Mit der Kalaschnikow gegen die Coronamaßnahmen
Antifaschistinnen und Antifaschisten sowie Teile der Zivilgesellschaft warnen seit Jahren vor bestimmten Akteuren der extremen Rechten: neonazistische Kampfsportler, radikalisierte »Querdenker«, rechtsextrem gesinnte Angehörige der Ordnungsbehörden und Mitglieder von Ablegern internationaler Terrororganisationen sowie von geheim agierenden Chatgruppen. Von ihnen gehe eine besonders große Gefahr aus, die sich in Anschlägen und Angriffen auf politische Gegner ausdrücken könne, warnen sie. In den vergangenen Wochen erfolgten Dutzende Durchsuchungen und acht Festnahmen, die nahelegten, dass einige dieser Akteure in der Tat gewillt sind, schwerste Gewalttaten auszuüben. Angst und Terror zu verbreiten sowie in letzter Konsequenz ein faschistisches System zu errichten, sind allem Anschein nach ihre Ziele.
Die jüngsten Maßnahmen richteten sich gegen die Mitglieder mehrerer Telegram-Chatgruppen. Wie das ARD-Politmagazin »Report Mainz« am Donnerstag vergangener Woche berichtete, sollen diese Sprengstoffanschläge und die Entführung des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) geplant haben. Letzterer zählt, obwohl er erst seit Dezember im Amt ist, bereits seit dem Beginn der Covid-19-Pandemie zu den wichtigsten Feindbildern der »Querdenker«, weil er sich häufig für strenge Eindämmungsmaßnahmen ausgesprochen hat. Konkret sollen die zwölf Beschuldigten »Report Mainz« zufolge geplant haben, Umspannwerke und Stromleitungen anzugreifen und damit einen bundesweiten Stromausfall zu verursachen. Dies wiederum hätte zu »bürgerkriegsähnlichen Zuständen« führen sollen, in deren Folge die Beschuldigten die Regierung hätten übernehmen wollen.
Dass es so weit nicht kommen konnte – die Pläne hatten sich offenbar konkretisiert –, lag an einer Falle der Ordnungsbehörden: Ermittler gaben sich als Waffenhändler aus und nahmen den potentiellen Käufer bei der vermeintlichen Übergabe fest. Kurz darauf wurden drei weitere Verdächtige festgenommen. »Report Mainz« zufolge wollten die mutmaßlichen Rechtsterroristen Waffen, Minen und Schutzausrüstung im Wert von mehreren Zehntausend Euro kaufen. In Telegram-Gruppen mit Namen wie »Vereinte Patrioten« und »Aktive Patrioten« sollen sie sich organisiert haben. Einige Mitglieder hätten sich bereits persönlich getroffen, »um ihre Organisationsstruktur zu festigen«, so das Politmagazin.
Dem ARD-Magazin »Report Mainz« zufolge wollten die mutmaßlichen Rechtsterroristen Waffen, Minen und Schutzausrüstung im Wert von mehreren Zehntausend Euro kaufen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz und das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz bestätigten die Festnahmen und weitere Ermittlungen am selben Tag in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Bereits seit Oktober 2021 habe man gegen die Gruppierung ermittelt. Einige Mitglieder seien polizeilich bekannt und der Reichsbürgerszene zuzuordnen. In neun Bundesländern seien insgesamt 20 Objekte durchsucht worden; dabei habe man 14 Lang- und sieben Kurzwaffen sowie ein Sturmgewehr des Typs Kalaschnikow, das als Kriegswaffe klassifiziert wird, Munition im mittleren dreistelligen Bereich, 8 900 Euro Bargeld, zahlreiche Goldbarren und Silbermünzen sowie gefälschte Impfpässe und Testzertifikate beschlagnahmt. Der Ermittlungsrichter am Amtsgericht Koblenz ordnete gegen die vier vorläufig festgenommenen Beschuldigten am selben Tag Untersuchungshaft an.
Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linkspartei) schrieb vergangenen Freitag mit Bezug auf die bundesweiten Durchsuchungen und Festnahmen auf Facebook: »An dieser Stelle nur einmal mehr #DankeAntifa! Denn Antifaschist*innen haben zu der Gruppe recherchiert (…) und schon vor fast einem Jahr (!) auf Anschlagspläne der ›Vereinten Patrioten‹ verwiesen.« Die Ergebnisse ihrer Recherchen hätten sie, so Renner, aufgrund einer akuten Bedrohungslage an die Ordnungsbehörden weitergeleitet. Auf Twitter schrieb Renner, die Bundesregierung habe noch im März in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von ihr »terroristische Anschläge« von Gegnern der Coronamaßnahmen »als nahezu ausgeschlossen« erachtet.
Dass von manchen »Querdenkern« tatsächlich eine tödliche Gefahr ausgeht, zeigte sich bereits am 18. September des vergangenen Jahres, als in Idar-Oberstein ein Maskengegner einen Tankstellenmitarbeiter erschoss. Derzeit läuft am Landgericht Bad Kreuznach der Prozess gegen Mario N., der die Tat bereits gestanden hat. In seinem Geständnis gab der 50jährige unter anderem an, sich in Online-Foren radikalisiert zu haben.
Eine Woche vor den Enthüllungen zur Gruppe »Vereinte Patrioten« waren staatliche Stellen gegen mehrere andere rechtsextreme Organisationen vorgegangen. Bei einer der wohl größten Razzien gegen Rechtsextreme in den vergangenen Jahrzehnten durchsuchten mehr als 800 Beamte die Wohnungen von 50 Beschuldigten. Vier von ihnen wurden festgenommen. Dabei handelt es sich der Bundesanwaltschaft zufolge um Leon R., Maximilian A., Eric K. und Bastian A., die allesamt Mitglieder der rechtsextremen Kampfsportgruppe »Knockout 51« sein sollen. Bei Leon R. soll es sich um den Anführer der Gruppierung handeln. Diese sei eine kriminelle Vereinigung, die »unter dem Deckmantel des gemeinsamen körperlichen Trainings junge, nationalistisch gesinnte Männer anlockt, diese bewusst mit rechtsextremem Gedankengut indoktriniert und für Straßenkämpfe ausbildet«, heißt es in einer Pressemitteilung der Behörde.
Drei der Verdächtigen wurden in Eisenach festgenommen, wo sie der Bundesanwaltschaft zufolge versuchten, einen »Nazi-Kiez« einzurichten. Auf solche Bemühungen weisen Antifaschisten schon seit Jahren hin. Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena widmete Eisenach im vergangenen Jahr einen knapp 100 Seiten langen Forschungsbericht.
Verbindungen zur »Querdenken«-Bewegung bestehen auch bei »Knockout 51«. Mitglieder der Gruppierung sollen sich der Bundesanwaltschaft zufolge an Demonstrationen in Leipzig und Kassel beteiligt haben, wo es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Die Behörde wirft den vier Verhafteten gefährliche Körperverletzung vor; Leon R. soll zudem Landfriedensbruch begangen haben. Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof ordnete am 6. April Untersuchungshaft gegen sie an.
Die Durchsuchungen richteten sich darüber hinaus gegen Dutzende Beschuldigte, die im Verdacht stehen, mindestens die Nähe zu rechtsterroristischen Vereinigungen zu suchen. So sollen 21 Beschuldigte, darunter dem Spiegel zufolge ein aktiver Soldat der Bundeswehr im Rang eines Unteroffiziers, die im Jahr 2020 verbotene militante Neonazi-Organisation »Combat 18 Deutschland« fortgeführt haben. Zu den Aktivitäten hätten unter anderem »Leistungsmärsche« und Aufnahmeprüfungen mit Fragen zum Nationalsozialismus gehört, so die Bundesanwaltschaft.
Zehn Beschuldigte, darunter Leon R. und dem Spiegel zufolge ein ehemaliger Offiziersanwärter der Bundeswehr, sollen Mitglieder der Terrorvereinigung »Atomwaffen Division Deutschland« sein oder zumindest versucht haben, der Gruppe beizutreten. Dabei handelt es sich um einen seit 2018 aktiven Ableger der 2015 in den USA gegründeten Organisation, die für ihre Gewaltbereitschaft bekannt ist und deren Mitglieder bislang mindestens fünf Menschen getötet haben. Ziel der »Atomwaffen Division« ist es, einen weltweiten »Rassenkrieg« herbeizuführen. Das soll der Bundesanwaltschaft zufolge auch das Ziel der deutschen Chatgruppe »SKD 1418« gewesen sein. Die Razzien richteten sich auch gegen fünf mutmaßliche Mitglieder dieser Gruppe.
Brisant sind die Durchsuchungen nicht nur wegen der enormen Gefahr, die von den Beschuldigten ausgeht, sondern auch aufgrund mehrerer Verbindungen zum sogenannten Antifa-Ost-Verfahren. In diesem stehen seit September vergangenen Jahres in Dresden vier Antifaschisten vor Gericht, weil sie Angriffe auf Rechtsextreme geplant und durchgeführt haben sollen. Bekannt ist vor allem Lina E., die angebliche Anführerin der Gruppe.
Zwei der in Untersuchungshaft Sitzenden gelten in diesem Verfahren als Geschädigte und haben kürzlich als Zeugen ausgesagt; Leon R. ist an dem Verfahren auch als Nebenkläger beteiligt. Ob die neuen Entwicklungen deren Glaubwürdigkeit beeinträchtigen werden, ist noch nicht absehbar. Die Anwälte der Angeklagten versuchen immer wieder, den Vorsitzenden Richter auf die politischen Hintergründe von Zeugen, aber auch auf mögliche Verstrickungen von Beamten des sächsischen Landeskriminalamts in die extrem rechte Szene hinzuweisen. »Aber da redet man gegen eine Wand«, sagt Marta Zionek, eine Sprecherin des Solidaritätsbündnisses Antifa Ost, im Gespräch mit der Jungle World.
Leon R. ist der Betreiber der Eisenacher Gaststätte »Bull’s Eye«, deren Gäste im Jahr 2019 von Lina E. und ihren Mitangeklagten angegriffen worden sein sollen. Zumindest bei einem der Angeklagten bestehen mittlerweile große Zweifel, ob dieser tatsächlich daran beteiligt gewesen sein kann. Aus Überwachungsmaßnahmen aus einem anderen Verfahren geht den Verteidigern zufolge hervor, dass sich dieser Angeklagte zur Tatzeit in Berlin aufgehalten habe. Das Solidaritätsbündnis wirft der Bundesanwaltschaft deshalb vor, entlastendes Beweismaterial nicht berücksichtigt zu haben. Dass die jüngsten Entwicklungen einen nennenswerten Einfluss auf die übrigen Prozesstage haben werden, bezweifelt Zionek: »Vom Gericht erwarten wir nichts.«