Iran frohlockt
Unmittelbar nach dem Massaker der Hamas in israelischen Ortschaften am Gaza-Streifen drängte es die iranische Staatsführung, das Geschehen zu kommentieren. Der Oberste Führer Ali Khamenei dementierte eine direkte iranische Beteiligung, aber er küsse »die Hände dieser klugen Kämpfer, dieser fähigen Helden«. Sein Staatspräsident Ebrahim Raisi wollte gleich für die islamische Weltgemeinschaft sprechen: »Sie haben die islamische Ummah mit dieser innovativen und siegreichen Operation wirklich glücklich gemacht.« Die Repräsentanten der vorigen, vermeintlich gemäßigten Regierung beeilten sich, Übereinstimmung zu bekunden. Der ehemalige Außenminister Javad Zarif lobte Khamenei für seinen Auftritt, der ehemalige Präsident Hassan Rohani fand viele Worte zur israelischen Blockade gegen Gaza, aber keine zu Morden, Vergewaltigungen oder Entführungen durch die Hamas.
Die zynischen Aussagen kommen von einem Regime, das die Hamas und den gleichfalls beteiligten Islamischen Jihad seit Jahren tatkräftig unterstützt. Ohne diese Hilfen wäre der militärische Großangriff gegen Israel kaum möglich gewesen. Der 7. Oktober sprengt den Rahmen alles bisher Dagewesenen, doch die damit verfolgte Strategie ist bekannt: Der Iran lässt regionale Milizen für sich antreten; sie sollen einen sogenannten schiitischen Halbmond vom Libanon über Syrien bis Irak gefügig machen und die dortigen Regime der iranischen Vorherrschaft unterwerfen. So wird Israel nahezu eingekreist, und die brutale Attacke gegen das Land zeigt, wie ernst der Iran es mit seinem Ziel, Israel zu vernichten, meint.
In Situationen wie der derzeitigen möchte das iranische Regime Israel daran hindern, sich wirksam zur Wehr zu setzen. Zu diesem Zweck will der Iran mit dem Einsatz von Atombomben drohen können.
Längst versteht sich die Hamas als Teil dieser Einkreisung, längst erkennen die islamistischen Terroristen die Führungsrolle des Iran an, und entsprechend huldigen sie seinem Staatsoberhaupt. Der Unterschied etwa zur Hizbollah besteht nur darin, dass die palästinensischen Islamisten als Sunniten Khamenei nicht auch noch zum Religionsführer erheben können.
Der Iran frohlockt. Allerdings macht sein Frohlocken in diesen Tagen auch deutlich, was ihm noch fehlt. Seit drei Jahrzehnten arbeitet das Regime unbeirrt darauf hin, Atommacht zu werden. In Situationen wie der derzeitigen möchte das Regime Israel daran hindern, sich wirksam zur Wehr zu setzen. Zu diesem Zweck will es mit dem Einsatz von Atombomben drohen können. Und dann ginge es um alles oder nichts.
Daher hat der Schrecken dieses Herbsts auch dem iranischen Atomprogramm wieder größere Aufmerksamkeit verschafft und noch einmal hervorgehoben, welche Dramatik dem Thema innewohnt. Dafür gibt es einen weiteren Grund: Nach dem pro forma immer noch gültigen Wiener Atomabkommen von 2015, dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), sollten am 18. Oktober, dem sogenannten Transition Day, die proliferationsbezogenen Sanktionen gegen den Iran aufgehoben werden.
Denn die Initiatoren des JCPOA gingen vor acht Jahren äußerst optimistisch davon aus, dass sich die Frage der Proliferation, also der nuklearen Ambitionen des Iran, in diesem Zeitraum erledigt haben würde. Das war ein fundamentaler, epochaler Irrtum. Nur eingestehen möchten sich die beteiligten Regierungen diesen Irrtum nicht. Deshalb wird der Umgang mit dem JCPOA peinlich beschwiegen oder heruntergespielt.
So war es eher eine beiläufige Anmerkung, aus der die deutsche Öffentlichkeit in Maybrit Illners Sendung vom 12. Oktober Neues erfuhr: Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock gab auf Befragen bekannt, dass »wir die Sanktionen verlängern«. Dabei geht es allerdings keineswegs um Nebensächlichkeiten, sondern immerhin um die Aufhebung des Verbots ballistischer Raketen, die Freigabe des Handels mit Raketentechnologie sowie um die Streichung wichtiger iranischer Firmen, Institutionen und Personen von den Sanktionslisten der EU.
Tatsächlich haben die Regierungen Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens am 14. September in einem Brief an den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell die Beibehaltung dieser Sanktionen angekündigt. Die sogenannten E3-Staaten reagierten damit »auf die anhaltende und schwerwiegende Nichteinhaltung der JCPOA-Verpflichtungen durch Iran seit 2019«. Iran habe sein Programm ohne glaubwürdige zivile Rechtfertigung ausgeweitet. »Seine Vorräte an angereichertem Uran belaufen sich auf mehr als das 18fache der nach dem JCPOA zulässigen Menge.« Gleichzeitig versicherten die E3, diese Entscheidung rückgängig zu machen, sollte der Iran seine Verpflichtungen wieder erfüllen.
Auch wenn das iranische Außenministerium wütend Reaktionen androhte, scheint es sich eher um eine Verlegenheitslösung zu handeln, weil die europäischen Staaten am Ende ihrer Weisheit angekommen sind oder sich wieder einmal nicht einigen können. Ende vorigen Jahres hatte US-Präsident Joe Biden den JCPOA, dessen Reaktivierung er im Wahlkampf angekündigt hatte, für tot erklärt. Seitdem verfolgt die US-Regierung die Option eines weniger anspruchsvollen Abkommens, sprich: die Aufrechterhaltung des Status quo.
Im Rahmen dieser Bemühungen kam es im September zu einer Vereinbarung über die Freilassung von fünf US-amerikanischen Geiseln aus iranischer Haft. Im Gegenzug akzeptierten die USA die Überweisung von sechs Milliarden US-Dollar iranischer Guthaben, die auf südkoreanischen Konten eingefroren waren, an katarische Banken. Nach dem bestialischen Überfall der Hamas wird nun über die weitere Verwendung gestritten. Außerdem behauptete die New York Times am 12. Oktober, eine Verabredung sei zustande gekommen. Demnach würden die USA keine neuen Nuklearsanktionen erlassen, solange der Iran darauf verzichte, sein Uran bis zur Waffenfähigkeit anzureichern.
Dafür gibt es keine offizielle Bestätigung. Eher handelt es sich wohl um ein Angebot der USA als um eine verbindliche Abmachung. Selbst wenn der Iran in eine solche Verabredung eingewilligt hätte, befände man sich auf dünnem Eis. Aus den Berichten der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) geht nämlich hervor, dass der Iran kurzfristig dazu in der Lage wäre, genug waffenreines Uran für eine oder mehrere Atombomben anzureichern. Und es gehört nur wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie die iranische Diplomatie in diesen Tagen bei den russischen und chinesischen Kollegen antichambriert, ob sie es tolerieren würden, wenn der Iran jetzt die nächsten und entscheidenden Schritte unternähme.
Anders als die USA, die ihre Teilnahme am JCPOA unter Präsident Donald Trump aufkündigten, haben die Europäer noch ein starkes Druckmittel in der Hand. Sie könnten den im Vertrag vorgesehenen »Snapback«-Mechanismus nutzen, den Konflikt vor die Vereinten Nationen bringen und alle früheren Sanktionen gegen den Iran wieder einsetzen. Diesen Mechanismus hätte man schon vor Jahren in Gang setzen können. In der gegenwärtigen heißen Krise könnten übereilte Entscheidungen allerdings die Situation noch weiter eskalieren. Denn die iranischen Machthaber haben vermutlich ein entscheidendes Wort über das Schicksal der Geiseln mitzureden, die sich derzeit in der Gewalt der Hamas befinden.
Man kann sich daher denken, wo die Gesprächskanäle enden, um die sich die deutsche Außenministerin derzeit in Katar und Ägypten bemüht. Bei all dem darf nicht vergessen werden, dass im iranischen Atomprogramm jede Menge deutscher Technologie steckt und dass deutsche Unternehmen – unter anderem dank Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier, Gerhard Schröder und Joschka Fischer – nach wie vor im Iran präsent sind.