Die Redaktion der französischen Zeitung »JDD« streikt gegen den neuen rechtsextremen Chefredakteur

Unerwünschter Chef

Die Beschäftigten der französischen Sonntagszeitung »Le Journal du Dimanche« streiken gegen ihren neuen rechtsextremen Chefredakteur Geoffroy Lejeune.

Das Unternehmen Vivendi blickt auf eine lange Geschichte zurück. 1853 per kaiserlichem Dekret von Napoléon III. als Compagnie générale des eaux (CGE) gegründet, war der Konzern für die Wasserversorgung in mehreren Großstädten wie Paris und Lyon zuständig. Das verschaffte ihm aufgrund überhöhter Verbraucherpreise und politischer Korruption über lange Jahre hohe Einnahmen. Mit dem angehäuften Kapital wandte das Unternehmen sich seit 1976 anderen Geschäftsfeldern zu, zunächst im Dienstleistungssektor. Mit dem Aufkommen von Privatfernsehen sowie Internet und Mobiltelefonen wurde das Mediengeschäft bedeutend, die CGE stieß auch frühere Aktivitätssparten ab.

Den heutigen Namen Vivendi trägt der Konzern seit 1998. Es hat nur noch wenig mit seinen ursprünglichen Tätigkeitsfeldern zu tun; zur Jahrtausendwende teilte es sich in zwei eigenständige Sparten, Vivendi Environnement und Vivendi Communication; die Wasser-, Abfall- und Umweltsparte benannte sich bald darauf in Veolia um. Nicht Empereur wie einst Napoléon III., aber Regent des so entstandenen Medienkonzerns Vivendi ist nunmehr Vincent Bolloré. Er übernahm ab 2014 sukzessive die Kontrolle; in jenem Jahr wählten ihn die Aktionäre zum Aufsichtsratsvorsitzenden. Im Juni dieses Jahres erlaubte die EU-Kommission Vivendi, die Mediengruppe Lagardère zu übernehmen, von der mehrere Radiosender und Printmedien abhängen.

Dem in Frankreich überaus prominenten Multimilliardär Bolloré geht es keineswegs nur ums Geldverdienen und die Kapitalvermehrung. Vielmehr mischt er sich auch sehr gern in die Politik ein. 2021/2022 unterstützte er über die von ihm kontrollierten Privatfernsehkanäle CNews und C8 den rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour, den er zuvor jahrelang politisch mit aufgebaut hatte – vor allem durch ständige Präsenz bei dem Sender CNews, von 2019 bis 2021 sogar mit einer wöchentlichen Sendung.

In anderen von Bolloré kontrollierten Medien traf dieser von oben aufgezwungene politische Kurs jedoch auf erheblichen Widerstand. Wegen einer Personalentscheidung, die die mittlerweile von Bolloré kontrollierte Mediengruppe Lagardère in der dritten Juniwoche getroffen hatte, trat die Redaktion der zu dieser gehörenden Sonntagszeitung Le Journal du Dimanche (JDD) nahezu geschlossen in den Streik. Die Beschlüsse zum Streikbeginn und zu seiner Fortsetzung fassten die dort beschäftigten Journalistinnen und Mitarbeiter jeweils mit Mehrheiten zwischen 95 und 97 Prozent. Seitdem dauert der Arbeitskampf der dortigen Redaktion an, zum dritten Mal erschien JDD am Sonntag nicht. Es handelt sich um die einzige überregionale und parteiunabhängige Sonntagszeitung Frankreichs.

Der Streik richtet sich gegen die am 23. Juni offiziell bestätigte Ernennung von Geoffroy Lejeune zum neuen Chefredakteur des JDD. Der 34jährige war zuvor Chefredakteur des 1966 gegründeten rechtsextremen Wochenmagazins Valeurs actuelles. Dort war er Anfang Juni gekündigt worden, vordergründig wegen eines Konflikts um die Ernennung eines neuen presserechtlich Verantwortlichen und Verlagsleiters, Jean-Louis Valentin, durch die Unternehmensführung, welche Lejeune nicht akzeptierte. Als Valentin in den Redaktionsräumen auftauchte, so berichtete Le Monde, habe Lejeune ihn angeschrien: »Dies ist meine Redaktion, du hast hier nichts zu suchen. Raus!«

Dahinter steckt ein politischer Konflikt. Die Geschäftsführung von Valeurs actuelles will zwar weiterhin ein rechtes Wochenmagazin machen, dieses jedoch an die etablierten Konservativen annähern, um Einfluss auf die Diskussionen unter anderem bei der früheren Regierungspartei Les Républicains (LR) zu nehmen. Lejeune hingegen ist ein Duzfreund des rechtsextremen Demagogen Éric Zemmour und unterstützte dessen Präsidentschaftswahlkampf 2021/2022, wo er bei Großveranstaltungen mitunter in der ersten Reihe saß.

Im Hochsommer 2020 erschien unter seiner Verantwortung ein Comicstrip, der die in Gabun geborene linke Abgeordnete Danièle Obono bei einem Sklavinnen- und Sklaventransport mit einem Ring um den Hals zeigte.

Einige redaktionelle Entscheidungen Lejeunes schockierten selbst bei Valeurs actuelles Mitarbeitende. Im Hochsommer 2020 erschien unter seiner Verantwortung ein Comicstrip in dem Wochenmagazin, der die in Gabun geborene linke Abgeordnete Danièle Obono bei einem Sklavinnen- und Sklaventransport mit einem Ring um den Hals zeigte. Das Pariser Berufungsgericht verurteilte die Publikation dafür in zweiter Instanz im November 2022 wegen rassistischer Beleidigung zu 1.000 Euro Geldstrafe und 5.000 Euro Schadensersatz.

In die bürgerliche Sonntagszeitung möchte der neue Chefredakteur eine frühere Redaktionskollegin bei Valeurs actuelles mitbringen, nämlich Charlotte d’Ornellas, bekannt für ihren rechten Katholizismus. Die große Mehrheit der Mitarbeitenden lehnt Lejeunes Exzesse ab. Ein am 27. Juni in einem Pariser Theater von der NGO Reporter ohne Grenzen organisierte Unterstützungsveranstaltung für die streikende Redaktion des JDD zog 1.000 Menschen an. Die beiden neuen Vorsitzenden der Gewerkschaftsdachverbände CGT und CFDT, Sophie Binet und Marylise Léon, traten bei der Veranstaltung als Rednerinnen auf und schrieben zudem an die Premierministerin Élisabeth Borne. Sie forderten gesetzgeberische Änderungen, die einer Medienkonzentration in den Händen Bollorés entgegenwirken sollen.

Gefordert wird unter anderem, mit der Auszahlung der jährlichen staatlichen Pressehilfen Vielfalt und Pluralismus im Mediensektor zu fördern und Kündigungsschutz für die als sociétés de journalistes bezeichneten Personalvertreter einzuführen. Im Unterschied zu gewerkschaftlichen Vertrauensleuten in gewöhnlichen Unternehmen sind diese in Tendenzbetrieben wie Zeitungen nicht gegen Kündigung geschützt.