Das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig war ein völkisches Projekt, das architektonisch seinen ­Anspruch verfehlt

Völkische Träume aus Granit

Vor 110 Jahren wurde das Leipziger Völkerschlachtdenkmal eröffnet, das an den Sieg über Napoleon in den sogenannten Befreiungskriegen 1813 erinnern soll. Erbaut worden war es auf Initiative völkischer Deutschnationaler, heutzutage will die Stadt Leipzig es als Friedensdenkmal verstanden wissen.

Im Südosten Leipzigs steht ein klobiger, 91 Meter hoher Turm aus Granit: das Völkerschlachtdenkmal. Von den Bewohnern der Stadt liebevoll »Völki« genannt, gilt es als berühmtestes Wahrzeichen Leipzigs. Dieser Tage jährt sich die Eröffnung des Denkmals zum 110. Mal – Grund genug, einen genaueren Blick auf das größte Denkmal Europas zu werfen.

Eröffnet wurde es 1913 anlässlich des 100. Jahrestags der Völkerschlacht bei Leipzig. Die viertägige militärische Auseinandersetzung zwischen den Truppen Napoleon Bonapartes und einer Koalition mehrerer europäischer Großmächte im Oktober 1813 war mit 600 000 beteiligten Soldaten und rund 92 000 Toten vermutlich die bis dahin größte und blutigste Schlacht der Geschichte. Napoleons Truppen unterlagen, dies besiegelte das Ende seiner Herrschaft über große Teile Europas.

Bereits kurz nach dem Ende der verheerenden Schlacht, bei der große Teile Leipzigs und der Umgebung verwüstet worden waren, gab es erste Überlegungen, ein Denkmal zu errichten. Einen diesbezüglich einflussreichen Text verfasste der völkisch-nationalistische Schriftsteller Ernst Moritz Arndt. Für die deutsche Nationalbewegung war das Ende der französischen Herrschaft mit der Hoffnung auf die Schaffung eines deutschen Nationalstaats verbunden, diese sollte sich aber – wie auch die Pläne, ein großes Denkmal für die Völkerschlacht zu errichten – zunächst nicht erfüllen.

Nach dem Einmarsch der US-Armee in Leipzig im April 1945 verschanzten sich rund 300 fanatische deutsche Verteidiger tagelang im Völker­schlachtdenkmal.

Der Wunsch nach einem deutschen Nationalstaat erfüllte sich schließlich 1871 mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs. Zunächst hatten die deutschen Kaiser aus nationalistischen Kreisen kaum Kritik zu gewärtigen, doch nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 entstand eine rechte Opposition. Deren wichtigste Gruppe, der Alldeutsche Verband, berief sich auf die Schriften der Arndts und ähnlich gesinnter Zeitgenossen, was zu einer Neurezeption und Popularisierung vieler völkischer Ideen aus der Zeit der »Befreiungskriege« führte.

Aus dem Umfeld des Verbands entstand 1894 der Deutsche Patriotenbund zur Errichtung eines Völkerschlachtdenkmals bei Leipzig (DPB) unter der Leitung des Leipziger Architekten Clemens Thieme. Während dieser DPB sich zunächst hauptsächlich aus dem lokalen Leipziger Besitz- und Bildungsbürgertum rekrutierte, wurde er schon bald von Sänger-, Schützen-, und Turnvereinen, studentischen Korporationen und anderen deutschnationalen Gruppierungen aus dem gesamten Kaiserreich unterstützt.

Das Denkmal sollte etwas völlig Neues sein: 1897 forderte der DPB unter anderem, es solle nicht mit »fremdartigem Gepräge« versehen werden und »aus dem deutschen Empfinden hervorgehen«. Doch welche Bautradition war dafür geeignet? Im Kaiserreich dominierten der von den Bauten der Antike und Renaissance inspirierte »romanische« Klassizismus und die Neogotik. Hatte die Gotik um 1800 noch als genuin deutscher Baustil gegolten, setzte sich im folgenden Jahrhundert immer mehr die Erkenntnis durch, dass sie in Frankreich entstanden war. Als »undeutsche« Stile waren beide in den Augen des DPB keine Option für die Errichtung eines »wahrhaft deutschen« Bauwerks.

Nachdem die Ausschreibung keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielte, wandte man sich schließlich an den bekannten Architekten Bruno Schmitz, der bereits zahlreiche große Denkmalprojekte realisierte hatte. Neben diversen anderen Kaiser-Wilhelm-Denkmälern hatte Schmitz auch das Kyffhäuser-Denkmal (1896) entworfen, das ebenfalls aus einem großen Turm besteht, der mit seinen grob behauenen Steinquadern an mittelalterliche Burgen erinnert. Diese Grundform wurde beim Leipziger Monument noch einmal deutlich archaisiert.

Weitere Vorbilder für den Außenbau waren altägyptische Stufenpyramiden und das frühmittelalterliche Grabmal Theoderichs des Großen im norditali­enischen Ravenna, die man sich in Ermangelung denkmalwürdiger Bauzeugnisse der Germanen zum Vorbild nahm – ein internationaler, eklektischer Stilmix, welcher dem Ziel dienen soll­te, eine möglichst imposante, urtümlich-archaische Wirkung zu erzeugen, mit einer genuin »deutschen« Bautradition aber herzlich wenig zu tun hatte.

Noch absurder ging man bei der Gestaltung des Innenraums vor: Das Innere des Völkerschlachtdenkmals besteht aus einer großen, dreigeteilten Halle, welche sich aus Krypta, Ruhmeshalle und Sängergalerie zusammensetzt. Der DPB war bemüht, eine delikate Tatsache nicht an die große Glo­cke zu hängen: Als Vorbild hatte der Pariser Invalidendom gedient, die Grabstätte Napoleon Bonapartes. Das Denk­mal, welches den Sieg über den verhassten »Kaiser der Franzosen« zele­brieren sollte, imitiert also dessen pompöses Grabmal.

Die Skulpturen tragen stark zur militaristischen Wirkung des Monuments bei. Zentral am unteren Ende des Bauwerks befindet sich ein großes Re­lief – in dessen Zentrum der Erzengel Michael, Soldatenheiliger und »Schutzpatron der Deutschen«. Die Seiten zeigen, überraschend unheroisch, das Sterben von Menschen und Pferden in der Völkerschlacht. Darü­ber prangt in großen Lettern der Schriftzug »Gott mit uns«. Das Bibelzitat war der Wahlspruch des preußischen Königshauses und damit auch der deutschen Kaiser. Insbesondere im militärischen Kontext wurde es häufige verwendet. Später fand er sich auf den Gürtelschnallen der Wehrmacht und bis 1962 auch auf denen der Bundeswehr.

Außerdem finden sich sowohl an Außenfassade als auch in der Krypta sogenannte Wächterfiguren: vollkommen überstilisierte Darstellungen mittelalterlicher Ritter, die sich mit gesenktem Blick auf ihr Schwert oder Schild stützen. Den Höhepunkt des Skulpturenprogramms bilden vier sitzende Monumentalskulpturen in der Ruhmeshalle, welche die »deutschen Volkstugenden« Glaubensstärke, Opferbereitschaft, Tapferkeit und Volkskraft darstellen sollen. Während die anderen drei durch Männer repräsentiert werden, ist die Personifikation der »Volkskraft« die einzige relevante Darstellung einer Frau innerhalb des gesamten Völkerschlachtdenkmals.

1898 hatte man schließlich genug Spenden gesammelt, um mit dem Bau auf dem von der Stadt zur Verfügung gestellten Gelände zu beginnen. Da die Kosten für das Projekt von 800 000 auf sechs Millionen Mark stiegen, wurde offensichtlich, dass es nicht gelingen würde, diese allein durch Spenden zu decken. Aus diesem Grund richtete der DPB mehrere Lotterien aus, mit deren Einnahmen der Großteil der Baukosten finanziert wurde. Bei seiner Eröffnung 1913 war das Völkerschlachtdenkmal eines der modernsten Bauwerke seiner Zeit: Es besteht zum Großteil aus Beton, die Granitquader sind nur vorgeblendet.

Die Nationalsozialisten nutzten ab 1933 das Völkerschlachtdenkmal mit seiner monumentalen Parkanlage gerne für Veranstaltungen. Nach dem Einmarsch der US-Armee in Leipzig im April 1945 verschanzten sich rund 300 fanatische deutsche Verteidiger tagelang im Monument. Die 1946 vom Alliierten Kontrollrat erlassene Direktive Nr. 30 (»Beseitigung deutscher Denkmäler und Museen militärischen und nationalsozialistischen Charakters«), die vor allem in der Sowjetischen Besatzungszone rigide durchgesetzt wurde, überstand das Völkerschlachtdenkmal unbeschadet. Das lässt sich vermutlich auch damit begründen, dass die benötigte Menge an Sprengstoff auch den umliegenden Stadtteil Probstheida dem Erdboden gleichgemacht hätte. Auch in der DDR wurde das Völkerschlachtdenkmal als »Monument der deutsch-sowjetischen Freundschaft« (Russland hatte in der Völkerschlacht an der Seite Preußens gegen Napoleon gekämpft) als zeremonieller Ort genutzt.

Heutzutage ist das Völkerschlachtdenkmal ein Museum und eine beliebte Bühne für Konzerte – vor kurzem hat beispielsweise eine Techno-Veranstaltung mit fragwürdiger Ästhetik auf dem Gelände stattgefunden. Die Stadt Leipzig versucht, das Völkerschlachtdenkmal zu ­einem »Symbol für Frieden, Freiheit und Verständigung unter den europä­ischen Völkern« (Satzung der städtischen Stiftung Völkerschlachtdenkmal) umzudeuten. Dies ignoriert jedoch den Charakter des Völkerschlachtdenkmals als wichtigstes Bauprojekt völkisch-nationalistischer Kreise vor dem Ersten Weltkrieg völlig. Auch wenn die Völkischen – wie gezeigt – in jeglicher Hinsicht daran scheiterten, ein genuin »deutsches« Bauwerk zu errichten, ist das Denkmal gänzlich von deren regressiver, menschenfeindlicher Ideologie geprägt.