Der dritte Weg führt über Marzahn
Sticker, Flugblätter und Transparente, aber auch handgreifliche Einschüchterungsversuche: In Berlin nehmen die Aktivitäten der neonazistischen Partei »Der III. Weg« stark zu. Etwa 300 Vorfälle dokumentierte das Antidiskriminierungsprojekt Berliner Register im Zusammenhang mit der neonazistischen Organisation bereits im laufenden Jahr, teilte die Projektleiterin Kati Becker der Jungle World mit.
Die Berliner Register sind nach den Bezirken der Stadt aufgeteilte Meldestellen. Sie dokumentieren Fälle von Ausgrenzung und Diskriminierung im Alltag der Stadt. Besonders stark betroffen von rechten Umtrieben ist, das legen die gemeldeten Vorfälle nahe, der Bezirk Marzahn-Hellersdorf im Nordosten der Stadt. Dort dokumentierte das Projekt bereits im Vorjahr 365 »rechte und diskriminierende Vorfälle« – die höchste Zahl, seit das Projekt 2008 mit der Erfassung begann. Etwa die Hälfte davon hatte einen Bezug zu »Der III. Weg«.
Viele dieser Vorfälle sind eher unspektakulär – Aufkleber an U- und S-Bahnstationen mit rassistischen Inhalten zum Beispiel. Nahezu täglich erfahren die Register von Aufklebern von »Der III. Weg« in Berlin, die entdeckt und entfernt werden. Ein bis zwei Mal wöchentlich verteilen Anhänger der Partei Flugblätter in Wohngebieten, gelegentlich werden Transparente aufgehängt. »In Marzahn-Hellersdorf werden zwei bis drei Mal so viele Vorfälle erfasst, die mit dem ›III. Weg‹ in Zusammenhang stehen, wie in anderen Bezirken«, sagt Becker. In den übrigen Ostberliner Randbezirken und Neukölln seien in diesem Jahr bislang jeweils knapp 40 Vorfälle gemeldet worden.
Welche Organisation in der Nazi-Szene dominiert, wechselt immer wieder: Früher waren es Kameradschaften, dann die NPD, mittlerweile ist »Der III. Weg« dabei, diese Stellung zu erlangen.
Vor allem in Marzahn-Hellersdorf gebe es auch Aktionen, die über Propaganda hinausgingen, sagt Becker. Die Partei und ihre Jugendorganisation Nationalrevolutionäre Jugend (NRJ) suchen immer wieder die offene Konfrontation. So bedrohten Anhänger von »Der III. Weg« Teilnehmende einer antifaschistischen Demonstration am 8. Juli in Marzahn-Hellersdorf. Kurz zuvor waren sie dem Berliner Register zufolge bei dem linken Wohnprojekt AJZ Kita aufgetaucht. Die Nazis hätten Pyrotechnik geworfen und dabei Autos beschädigt. In diesem Zusammenhang hatte sich eine Demonstration unter dem Motto »Nach den Rechten schauen« gegen das Auftreten der Partei im Bezirk gerichtet.
»In Marzahn-Hellersdorf wohnen die meisten Berliner Aktivisten des ›III. Wegs‹«, sagt Becker, deshalb sei die Partei gerade dort und in den angrenzenden Bezirken so aktiv. »Die Aktivisten wohnen dort und jedes Mal, wenn sie nach draußen gehen, zum Einkaufen oder zum Bahnhof laufen, kleben sie Aufkleber«, das treibe die Zahl der Vorfälle nach oben. Dadurch »schüchtern sie die Menschen ein, die sich demokratisch oder antifaschistisch engagieren«.
Aufsehen erregt »Der III. Weg« regelmäßig mit Aktionen gegen Pride-Veranstaltungen. Zuletzt störten etwa 20 Neonazis am 12. August in Weißenfels (Sachsen-Anhalt) eine Demonstration zum Christopher Street Day (CSD), warfen Gegenstände und zeigten den Hitlergruß. Aufgerufen zu solchen Störungen hatte »Der III. Weg«.
Auch in Berlin kam es zu ähnlichen Vorfällen. Am Rande der Marzahn Pride am 18. Juni kam es zu Pöbeleien und Übergriffen, am Auftaktort der Veranstaltungen fand man Plakate von »Der III. Weg« gegen »Homo-Propaganda«. Beim zentralen Berliner CSD am 22. Juli versammelten sich dem Berliner Register zufolge über 30 Anhänger von »Der III. Weg« am Alexanderplatz und bedrohten in der Folge queere Menschen.
Handelt es sich dabei um eine gezielte Kampagne – analog etwa zum »Stolzmonat«, dem Schlagwort, unter dem dieses Jahr Rechte und extrem Rechte gegen den »Pride Monat« gehetzt haben? Kati Becker sagt, LGBT-Feindschaft sei schon immer Bestandteil extrem rechter Ideologie. Außerdem suchten die Mitglieder von »Der III. Weg« »gezielt nach Orten, die Öffentlichkeit versprechen«, und das seien eben auch »Paraden zum CSD«.
Typische Angriffsziele seien in der Vergangenheit jedoch vor allem Linke und antifaschistisch engagierte Menschen sowie entsprechende Projekte und Wohnhäuser gewesen. Bei den in diesem Jahr in Berlin dokumentierten Vorfällen mit Bezug zu »Der III. Weg« diene »der Großteil, circa 60 Prozent, der Selbstdarstellung« der Partei, elf Prozent hätten der Einschüchterung politischer Gegner:innen und weitere elf Prozent der Verharmlosung des Nationalsozialismus gedient; zehn Prozent hatten rassistische Botschaften verbreitet. LGBT-Feindlichkeit mache neun Prozent der Vorfälle aus, die man »Der III. Weg« zuordnen könne, so Becker.
Im Gegensatz zu dem bemüht harmlosen Auftreten beispielsweise der Identitären Bewegung scheint »Der III. Weg« eindeutig auf nationalsozialistische Ideologie und Symbolik anzuspielen.
Bei Aktionen tritt »Der III. Weg« häufig uniformiert in T-Shirts und Hoodies mit dem Parteilogo – eine römische Drei umringt von einem stilisierten Eichenlaubkranz auf grünem Grund – auf. Im Gegensatz zu dem bemüht harmlosen Auftreten beispielsweise der Identitären Bewegung scheint »Der III. Weg« eindeutig auf nationalsozialistische Ideologie und Symbolik anzuspielen. Das »germanische« Eichenlaub ist als Pendant zum römischen Lorbeerkranz gewählt, den der historische Faschismus aus Italien favorisierte; die Drei steht für den propagierten »dritten Weg« zwischen Kapitalismus und Kommunismus.
Kati Becker zufolge erhält »Der III. Weg« derzeit nicht nur in Berlin Zulauf, und zwar vor allem von Neonazis, die bereits seit langem zum aktionistischen und gewaltbereiten Teil der rechten Szene gehörten. Welche Organisation in der Nazi-Szene dominiert, wechselt immer wieder: Früher waren es vor allem sogenannte Kameradschaften, dann die NPD und »Freie Nationalisten«, mittlerweile ist »Der III. Weg« dabei, diese Stellung zu erringen. Ziele und Ideologie blieben aber dieselben, so Becker. Der Status als Partei sei jedoch vorteilhaft, weil ein Verbot deutlich schwieriger sei als bei Gruppierungen wie Kameradschaften.
»Der III. Weg« wurde 2013 gegründet, maßgeblich von Mitgliedern der Nazi-Vereinigung Freies Netz Süd. Deren Verbot wurde damals bereits öffentlich diskutiert und erfolgte im Jahr darauf. Mit »Der III. Weg« wurde eine Organisation geschaffen, die nicht nach dem Vereinsrecht, sondern allenfalls mit großem juristischen Aufwand verboten werden kann.
Auch der am 27. Juni dem Senat vorgelegte Berliner Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 betont die Bedeutung von »Der III. Weg« für die rechtsextreme Szene in der Hauptstadt. Das »rechtsextremistische Personenpotential in Berlin« sei nur »leicht auf 1 450 Personen angewachsen«, was auch auf den »gewaltorientierten Teil der Szene« zuträfe, »dessen Personenpotential von 750 auf 770 Personen angestiegen« sei. Der Anstieg ließe sich »in erster Linie auf den Mitgliederzuwachs der Partei ›Der III. Weg‹ zurückführen«. Die Organisation sei, so der Berliner Verfassungsschutz in einer Pressemitteilung, »unverändert der zentrale Akteur im Bereich des traditionellen Rechtsextremismus in Berlin.«