Im Paragraphendschungel – Recht im linken Alltag

Extrawurst für die AfD

Die AfD darf nun doch mit mehr Listenkandidaten bei der Landtagswahl antreten, hat der sächsische Verfassungsgerichtshof entschieden. Doch das Urteil taugt juristisch nichts.
Kolumne Von

Am 8. Juli traf der Landeswahlausschuss Sachsen eine folgenschwere Entscheidung. Er ließ nur die Plätze eins bis 18 der Wahlliste der AfD Sachsen für die am 1. September in Sachsen stattfindende Landtagswahl zu. Aufgestellt hatte die Partei 61 Kandidatinnen und Kandidaten. Die Entscheidung hätte sie, je nach Zahl der Überhangmandate in dem nominell auf 120 Mitglieder angelegten Landtag, zahlreiche Abgeordnetensitze kosten können. In der jüngsten Umfrage kommt die AfD auf 26 Prozent – gleichauf mit der CDU, die bisher stärkste Partei war.

Die Haltung, die AfD nicht auszugrenzen zu wollen, ist eine Konsequenz aus ihrer derzeitigen Stärke.

Es folgte ein zunächst kleiner, aber heftiger Meinungsstreit. Klein in dem Sinn, dass sich in Deutschland nur ein sehr überschaubarer Personenkreis ernsthaft mit dem Wahlrecht, insbesondere dem sächsischen, auseinandergesetzt hat – zumindest bislang. Nachdem sich mittlerweile sowohl das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das die Beschwerde der AfD aus formalen Gründen zurückwies, als auch der sächsische Verfassungsgerichtshof mit der Sache befasst haben, ist diese Personengruppe etwas gewachsen.

Man muss kein Experte für Wahlrecht sein, um einige Aspekte der ganzen Geschichte für besorgniserregend zu halten. Am Dienstag vergangener Woche gab das Landesverfassungsgericht in Leipzig dem Antrag der AfD in einer einstweiligen Anordnung teilweise statt. Doch die Hoffnung, die Entscheidung würde die vor­angegangene ärgerliche Diskussion beenden, erfüllte sich nicht. Ärgerlich war sie, weil sie weitgehend unjuristisch geführt wurde. Die diskutierten Punkte waren nämlich rein politischer Natur. »Formal mag die Entscheidung des Landeswahlausschusses korrekt sein, politisch ist sie kontraproduktiv«, hieß es beispielsweise im Spiegel.

Gesinnungsaufsatz

Doch der Wahlausschuss sollte gerade nicht politisch entscheiden. Die Kriterien, die er anlegen muss, sind strikt formal, wie auch die Anforderungen an eine Aufstellungsversammlung – und daraus waren die Probleme entstanden. Das deutsche Wahlrecht ist allgemein sehr formal streng reglementiert, was auch mit der rechtlich privilegierten Stellung der Parteien in der deutschen Verfassungsordnung zu tun hat. An der Rechtsstellung und der erfolgreichen Teilnahme hängen materielle und prozessuale Rechte und letztlich auch Geld, das im Rahmen der staatlichen Parteienfinanzierung fließt.

Die Hoffnung, die vergangene Woche enttäuscht wurde, war, dass das Urteil einige wahlrechtliche Fragen klärt. Der sächsische Verfassungshof erklärte die teilweisen Streichung für teilweise ­ungültig und ordnete an, dass die AfD mit 30 Listenkandidatinnen und -kandidaten antreten darf. Diese Entscheidung war so zwar nicht unbedingt zu erwarten, denn die ursprüngliche Streichung von Kandidaten erschien rechtlich nachvollziehbar. Aber das ist nicht das eigentliche Problem.

Das Gericht hat eine Anordnung getroffen, ohne diese rechtlich näher zu begründen. Veröffentlicht wurde lediglich eine Pressemitteilung, die keinen Bezug auf Normen des sächsischen Wahlrechts und des Verfassungsrechts nahm und deswegen die offenen Rechtsfragen nicht klärte. Genau das aber muss ein Urteil leisten, sonst taugt es nichts.

Ein Urteil muss für die Beteiligten und die, soweit vorhanden, interessierte Öffentlichkeit mehrere Punkte unmissverständlich erkennen lassen: Zunächst die Frage, was angeordnet wird – das ist hier passiert; dann die Frage, welche Tatsachen das Gericht für gegeben hält, den sogenannten Tatbestand. Im vorliegenden Fall, da es sich um ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz handelt, kann das recht oberflächlich erfolgen. Und zu guter Letzt muss es zumindest die maßgeblichen Normen nennen und die eigene rechtliche Würdigung dieser Normen darlegen. Dieser Teil fehlt leider komplett. Das Gericht hat zwar Erwägungen getroffen, diese waren jedoch allgemeiner Natur und nannten nicht die jeweiligen Normen, auf die sie sich stützten, oder sie erfolgten unabhängig von solchen. »Fehlender Normbezug« heißt das im Juristendeutsch, oder gehässiger: »Gesinnungsaufsatz«.

Schaden für den Rechtsstaat

Das birgt einige Gefahren. Vor Mitte August wird es voraussichtlich keine weitere offizielle Begründung geben, bis dahin kann nur gemutmaßt werden, worauf das Gericht seine Entscheidung gestützt hat. Das lässt Raum für allerlei Spekulationen. Diese erfolgen auch bereits von unterschiedlichen Seiten. Die AfD nutzt den Raum bereits für ihre Propaganda, die bekanntermaßen mit Unsicherheit viel anfangen kann. Manche, die das deutsche Wahlrecht für zu strikt halten, fordern dessen Reform.

Und jene, die in einer Streichung von Listenplätzen primär die Gefahr einer gewalttätigen Eskalation durch AfD-Anhänger sehen, atmen auf. Vielleicht ist es ihnen nicht zu verdenken, denn diese Gefahr ist durchaus gegeben. Den Furor der »besorgten Bürger« wird das Urteil allerdings kaum bremsen. Der Schaden für die Rechtsstaatlichkeit ist dennoch entstanden. Das Urteil wird Folgeprobleme mit sich bringen. Sei es, dass das Ergebnis der kommenden Wahl rechtlich angreifbar sein könnte, oder, dass sich auch andere Parteien zukünftig darauf berufen werden, wenn ihre Listen moniert werden. Die ehemalige Bundestagabgeordnete der Linkspartei und rechtspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, Halina Wawzyniak, hat das in ihrem Blog (wawzyniak.de) ausführlich dargelegt.

Die Haltung, die AfD nicht auszugrenzen zu wollen, ist eine Konsequenz aus ihrer derzeitigen Stärke. In Sachsen ist sie, so viel kann man ohne Vorliegen einer Urteilsbegründung sagen, bereits so stark, dass die Vermutung nicht abwegig erscheint, ihr sei in diesem Fall eine Extrawurst gebraten worden.