Kim Robin Stoller, Internationales Institut für Bildung, Sozial- und Antisemitismusforschung, im Gespräch über die Berichterstattung zum Gaza-Krieg

»Die Verantwortung der Presse ist enorm«

Das Internationale Institut für Bildung, Sozial- und Antisemitismusforschung berät Journalist:innen und Medienhäuser zum Umgang mit Antisemitismus, Rechtsextremismus und Islamismus. Die »Jungle World« sprach mit der Vorstandsvorsitzenden des Vereins, Kim Robin Stoller, über Herausforderungen bei der Berichterstattung über Israel und die Hamas.
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Mit welchen Problemen sind Redaktionen bei der Berichterstattung über Israel derzeit konfrontiert?
Viele Journalist:innen stehen vor dem Problem, dass sie beim Angriffskrieg der Hamas gegen Israel unter Zeitdruck über sehr komplexe Verhältnisse berichten müssen. Sie bekommen Ticker-Meldungen mit teils irreführenden Überschriften und übernehmen diese dann. Nicht selten haben sie wenig Expertise für die Thematik. Es gibt auch Ressentiments und antisemitische Topoi, die reproduziert werden, und eine Reihe von typischen Fehlern in der Berichterstattung.

Welche sind das?
Bekannte Beispiele sind Bezeichnungen wie »Widerstandskämpfer der Hamas« statt »Terroristen der Hamas«. Ein anderes ist das Framing, also die sprachliche Einordnung der Fakten, etwa dass von »Palästinensern gegen Israelis« statt »Hamas gegen das israelische Militär« gesprochen wird. Außerdem kommt in manchen Berichten eine selektive Wahrnehmung zum Ausdruck, wenn etwa von »Evakuierten« oder »Betroffenen von Raketenangriffen« nur aus einer palästinensischen Perspektive berichtet wird, als würden Israelis nicht unter Raketenangriffen leiden oder evakuiert werden müssen.

»Das Problem ist, dass Gerüchte oder Bilder, die in die Welt gesetzt werden, bei den Leuten, die bereit sind, diese anzunehmen, im Gedächtnis bleiben.«

Haben Sie weitere Beispiele?
Oft werden die Gründe für einen möglichen Einmarsch des israelischen Militärs nach Gaza nicht genannt, also dass damit die Entmachtung der Hamas beabsichtigt wird. Stattdessen wird das Vorgehen Israels auf einer rein emotionalen Ebene erklärt, zum Beispiel dass israelische Politiker:innen gerade in Rage seien und den Einmarsch aus diesem Grund befürworteten. Ein weiteres Problem ist der Umgang mit Quellen. Zum Beispiel wird oft die Hamas als Primärquelle verwendet. Das hat man kürzlich anhand der Falschmeldung über die Bombardierung des al-Ahli-Arab-Krankenhauses in Gaza-Stadt feststellen können.

Große Medien hatten eine Meldung des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums von Gaza ungeprüft übernommen, der zufolge Israel das Krankenhaus gezielt mit einer Rakete beschossen und bis zu 500 Zivilist:innen ermordet hätte. Inzwischen sprechen Indizien dafür, dass eine Rakete, die aus Gaza selbst abgeschossen wurde, das Krankenhaus traf, auch soll die Zahl der Opfer deutlich niedriger sein.
Diese Falschmeldung hatte fatale Konsequenzen und löste in kürzester Zeit weltweit antiisraelische Demonstrationen und antisemitische Angriffe auf israelische und jüdische Einrichtungen aus. Die Verantwortung der Presse ist enorm. Der katarische Staatssender al-Jazeera übertrug am 7. Oktober eine Live-Schaltung mit zentralen Hamas-Personen, während die Massaker in Israel noch stattfanden. Das kann meines Erachtens als Befürwortung und Unterstützung des Terrorismus gewertet werden. Das Problem ist, dass Gerüchte oder Bilder, die in die Welt gesetzt werden, bei den Leuten, die bereit sind, diese anzunehmen, im Gedächtnis bleiben.

Hat sich die Berichterstattung über Israel verändert?
Ja, es gibt Veränderungen, und die sind nicht alle nur negativ. Anfang der nuller Jahre wurden Attentate gegen Israelis noch viel stärker gerechtfertigt. Das hat etwas abgenommen, wie man im Fall des jüngsten Massakers sieht. Es gibt häufiger eine komplexe Darstellung Israels, zum Beispiel im Kontext der Normalisierung der Beziehungen mit einigen der arabischen Staaten. Und auch andere Themen sind stärker in den Vordergrund getreten, etwa die LGBTIQ-freundliche Atmosphäre in Tel Aviv beim Gay Pride oder Israel als Start-up-Nation.