawalnyjs Team liegt er sozusagen im Dauerclinch, und das nicht erst seit Kriegsbeginn. Katz wurde früher eine Nähe zum Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin vorgeworfen und er schickte eigene Kandidat:innen als Konkurrenz zu anderen Oppositionellen ins Rennen. Jetzt spricht er sich dafür aus, sich an der russischen Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2024 zu beteiligen.

Die offizielle Verkündung von Putins Kandidatur steht zwar noch aus, ist aber reine Formsache. Da der amtierende Präsident ohnehin als Sieger feststeht, wirken Diskussionen über eine Wahlbeteiligung sinnlos. Katz will die ­Situation trotzdem nutzen und alle Anstrengungen der Opposition darauf ausrichten, die Wahlberechtigten davon zu überzeugen, ihre Ablehnung zu demonstrieren – sei es durch eine Gegenstimme, ungültige Wahlzettel oder sonstige Maßnahmen. Katz wirft Nawalnyjs Team eine abwartende Haltung vor, die wiederum wohl damit zusammenhängt, dass Nawalnyj selbst inzwischen von der Außenwelt weitgehend isoliert ist.