Zum Tod der ukrainischen Autorin Wiktorija Amelina

Die Wiederholung der Tragödie

Wiktorija Amelina dokumentierte die Verbrechen des russischen Kriegs und wurde selbst zum Opfer.

Ukrainischen Autoren wird vom deutschen Feuilleton gern die Aufgabe zugewiesen, einen »Dialog« mit dem Aggressor zu führen. Wiktorija Amelina hatte dieses Ansinnen in der derzeitigen Lage als eine Zumutung zurückgewiesen, weil es einer Verhöhnung der Opfer des russischen Angriffskriegs gleichkomme. Wie die Mehrzahl ihrer Kollegen verfasste Amelina nach dem russischen Einmarsch keine Literatur mehr. Während viele Schriftsteller zur Armee gingen oder sich humanitären Aufgaben verschrieben, machte sie sich daran, russische Kriegsverbrechen zu dokumentieren, um zu verhindern, dass den vielen Schichten beschwiegener Verbrechen in den »Bloodlands« (Timothy Snyder) eine weitere hinzugefügt werde.

Schon vor dem Krieg befürchtete sie eine Wiederholung der Tragödie der »hingerichteten Renaissance«: 1937 ließ Stalin die literarische Avantgarde der Ukraine in Lager verschleppen und ermorden; ihre Werke, wie die ukrainische Literatur insgesamt, verschwanden aus den Buchläden und Bibliotheken; ein formales Verbot der ukrainischen Sprache brauchte es danach nicht mehr.

Amelinas Großeltern hatten den Holodomor überlebt, ihre Eltern wuchsen wie die Autorin mit Russisch auf, der Sprache der Kolonisatoren.

In ihrem 2017 erschienen Roman »Ein Haus für Dom« ist es ein Hund, der in Lwiw die historischen Schichten zu erschnüffeln hat. Ein von Juri Durkot ins Deutsche übersetzter Auszug des Romans findet sich auf der Internetseite des Projekts »Brücke aus Papier«. »In dem ›Jetzt‹ von Hunden«, schreibt Amelina, »steckt Tiefe. Wie soll ich das mit Worten erklären? Tiefe – das ist wie fremde Erinnerung. Plötzlich springt sie auf dich hinter der Ecke hervor – hinter jeder Ecke in dieser tiefen Stadt.«

Amelina berichtete, dass sie Jahre brauchte, um zu verstehen, dass die merkwürdigen Löcher an den Türrahmen vieler Häusern ihrer Heimatstadt Lwiw jene Stellen markieren, an denen einst die Mesusot jüdischer Haushalte angebracht waren. Amelinas Großeltern hatten den Holodomor überlebt, ihre Eltern wuchsen wie die Autorin mit Russisch auf, der Sprache der Kolonisatoren. »Diesen Fluch«, schrieb Amelina in einem Essay über die Vergangenheit, »können wir nicht brechen, indem wir die Geister verbannen, aber indem wir sie zum Frühstück einladen.«

Am 1. Juli starb Amelina mit nur 37 Jahren an den Folgen der schweren Verletzungen, die sie bei einem russischen Raketenangriff auf eine Pizzeria in Kramatorsk erlitten hatte.