Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat sein neues Regierungspersonal vorgestellt

Kahlschlag im Kabinett

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat nahezu seine gesamte Ministerriege ausgetauscht. Bei der Finanz- und Wirtschaftspolitik deutet sich an, dass nunmehr die Inflation bekämpft werden könnte.

Das ging schnell: Der für fünf weitere Jahre regierende Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan (AKP) brauchte nach seinem Sieg in der Stichwahl am 28. Mai nicht lange, um ein neues Kabinett vorzustellen, was am 3. Juni geschah. Aus der vorigen Regierung bleiben nur Gesundheitsminister Fahrettin Koca (parteilos) und Kultur- und Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy (parteilos) im Amt. Beide sind Fachminister mit geschäftlichen Interessen in ihren Bereichen, aber ohne weitergehende politische Ambitionen.

Zwei andere Namen lassen aufhorchen. Da ist zum einen der neue Finanzminister, Mehmet Şimşek (AKP). Er hatte dieses Amt bereits von 2009 bis 2015 inne und gilt als erfahrener Ökonom, dem man auch im Ausland vertraut. Als einziges Kabinettsmitglied trat er schon mit eigenen Vorstellungen an die Öffentlichkeit: Die Türkei müsse zu einer »rationalen« und einer »regelbasierten« Wirtschaftspolitik zurückkehren. Bei ausländischen Medien stieß das auf Zustimmung, die Reaktion der Investoren war zwiespältig. Einerseits sanken Risikoaufschläge auf türkische Anleihen, andererseits hielt der starke Wertverfall der türkischen Lira trotzdem an.

Zu einer »rationalen« Wirtschaftspolitik gehört auch, dass die Bevölkerung nach der Wahl wieder stärker belastet wird. Im Wahlmonat Mai gab es das Erdgas sogar umsonst. Das dürfte Şimşek, dem der Ruf sozialer Kälte vorauseilt, schleunigst wieder ändern. Erwartet wird, dass Şimşek und die neue Präsidentin der türkischen Zentralbank, die zuvor in den USA tätige Finanz­managerin Hafize Gaye Erkan, bis zur nächsten Sitzung des Ausschusses für Währungspolitik der türkischen Zentralbank am 22. Juni das Ende der Niedrigzinspolitik einleiten. Die US-Bank JP Morgan rechnet mit einer baldigen ­Erhöhung des Leitzinses von 8,5 Prozent auf 25 Prozent.

Der bisherige Kurs Erdoğans gilt als maßgeblich verantwortlich für die ökonomische Instabilität, da er an niedrigen Zinssätzen festhielt, um die Inflation zu bekämpfen – entgegen der klassischen nationalökonomischen Theorie sowie der bisherigen Erfahrung. Es mag eine Rolle spielen, dass Zinsen als unislamisch gelten, jedenfalls vertrat Erdoğan die Ansicht, steigende Zinsen verursachten die Inflation. Die Zinsen in der Türkei sind bislang niedrig, die Inflation jedoch ist seit langem hoch. Im Mai sank die jährliche Teuerungsrate auf knapp 40 Prozent, was Erdoğan bei der Wahl geholfen hat – zu Spitzenzeiten im vergangenen Jahr hatte sie bei 85 Prozent gelegen.

Kaum war das Wahlergebnis bekannt, setzte eine Flucht aus der Lira ein; deren sinkender Kurs dürfte sich über höhere Importkosten sehr rasch auf die Inflation auswirken.

Um das zu erreichen, musste die Zentralbank mit ihren Dollarreserven türkische Lira kaufen, auch das kostenlos abgegebene Erdgas spielte eine Rolle für den abgeschwächten Preisanstieg. Der türkischen Lira dürfte auch geholfen haben, dass viele Investoren auf einen Wahlsieg der Opposition und damit auf eine Rückkehr zu einer rationaleren Wirtschaftspolitik gehofft haben. Kaum war das Wahlergebnis bekannt, setzte eine Flucht aus der Lira ein; deren sinkender Kurs dürfte sich über höhere Importkosten sehr rasch auf die Inflation auswirken. Şimşeks Rückkehr auf den Posten des Finanzministers dürfte vor allem ein Versuch sein, die Investoren zu beruhigen.

Anders ist der Wechsel an der Spitze des Außenministeriums zu verstehen. Mevlüt Çavuşoğlu (AKP) hat das Amt nach acht Jahren an Hakan Fidan (AKP) abgegeben, der für Erdoğan zuvor (mit einer kurzen Unterbrechung) 13 Jahre lang den Inlandsgeheimdienst Millî İstihbarat Teşkilatı (MİT) geleitet hatte. Damit war Fidan für die Bewaffnung islamistischer Gruppen in Syrien zuständig – wie die Cumhuriyet 2015 berichtete, auch des »Islamischen Staats« (IS) –, für die Entsendung von Söldnern nach Libyen und Aserbaidschan für den Krieg gegen Armenien. Erdoğan dürfte von Fidan erwarten, ein Bündnis mit Russland und regionalen Mächten gegen die syrischen Kurden zu schmieden. Der neue Außenminister steht für eine weitere Abkehr der Türkei von den USA und der EU, trotzdem lud der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Erdoğan gleich nach der Wahl nach Berlin ein.

Erdoğan ernannte zudem den Stabschef der türkischen Streitkräfte, Yaşar Güler (parteilos), zum Verteidigungsminister; neuer Innenminister ist der bisherige Gouverneur der Region Istanbul, Ali Yerlikaya (AKP); Energieminister wird Alparslan Bayraktar (parteilos). Die einzige Frau unter den 18 Kabinettsmitgliedern ist die in Belgien geborenen Familienministerin Mahinur Özdemir Göktaş (parteilos). Das steht in einem Missverhältnis zur enormen Rolle, die konservative Frauen im Wahlkampf der AKP gespielt haben. Früheren Kabinetten Erdoğans gehörten stets mindestens zwei Frauen an. Özdemir Göktaş saß in Belgien für die Christdemokraten im Parlament, wurde von ihrer Partei jedoch ausgeschlossen, weil sie sich weigerte, den türkischen Völkermord an den Armeniern anzuerkennen. Ihre konservative Haltung kommt durch ihr eng anliegendes Kopftuch zum Ausdruck.

Dass es nur noch eine Ministerin gibt und dass diese für das Familienressort zuständig ist, zeigt, in welche Richtung Erdoğan politisch steuert: hin zu einem noch konservativeren, islamischeren, patriarchalen und paternalistischen Staat. Das passt zur außenpolitischen Orientierung auf autoritär geführte Staaten wie Russland, Iran, Katar und Saudi-Arabien. Das Kabinett besteht hauptsächlich aus Experten und Unternehmern; Erdoğan will offenbar signalisieren, dass er den Regierungskurs allein bestimmt. Er hat stets darauf geachtet, Minister nicht zu lange im Amt zu lassen und sie durch Personen mit schwachem politischem Profil zu ersetzen. Die Größen seiner Partei aus frühen Tagen sind längst politisch kaltgestellt.