Repression gegen Linke in Sachsen

Leipzigs ungebetene Gäste

Seit der Verhaftung der Leipziger Studentin Lina E. im November 2020 haben die Repressalien gegen die linke Szene der Stadt deutlich zugenommen. Vor der Anfang Juni erwarteten Urteilsverkündung ruft diese zu einer Demonstration auf. Polizei und Medien warnen indes vor der Gefahr eines neuen Terrorismus von links.

»Polizei! Weg von der Tür! Ich schieße!« Mit einem großen Knall wird die alte Holztür aufgeschossen, vermummte SEK-Beamte stürmen mit Maschinengewehren und Schutzschildern in die Wohnung. Mit Kabelbindern fixieren sie zwei Bewohner:innen auf dem Boden, durchsuchen die Zimmer. So beschreiben Betroffene einer Hausdurchsuchung, die am 15.März in der Leipziger Eichendorffstraße stattgefunden hat, in einer auf der Plattform Indy­media veröffentlichten Erklärung, was ihnen widerfahren ist. An diesem Tag rückte unter anderem das sächsische Landeskriminalamt (LKA) aus, um ­Antifaschist:innen zu fassen.

Hintergrund der Razzia waren Ermittlungen der Dresdner Generalstaatsanwaltschaft gegen sieben Beschuldigte, die mutmaßliche Teilnehmer des neonazistischen Aufmarschs zum »Tag der Ehre«, der Anfang Februar in Budapest stattfand, gewaltsam angegriffen haben sollen. Ursprünglich sollten drei Wohnungen in Leipzig und fünf in Jena durchsucht werden.

Die Wohnungen in der Eichendorffstraße wurden erst während des Einsatzes aufgrund einer weiteren richterlichen Anordnung hinzugefügt, weil die Ermittler Beschuldigte dort vermuteten. Die Be­wohn­er:innen waren also weder verdächtig noch beschuldigt. »Was zurückbleibt, sind kaputte Türen, zutiefst verstörte Bewohner:innen, umgeworfene Möbelstücke«, heißt es in der Erklärung.

»Durch die Hausdurchsuchungen wird eine Gefährlichkeit des linken Milieus beschworen und ein Bedrohungsszenario konstruiert.« Juliane Nagel, sächsische Landtagsabgeordnete der Linkspartei

Auch wenn das Vorgehen der Polizei in diesem Fall besonders rabiat war, sind Leipziger Antifaschist:innen mittlerweile daran gewöhnt, dass im staat­lichen Kampf gegen den »Linksextremismus« bewaffnete und vermummte Einsatzkräfte früh morgens in ihre Hausprojekte und Wohnungen einrücken. Alle paar Wochen oder Monate kommt es mittlerweile zu solchen Razzien in der Stadt. Wurde dieses Mittel früher nur bei Gewaltdelikten oder anderen schweren Straftaten angewandt, reicht mittlerweile schon der Vorwurf der Sachbeschädigung. Dabei wird auch schon mal vorab der Bild-Zeitung Bescheid gegeben, damit sie die entsprechenden Bilder produziert.

Vor allem seit der Verhaftung der Leipziger Studentin Lina E. im November 2020 im sogenannten Antifa-Ost-Verfahren hat die Zahl solcher Einsätze stark zugenommen. E. und drei weitere Beschuldigte sind derzeit vor dem Oberlandesgericht Dresden angeklagt, eine kriminelle Vereinigung gegründet und mehrere schwere Körperverletzungen an Nazis – unter anderem unter Einsatz von Hämmern – begangen zu haben. Aber nicht nur die Häufigkeit, auch die Vorgehensweise hat sich verändert: Während die Beamten früher bei Hausdurchsuchungen erst einmal geklingelt haben, stürmen sie heute gleich in die Wohnung.

»Keine belastbaren Statistiken«
Wie viele Hausdurchsuchungen es bei Leipziger Linken in den vergangenen zwei Jahren gegeben hat, weiß niemand genau zu sagen. Das LKA Sachsen antwortete auf die Anfrage der ­Jungle World, dass »keine belastbaren Statistiken« darüber vorlägen. Eine Kleine Anfrage der Linkspartei im Landtag blieb ebenfalls erfolglos.

Mangels offizieller Zahlen lässt sich ein Überblick lediglich anhand von Presseberichten geben. Diesen zufolge sollen im vergangenen Jahr mindestens sieben Wohnungen von Antifa-schist:innen und 21 Wohnungen von Fans des Fußballvereins BSG Chemie Leipzig durchsucht worden sein. Der Verein ist eng mit der linken Szene der Stadt verknüpft, gegen seine Fans ­ermittelten die Behörden bereits in der Vergangenheit wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Im vergangenen November wurden bei einer Razzia gegen Mitglieder der Gruppe Letzte Generation zwei Wohnungen durchsucht. Dieses Jahr stürmte die Polizei bereits mindestens neun Wohnungen von Linken. Eine dieser Wohnungen befand sich in jenem Haus im Stadtteil Connewitz, in dem auch der Stadtteilladen Linxxnet und das Büro der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (»Die Linke«) untergebracht sind.

»Durch die Hausdurchsuchungen wird eine Gefährlichkeit des linken Milieus beschworen und ein Bedrohungsszenario konstruiert«, sagte Nagel im Gespräch mit der Jungle World. Das martialische Auftreten sei als Drohgebärde gegen die linke Szene zu verstehen. Bei der mehrere Stunden andauernden Razzia im Januar trug sogar der anwesende Staatsanwalt eine Sturmhaube. Da gleichzeitig eine Wohnung in der näheren Umgebung mit Bezug zum Verfahren von Lina E. durchsucht wurde, entstand – wohl nicht ganz unbeabsichtigt – zudem der Eindruck, beim Einsatz im Haus des Linxxnet sei es ebenfalls um das Antifa-Ost-Verfahren gegangen – was nicht der Fall war.

»Die Repression wirkt«
Es war nicht das erste Mal, dass die Polizei in Leipzig gleich mehrere Objekte durchsuchte, obwohl die zugrundeliegenden Verfahren keinen Bezug zueinander hatten. Offenbar geht es darum, Stärke zu demonstrieren. »Seit zweieinhalb Jahren sehen wir uns in Leipzig mit einer intensiven Repressionswelle konfrontiert«, schreibt die linksradikale Gruppe Kappa in ihrer kürzlich herausgegebenen Broschüre mit dem Titel »Leipzig, die Repression wirkt. Reden wir darüber«. Darin beschreiben sie die Hausdurchsuchungen als die »am besten öffentlich wahrnehmbare Form der Repression«, führen darüber hinaus aber auch »Observationen, Datensammelwut, verwanzte Autos, Telekommunikationsüberwachung, Kameras vor Objekten« an. Im Zuge des Antifa-Ost-Verfahrens war herausgekommen, dass ein linkes Kulturzentrum im Stadtteil Plagwitz observiert wurde, ebenso eine Kneipe in Connewitz. Hinzu kommen Kappa zufolge »die unzähligen kleineren Strafen und Maßnahmen im Kontext der Proteste gegen die rechten Montagsdemonstrationen, die insbesondere jüngere Antifaschist*innen treffen«.

Die wachsende Zahl an repressiven Maßnahmen gegen das junge antifaschistische Milieu beobachtet auch Juliane Nagel: »Es gibt regelmäßig Kessel, Identitätsfeststellungen, Schubsereien. Die Polizei setzt zudem Super-Recognizer (Menschen, die Gesichter besonders gut wiedererkennen können, Anm. d. Red.) ein und zieht im Anschluss an Demos Leute raus, wegen Vorfällen von vorigen Demonstrationen.« Aus diesem Grund hat sich in Leipzig vor kurzem sogar eine Gruppe namens »Eltern gegen Polizeigewalt« gegründet.

»Das Verfahren gegen Lina E. ist für das LKA schon jetzt von großer Bedeutung, aber im Grunde genommen haben wir gerade erst angefangen.« Dirk Münster, LKA Sachsen

Aber es dürfte noch schlimmer kommen. Dirk Münster, der Leiter der Staatsschutzabteilung des LKA Sachsen und der Sonderkommission Links­extremismus (Soko Linx), die seit Ende 2019 gegen »linksextremistische« Straftäter in Leipzig ermittelt, drohte Ende April im Interview mit der Sächsischen Zeitung: »Das Verfahren gegen Lina E. ist für das LKA schon jetzt von großer Bedeutung, aber im Grunde genommen haben wir gerade erst angefangen.« Linksextremist:innen begingen in Sachsen »erheblich mehr Gewaltdelikte als Rechtsextremisten«, daher liege der Fokus auf der Bekämpfung linker Gewalt.

Münster bezieht sich dabei auf die polizeiliche Kriminalstatistik des LKA, die für das vergangene Jahr 185 Gewalttaten der linken Szene und 84 der rechten Szene ausweist. Der von Münster angeführte Überhang linker Gewalttaten stellt sich anders dar, wenn man die Zahlen des LKA mit denen der sächsischen Opferberatungsstellen vergleicht. In ihrer Ende März veröffentlichten Statistik spricht die Opferberatung RAA Sachsen (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie) nämlich von 205 Gewalttaten im Jahr 2022, denen rechte Motive zugrunde lagen.

Urteile Anfang Juni erwartet
Da Anfang Juni die Urteile im Antifa-Ost-Verfahren erwartet werden und die Szene derzeit bundesweit zu Protesten an einem »Tag X« nach der möglichen Verurteilung der Angeklagten nach Leipzig aufruft, reden die zuständigen Behörden und Medien derzeit die Gefahr eines an der Schwelle zum Terrorismus agierenden Linksextremismus herbei. Einem Bericht des Spiegels zufolge fürchteten sächsische Behörden bereits um »Leib und Leben« ihrer Mitarbeiter:innen, das Bundeskriminalamt sehe Parallelen zur »einstigen RAF«. Vereinzelte martialische Bannersprüche auf Demos wie der an Dirk Münster adressierte – »Bald ist er aus, dein Traum, dann liegst du im Kofferraum« –, die in der Szene stark kritisiert wurden, führt das Magazin als Beweis dafür an, dass Mordaufrufe »keine Seltenheit« mehr seien. In einem ebenfalls vergangene Woche vom ­Focus produzierten Video heißt es gar: »Sachsen wappnet sich für eine neue, heftige Welle des Linksterrorismus.« Im dazugehörigen Text kann man lesen, dass dort immer wieder »Dienststätten« der Polizei »in Flammen« aufgehen würden – was nie passiert ist.

Auf diese Weise werden bereits die kommenden Repressalien legitimiert, unabhängig davon, ob es nach der Urteilsverkündung zu Konfrontationen mit der Polizei und zu Sachbeschädigungen kommt oder nicht. In der radikalen Linken in Leipzig sucht man indes nach Antworten auf das Problem: »Verbalradikalismus und die immer gleichen Phrasen sowie ein reflexionsfernes ›Mund abwischen, weitermachen‹ führen uns nicht aus unserer beschissenen Lage«, heißt es bei der Gruppe Kappa.