Zehn Thesen zum Pokerspiel
1. Es ist wahrscheinlich, dass das Pokerspiel vom persischen Kartenspiel AsNas abstammt. AsNas-Karten bilden Szenen der sozialen Hierarchien des 16. Jahrhunderts ab: Könige, Hofdamen, Soldaten und als niedrigste Karte die Tänzerin. Gleichwohl ist das Ass die höchste Karte, es zeigt einen kämpfenden Löwen. Interessanterweise galt der Löwe in der persischen Kultur als Erzfeind des Königs.
2. Durch den kulturellen Austausch entstanden verschiedene Varianten des AsNas in der modernen Welt: Pochen und Lansquenet in Deutschland, Poque in Frankreich, Primera in Spanien. Doch ein typisches Merkmal frühkapitalistischer Märkte sorgte für das Verschwinden von AsNas – der Außenhandel. Der Monopoly Act von 1931 sorgte für für stärkere Import- und Produktionskontrollen im Iran, mit dem Ziel, dem britischen Imperialismus höhere Einnahmen zu verschaffen. Die Produktion von Spielkarten im Iran wurde verboten. Der Spielkartenproduzent und offizielle britische Gelddrucker De La Rue bekam das Monopol für den Druck aller Spielkarten.
3. Dieselben Mississippidampfer, die den Handel im 19. Jahrhundert vorantrieben, waren auch verantwortlich für den steigenden Einfluss des Pokerspiels. Es war beliebt auf den Schiffen. Obwohl man es das »Schummelspiel« nannte, löste Poker andere beliebte Kartenspiele ab. Grund dafür war insbesondere die Schwierigkeit, beim Poker wirklich zu betrügen.
4. Ein üblicher Kritikpunkt am Pokerspiel ist die falsche Annahme, es handele sich um ein Glücksspiel, das jeder spielen könne. Dieses Vorurteil rührt von der Beobachtung her, dass der Kartenwert der Hand sich umgekehrt proportional zu seiner mathematischen Häufigkeit verhält. Mit Poker verhält es sich wie mit der Klassengesellschaft: Glück spielt nur eine untergeordnete Rolle.
5. Der Bluff ist ein Mittel für erfahrene Spieler, das Kartenglück des Anfängers brutal zu zerstören. Aber nur ein unerfahrener Spieler glaubt, dass ständig geblufft werde. Das Pokerspiel erlaubt zwar den Bluff, aber er ist nur für den Profi ratsam. Die theoretische Möglichkeit des Bluffs ändert nichts an der praktischen Notwendigkeit, den wahren Wert und die Stärke des ausgespielten Blattes zu erkennen.
6. Das Pokerspiel zu bezichtigen, es feiere die perfiden ungeschriebenen Gesetze der Bourgeoisie, die den Habitus und die Gerissenheit der Privilegierten im Zweifel über die Regeltreue seiner treudoofen Untertanen triumphieren lassen, sagt mehr über das Verständnis sozialer Kämpfe aus als über das Pokern selbst.
7. Pokern ist ein Symbol der Notwendigkeit, sich der Strategie zu bedienen, anstatt auf das schnöde Glück zu hoffen. Dass die Bourgoisie bisher in allen Punkten der Weltgeschichte erfolgreich war, heißt nicht, dass man der Notwendigkeit abschwören sollte, eine Strategie zu entwickeln. Die Revolution wird nicht vom Himmel fallen.
8. Einige liebenswürdige Fanatiker, die zwar nicht das Monopol über die Dialektik, aber ein Monopol über ihren Gebrauch beanspruchen, haben entdeckt, dass »die wahreste und am wenigsten bekannte Wahrheit über das Pokern die Tatsache ist, dass einige Spieler besser sind als andere« (Guy Debord: Notizen zum Pokern).
9. Mit dem Pokern verhält es sich wie mit der radikalen Gesellschaftskritik. Das Spiel zu verstehen, genügt bei Weitem nicht, um es am Ende auch zu gewinnen.
10. Die Freude, die man beim Pokern empfinden kann, ist genauso sehr im Untergang begriffen wie jede Freude, die zum Kommerz wird. Der Beginn der Kommerzialisierung (die oftmals stärker ist als die staatliche Repression) hat nicht nur die spielerische Erfahrung in eine gewinnorientierte Komerzmaschine verwandelt, er hat ebenso, gemäß seiner inneren Verfasstheit, zwei soziale Kategorien hervorgebracht: den Zuschauer und den Promi.