Die EU will mehr Abschiebungen

Respektvoller Abschieben

Die EU berät wieder mal über mehr Grenzschutz und darüber wie sie erfolgreicher abschieben kann. Die deutsche Bundesregierung streitet sich unterdessen darüber, wie man die Regierungen der Herkunftsländer zur Kooperation bewegen könnte.
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Wie es zu bewerkstelligen ist, dass die EU mehr Menschen abschieben kann, steht bei einer Sondertagung des EU-Rats am 9. und 10. Februar wieder einmal auf der Tagesordnung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat die Pläne der EU kürzlich vorgestellt. Sie zielen – außer auf mehr Grenzschutz und mehr Zusammenarbeit zwischen EU-Staaten – vor allem auf die Herkunftsstaaten, die zu mehr Kooperation bei der Rücknahme von Flüchtenden bewegt werden sollen. Von jährlich 300 000 Rückkehrverpflichtungen in der EU könnten nur 70 000 vollzogen werden, so von der Leyen. Wie diese Zahl erhöht werden soll, ist umstritten. Frankreich macht sich dafür stark, eine restriktivere Visavergabe als Druckmittel ein­zusetzen, wenn Verhandlungen mit Herkunftsländern ins Leere laufen. Seit 2020 hat die EU die rechtlichen Möglichkeiten dafür. Die deutsche Bundesregierung favorisiert hingegen, Anreize für die betroffenen Staaten schaffen, und will nach Aussage von Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) weitere Migrationsabkommen mit einzelnen Staaten schließen, die legale Wege in die EU ermöglichen und gleichzeitig Zusagen über die Rücknahme Abgeschobener beinhalten sollen.

Ende Januar warf FDP-Bundestagsfraktionschef Christian Dürr einen weiteren, absurden Vorschlag in die Runde: »Um Druck auf die Herkunftsländer auszuüben, könnten wir Rücknahmen zum Beispiel an Geld für den Klimaschutz koppeln«, so Dürr in einem Interview mit Bild. »Wer seine Landsleute zurücknimmt, erhält im Gegenzug Unterstützung etwa bei der Produktion von klimaneutralen Kraftstoffen für Autos in Deutschland.« Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Julian Pahlke und Kathrin Henneberger kritisierten den »von oben herab und im kolonialen Duktus« formulierten Vorschlag in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel. Leider ist ihr Text ein Fall von »nur gut gemeint«, wenn nicht sogar von bösem Zynismus. Sie fordern in erster Linie mehr Respekt für die Länder des Globalen Südens und wollen versuchen, »in einem ehrlichen Diskurs eine menschenrechtsbasierte Antwort auf die Auswirkungen von Kriegen, Konflikten und der Klimakrise zu finden«. Sie sind der Überzeugung: »Die Zusammenarbeit mit anderen Regionen zu dekolonialisieren und Klimagerechtigkeit zu gestalten, beginnt mit gegenseitigem Respekt.« Respekt für Regierungen ist aber etwas anderes als die Achtung der Menschenrechte ihrer Bürger. Respekt ist etwas, das man gewähren kann, Menschenrechte sind verpflichtend. Nicht zuletzt sind es oft die fraglichen Regierungen selbst, die die Rechte ihrer Bürger und auch von Migranten erheblich verletzen.

Genau diese Menschenrechte tritt die Migrationspolitik der EU ständig mit Füßen, was in dem Artikel der beiden Bundestagsabgeordneten schlicht nicht auftaucht. Die Autor:innen schreiben an der brutalen Realität europäischer Migrationspolitik vorbei. Diese besteht in erster Linie aus Abschottung, Hochrüstung des Grenzschutzes und Migrationsverhinderung. Es gibt bereits Abkommen mit Herkunftsländern, zum Beispiel zwischen Deutschland und den Westbalkanstaaten. Diese wurden weniger mit Respekt als mit Druck geschlossen. Die legalen Migrationswege, die von Faeser und den Grünen-Abgeordneten gepriesen werden, sind, wenn überhaupt vorhanden, extrem eingeschränkt.

Selbst wenn sich die EU mit Herkunftsländern einig wird, wie im Zuge der sogenannten Migrationspartnerschaft mit Niger, profitiert davon die Regierung, nicht die Bevölkerung dieser Staaten. Denn die EU unterstützt besonders gerne Polizeiapparate, sogar mit der Bereitstellung von Frontex-Einheiten. Auf nationaler Ebene unterstützt die Bundesregierung die Grenzpolizeien in den Staaten des Balkan mit Millionensummen – und damit genau jene, die für heftige Menschenrechtsverletzungen durch Pushbacks an den europäischen Außengrenzen verantwortlich sind. Die verurteilt die Bundesregierung offiziell als rechtswidrig, das Geld fließt trotzdem. Neben den Balkanstaaten bekommen auch Länder wie Algerien, Ägypten, Saudi-Arabien und der Sudan von der EU Geld für ihre Polizeibehörden. Diese sind alle nicht gerade für ihre Sorge um Menschenrechte bekannt. Und auch die EU-Grenzschützer:innen stellen diese in der Abwehr von Migration gerne zurück, wie etwa zuletzt das Massaker von Melilla am 24. Juni 2022 zeigte, bei dem mindestens 37 Flüchtende ums Leben kamen.

Das alles ist bereits EU-Migrationspolitik, und voraussichtlich wird diese auf dem kommenden Gipfel noch einmal verschärft. Respekt für die Länder des Globalen Südens ist eine feine Sache, Gleichberechtigung für ihre Bewohner:innen wäre noch viel besser. Zum Beispiel beim Thema globale Bewegungsfreiheit, die für alle Menschen gelten sollte. Wenn am Ende nur respektvoller und im Einvernehmen mit den Herkunftsstaaten abgeschoben wird, hat maximal das Gewissen der grünen Abgeordneten etwas davon, auf der Strecke bleiben aber jene, um die es in dieser Debatte eigentlich gehen sollte: die Menschen, die vor Verfolgung, Krieg, Auswirkungen des Klimawandels und Armut fliehen und ihr Leben riskieren, um ein menschenwürdigeres Leben in Europa zu finden. Was sie viel mehr brauchen als Respekt, ist Solidarität.