Reichsbürger wollen sich im beschaulichen Dörfchen Rutenberg einnisten

Expansion des Königreichs

Im beschaulichen Dörfchen Rutenberg wollen sich die Reichsbürger des Königreichs Deutschland heimisch machen und »Gemein­wohl­dörfer« gründen. Eine Scheune haben sie bereits.

Die brandenburgische Kleinstadt Lychen ist das, was man gemeinhin idyllisch nennt. Am westlichen Rand der Uckermark zwischen sieben Seen gelegen, lebt die Stadt in erster Linie vom Tourismus. Die meisten Menschen kommen hierher, um die Ruhe und die Natur zu genießen. In jüngster Vergangenheit tauchten jedoch auch einige Gestalten auf, die etwas ganz anderes im Schilde führen. Anhänger des Phantasiestaats Königreich Deutschland haben unlängst im Ortsteil Rutenberg eine Scheune erworben. Nun planen sie Recherchen des ARD-Magazins »Kontraste« zufolge, unter dem Deckmantel des Vereins »Waldgartenbunt Immobilien« weitere Gebäude sowie 44 Hektar Land zu erwerben.

Gegen dieses Ansinnen regt sich in Lychen jedoch Widerstand. 40 Menschen erschienen Ende Januar zu einem zweistündigen Treffen, die meisten von ihnen aus Rutenberg. Auch die parteilose Bürgermeisterin Karola Gundlach war dort und kündigte an, sich des Problems anzunehmen. »Ich werde als Bürgermeisterin alles tun, dass wir hier im Ort die Situation besprechen und im Endeffekt gegen dieses Königreich Deutschland vorgehen«, sagte sie dem RBB. Zwei Anhänger des selbsternannten Königreichs wurden des Saales verwiesen. Mit ihnen wolle man sich später auseinandersetzen, hieß es von den Veranstalter:innen.

Das Königreich Deutschland ist der Reichsbürgerszene zuzuordnen und hat seinen Hauptsitz in der Lutherstadt Wittenberg. Regiert wird es von Peter I., der sich selbst auch »Peter, Menschensohn« nennt und bürgerlich Peter Fitzek heißt. Von seinem Amtssitz in Sachsen-Anhalt aus hat er sich eine regelrechte Parallelwelt geschaffen mit eigenem Online-Handel, eigener Bank, ­eigener Krankenkasse, eigenem Videoportal à la Youtube, auf dem freilich fast ausschließlich seine eigenen Videos zu finden sind, und sogar einer eigenen Währung namens E-Mark.

Fitzeks Anhänger:innen rekrutieren sich überwiegend aus dem Milieu der Verschwörungsgläubigen und Esoteriker. Eine Rednerin des Königreichs bietet in Bremen Coachings im Bereich der »tiergestützten Transformation« an, ein Anhänger in Frankfurt wirbt für vegane Rohkost und handelt mit Wundermitteln gegen Haarausfall. Fitzek selbst betrieb in Wittenberg ein »Licht­zentrum« und ein Geschäft für esoterischen Klimbim namens »Engelswelten«.

Das Königreich und seine Untertanen pflegen gute Kontakte zur AfD und ins Milieu der »Querdenker«. Im thüringischen Saalfeld betreibt ein Möchtegernuntertan von König Peter I. im Ortsteil Wöhlsdorf das Restaurant ­»Hacienda Mexicana«. In diesem fand im September vor 200 Gästen eine Veranstaltung mit der AfD-Co-Vorsitzenden Alice Weidel statt. Im November 2020 gab es dort ein »Strategietreffen« der Gruppe »Querdenken 711« um Michael Ballweg, an dem neben etwa 100 anderen auch Peter Fitzek teilgenommen haben soll.

Dass Fitzek und Ballweg den Weg zueinander gefunden haben, überrascht nicht. Kritik an den Pandemieschutzregeln spielt eine wichtige Rolle in der Agitation des Königreichs Deutschland. Freilich bleibt es nicht allein ­dabei. Fitzeks Blogbeiträge und Videos bieten ein wahres Potpourri an Verschwörungsglauben und Antisemitismus. Vom Raunen über den »Great ­Reset« oder das teuflische Treiben der »messianisch-jüdischen Endzeitsekte Chabad« bis zu der Vorstellung, die ­Covid-19-Pandemie sei ein Anzeichen für das kommende Weltenende, ist ­alles dabei.

Was krude wirkt, ist keinesfalls harmlos. Laut »Kontraste« bestehen Verbindungen zur extrem rechten Anastasia-Bewegung, einer aus Russland stammenden antisemitischen und rassistischen Sekte, die seit einigen Jahren auch in Deutschland, vor ­allem in Ostdeutschland und Bayern, versucht, ­eigene Siedlungen zu errichten.

Die Parallelen zu den im Königreich Deutschland herrschenden Vorstellungen sind offensichtlich und das nicht nur was den Antisemitismus und das braunesoterische Weltbild betrifft. Ziel der Landnahme in Lychen ist es offensichtlich, in dem Ortsteil Rutenberg ein »Gemeinwohldorf« zu errichten. Offensiv werben Fitzek und seine Anhän­ger:in­nen im Internet für Dorfprojekte mit »starken Dorfgemeinschaften«, in denen ein »selbstbestimmtes Leben ohne Impfpass, Maske und Zentralbankkonto« möglich sein soll.

Nicht nur das Königreich Deutschland ist auf Expansionskurs, auch die Reichsbürger-Szene insgesamt wächst. 2022 gab es dem Bundesamt für Verfassungsschutz zufolge 23 000 Reichsbürger und Selbstverwalter in der Bundesrepublik. Das sind 2 000 mehr als im Vorjahr. Der Verfassungsschutz betrachtet nur etwas mehr als fünf Prozent von diesen als Rechtsextremisten. Zu dieser Überzeugung kann jedoch nur gelangen, wer ein äußerst eingeschränktes Verständnis von Rechtsextremismus hat.

Außer Frage steht jedoch, dass von dem Milieu eine nicht unerhebliche Gefahr ausgeht: Mindestens 500 Reichsbürger verfügen über einen Waffenschein. Bis Ende 2021 konnten die zuständigen Behörden mindestens 1 050 Reichsbürgern und Selbstverwaltern ihre waffenrechtliche Erlaubnis entziehen. Wie viele illegale Waffen besitzen, kann nur gemutmaßt werden.

Bekannt ist hingegen, dass die vier Männer, die im April 2022 festgenommen wurden, weil sie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entführen wollten, und gegen die nun am Oberlandesgericht Koblenz wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund der Prozess eröffnet wurde, Waffenverstecke angelegt hatten. Dass sie zudem auch Impfzertifikate gefälscht haben sollen, passt ins Bild.

Doch es ging der Gruppe um mehr als nur um Impfvermeidung und Maskenpflicht. Sie habe sich zusammengefunden, um »mittels Gewalt sowie zumindest unter Inkaufnahme von Todesopfern in Deutschland bürgerkriegsähn­liche Zustände auszulösen und damit den Sturz der Bundesregierung und der parlamentarischen Demokratie herbeizuführen«, heißt es in der Anklageschrift. Die Angeklagten hätten ein autoritäres System angestrebt, das sich am Deutschen Kaiserreich orientieren sollte.

Auf den ersten Blick mag es durchaus Unterschiede geben zwischen den gewaltsamen Umsturzplänen der gescheiterten Lauterbach-Entführer, dem völkischen Siedlerkolonialismus des Anastasia-Kults und dem esoterischen Phantasiegebilde Peter Fitzeks. Bei genauerer Betrachtung sind ihre Ziele jedoch zumindest sehr ähnlich, wenn nicht sogar identisch. Darüber hinaus eint sie ihr Verschwörungsdenken, ihr Endzeitglaube, ein tiefsitzendes Misstrauen in die Wissenschaft sowie eine ganz grundsätzliche Ablehnung der Demokratie und der universellen Menschenrechte.