Über den endlosen Kampf um Definitionsmacht

Der Wille zur Definitionsmacht

Sprachkolumne. Wenn die Regeln der Sprachlogik der subjektiven Empfindung widersprechen.
Das letzte Wort Von

»Definieren« bedeutet so viel wie »die Grenzen angeben«, nämlich die eines Begriffs. Eine gute Definition benennt Kriterien, anhand derer sich entscheiden lässt, ob ein Gegenstand unter den definierten Begriff fällt. Man könnte etwa sagen: Unter den Begriff »ledig« fällt jede natürliche Person, die unverheiratet ist. So lassen sich Begriffe präzisieren oder neu einführen; Definitionen ermöglichen zudem Verständigung, wenn Begriffe unterschiedlich gebraucht werden. Damit geht eine gewisse nominalistische Willkür einher: Man kann einen Begriff definieren, wie man will. Andererseits legt man sich mit der Definition auf einen genau bestimmten Begriffsgebrauch fest – die Willkür wird damit aufgehoben.

Moment! Die schöne Willkür aus der Hand geben, nur um sich mit den Regeln der Logik zu unterwerfen und sich mit lästigen Argumenten herumschlagen zu müssen? Das erscheint vielen als schlechter Deal. Zum Glück lässt sich das Definieren leicht von den Füßen auf den Kopf stellen: Anstatt allgemeine Kriterien anzugeben, die einen Begriff bestimmen, muss man nur umgekehrt den Gegenstand als unter einen Begriff fallend »definieren«.

Klingt erst mal super: Jemand bringt unliebsame Einwände vor? Man definiere sie einfach als nicht stichhaltig oder, besser noch, als illegitime Herrschaftsansprüche! Was einem sonst am Verhalten anderer nicht passt, lässt sich flugs als gewaltvoll oder anderweitig verwerflich definieren.

Zum Glück lässt sich das Definieren leicht von den Füßen auf den Kopf stellen: Anstatt allgemeine Kriterien anzugeben, die einen Begriff bestimmen, muss man nur umgekehrt den Gegenstand als unter einen Begriff fallend »definieren«.

Und sich selbst definiert man natürlich als einen herzensguten, kritisch denkenden Menschen und als politisch und moralisch auf der richtigen Seite stehend. Mit widerspenstigen Kriterien muss man sich nicht mehr abmühen, stattdessen – nun ja – erfühlt man halt irgendwie die herbeidefinierte Essenz der Dinge.

Korrekt verwendet, ermöglichen es Definitionen, Begriffe abweichend und dennoch verständlich sowie präzise zu gebrauchen und somit die Macht konventioneller Denkweisen und Dogmen abzuschütteln; Definitionen dienen einer rationalen Diskussion.

Die Frage, ob hingegen das Einzelne als unter einen Begriff fallend zu »definieren« ist, stürzt nur in einen endlosen Kampf um Definitionsmacht, sprich: wessen Willkür vor­übergehend die Oberhand behält. Dafür lassen sich Selbstzweifel beruhigen, denn nichts ist einfacher, als die jeweilige Gegenseite als ignorant und machtversessen und die eigenen Leute als integre, aber unterdrückte Kämpfer für das Gute zu »definieren«.