Das Techno-Festival »Unreal« findet am Leipziger Völkerschlachtdenkmal statt

Love Techno, Love Germany?

Andernorts werden Denkmäler gestürzt. Das Leipziger Völkerschlachtdenkmal soll in diesem Sommer von der Techno-Szene beehrt werden.

Amelie Lens, Farrago, Kobosil, Klangkünstler, Nico Moreno, Levt – das Who’s Who der internationalen Technoszene bietet der Rave »Unreal« am Leipziger Völkerschlachtdenkmal auf. 10.000 Besucher werden für den 22. Juli erwartet. »Higher« von Amelie Lens, »Weltschmerz« von Klangkünstler oder der von Rosa Anschütz und Kobosil produzierte Track »Rigid« waren für eine neue Generation von Ravern eine Offenbarung und stehen für einen dunklen und harten Techno. In der Szene wird diese Stilrichtung gern als »Business-Techno« belächelt, ihre Anhängerschaft als »Tiktok-Raver« verspottet.

Dass Techno zu einem ideellen gesamtdeutschen Projekt geworden ist, Konservative ihre Dissertationen über die Rave Culture geschrieben haben und Clubs wie das »Berghain« in Berlin ohne die sogenannte Wiedervereinigung nicht existieren würden, ist bekannt. Die BPM-Zahl wurde erhöht und Techno immer mehr dem Primat der Ökonomie untergeordnet. Auch das Verhältnis eines Teils der Szene zur deutschen Geschichte hat sich offensichtlich geändert. Stürzten sich in vergangenen Zeiten Feierwütige unter dem Slogan »Love Techno – Hate Germany« ins Nachtleben, fehlen antinationale Töne beim Leipziger Festival.

Klangkünstler ließ bei Instagram verlautbaren, dass es ihm eine Ehre sei, »vor diesem Denkmal auftreten zu dürfen«. Amelie Lens setzte ein Herz unter die Ankündigung, auch Ellen Allien unterstützt die Ankündigung unter dem Posting.

Architektonisch folgt das 91 Meter hohe Denkmal politischen Konzepten, die schon bei der Einweihung rückschrittlich waren: Der Architekt Bruno Schmitz orientiert sich am deutschen Nationalismus und der Idee des heroischen Kampfs.

Ideengeber für das Bauwerk war der Schriftsteller Ernst Moritz Arndt, ein Nationalist, der anti­semitische und antifranzösische Ressentiments verband und später von den Nazis verehrt wurde. Das Völkerschlachtdenkmal wurde während des Deutschen Kaiserreichs unter Wilhelm II. erbaut und 1913, am Vorabend des Ersten Weltkriegs, anlässlich des 100jährigen Jubiläums der Schlacht von Leipzig eingeweiht.

Während die Nachbarländer England und Frankreich zu diesem Zeitpunkt längst demokratisch verfasst waren, feierten die Monarchisten und die konservative Führungsschicht gemeinsam mit Tausenden Zuschauern den Sieg gegen den »französischen Erzfeind« und die »Befreiung Deutschlands« von Napoleon. ­Architektonisch folgt das 91 Meter hohe Denkmal politischen Konzepten, die schon bei der Einweihung rückschrittlich waren: Der Architekt Bruno Schmitz orientiert sich am deutschen Nationalismus und der Idee des heroischen Kampfs.

Zwischen 1933 und 1945 wurden am Denkmal NSDAP-Funktionäre und Wehrmachtssoldaten ­zeremoniell vereidigt. In den letzten Kriegstagen, als weite Teile Leipzigs bereits von der US-Armee befreit worden waren, verschanzten sich 300 SS-Angehörige und Volkssturmeinheiten im Inneren des steinernen Kolosses. Das Denkmal wurde in jüngerer Zeit immer wieder zu einem Anlaufpunkt für Neonazis, wird aber auch umfassend touristisch genutzt. Erst in der vergangenen Woche fand im Kuppelsaal des Denkmals ein Konzert im Rahmen des 30. Wave-Gotik-Treffens statt, das mit »düsteren Events rund um das Völkerschlachtdenkmal« Be­sucher:innen lockte.

Vor dem Hintergrund des Völkerschlachtdenkmals läuft der Schriftzug »Unreal« in altdeutscher Schrift. Ironie ist das nicht.

Im Juli sollen dann 10.000 Raver in schwarzer Kleidung das gesamtdeutsche Technoprojekt am historischen Ort auf eine neue Stufe heben. Der Ver­anstalter überschlägt sich vor Freude: »This is totally insane! ­Bringing Unreal to the highest monument in Europe. Let’s cele­brate the biggest Unreal event with more than 10.000 people at Völkerschlachtdenkmal Leipzig!«

Der Flyer erinnert an die historischen Postkarten aus dem Kaiserreich: Vor dem Hintergrund des Völkerschlachtdenkmals läuft der Schriftzug »Unreal« in altdeutscher Schrift. Ironie ist das nicht. Der Begriff »Völkerschlacht« wird auf dem Flyer affirmiert. Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Orts findet sich in den sozialen Medien bislang nicht. Lediglich das Line-up wird als »einfallslos« kritisiert.

Liest man die Kommentare, drängt sich der Eindruck einer weitestgehend unpolitischen Szene auf. Die Veranstalter wären gut beraten, sich mit der Frage zu beschäf­tigen, ob Techno, frei nach Eike Geisel, wirklich als höchste Form des Vergessens dienen soll.